Empfindlich reagiert die ägyptische Regierung auf Forderungen nach mehr Schutz für
Kopten in ihrem Land. Nach der Attacke auf koptische Christen an Neujahr, die nach
letzten Angaben durch al-Kaida-nahe Terroristen aus Gaza begangen worden sein soll,
hatte auch Papst Benedikt XVI. zu mehr Schutz der christlichen Minderheit in der Region
aufgerufen. Ägypten werde sich in dieser Frage „von keiner Seite“ Druck machen lassen,
sagte der ägyptische Präsident Hosni Mubarak jetzt in einer Fernsehansprache. „Die
Ära der Patronatsherren ist für immer vorbei“, so das Staatsoberhaupt. Als seien die
politischen Spannungen zwischen Rom und Kairo nicht schon genug, kam in der letzten
Woche auch noch eine Querele im interreligiösen Dialog zwischen dem Vatikan und der
Kairoer al-Azhar-Universität ins Spiel. Was ist da los? Ein Hintergrundbericht von
Stefan Kempis.
Niemand will sich beim Heiligen Stuhl zu der Entscheidung der
Kairoer al-Azhar-Universität äußern. Die wichtigste Lehrautorität im sunnitischen
Islam hatte am Donnerstag ihren Dialog mit dem Vatikan „auf Eis gelegt“. Ein Mitglied
des al-Azhar-Rates äußerte sich gegenüber der Nachrichtenagentur adn-kronos zu den
Gründen der Krise. Aus Abdel Muti al-Bayoumis Äußerungen wird deutlich, dass al-Azhar
nicht nur über die Rufe Benedikts XVI. nach mehr Schutz für koptische Christen aufgebracht
ist. Diese wiederholten Appelle des Papstes hatten in den letzten Tagen auch schon
den Zorn der ägyptischen Regierung auf sich gezogen, die deswegen ihre Vatikanbotschafterin
„zu Konsultationen“ nach Kairo zurückrief. Einige Beobachter sehen im Schritt von
al-Azhar denn auch einfach einen Gefallen, den die Uni dem Regime von Hosni Mubarak
macht. Allerdings spricht al-Bayoumi bei der Begründung der gelben Karte aus Kairo
genereller von „den Positionen Benedikts XVI. gegenüber dem Islam“, etwa in seiner
Regensburger Rede vom September 2006. Er verlangt vom Papst, zur Linie seines Vorgängers
Johannes Paul zurückzukehren: Schließlich sei Johannes Paul II. „sehr interessiert
gewesen an unserer Arbeit“, und der Dialog zwischen dem Heiligen Stuhl und al-Azhar
sei „damals sehr aktiv gewesen“. Wer will, kann aus diesen Worten Verärgerung herauslesen
über die Tatsache, dass der Dialog zwischen Kairo und Rom mittlerweile Konkurrenz
bekommen hat. Schließlich hat sich in den letzten Jahren, nach einem Brief islamischer
Gelehrter an den Papst, ein weiterer intensiver Dialogprozess zwischen dem Päpstlichen
Dialograt und der islamischen Welt entwickelt. Wie fruchtbar dieser Dialog binnen
kurzer Zeit geworden ist, führte der Papstbesuch in einer jordanischen Moschee im
Frühjahr 2009 vor. al-Azhar muss also damit leben, dass es nicht mehr die einzige
große Stimme des Islam dem Vatikan gegenüber ist. Der Bedeutungsverlust der Kairoer
Uni läuft parallel zum Bedeutungsverlust Ägyptens innerhalb der arabischen (und islamischen)
Welt. Einige Stimmen im Islam haben die Entscheidung der al-Azhar kritisiert –
etwa der schillernde ägyptische Gelehrte Tariq Ramadan, der in der Schweiz lehrt.
Wenn der Papst sich für angegriffene Kopten einsetze, dann sei das doch „normal“;
es sei ein Fehler, den Gesprächskanal zwischen Nil und Tiber dichtzumachen. Auch die
al-Azhar-Universität habe doch das blutige Attentat auf Kopten in der Neujahrsnacht
verurteilt. Vielleicht müsse Benedikt XVI. noch deutlicher machen, dass er sich nicht
nur für angegriffene Christen, sondern in gleichem Mass auch für verfolgte oder diskriminierte
Muslime einsetze, so Ramadan bei einem Besuch in Rom. Der evangelische Pfarrer von
Kairo, Axel Matyba, meldet sich hingegen mit sehr besonnenen Überlegungen zu Wort:
Einmischungen von außen seien weder bei der Regierung noch bei den Christen willkommen.
Die Christen fürchteten „zu Recht, dass auf diese Art ein Keil zwischen sie und ihre
muslimischen Landsleute getrieben wird“. Statt „strammer Worte“ sei „hier eher praktische
Solidarität gefragt“. Wie aufgebracht die ägyptische Regierung über die jüngsten
Stellungnahmen des Vatikans ist, wurde übrigens auch auf dem Wirtschaftsgipfel arabischer
Staaten im ägyptischen Badeort Sharm el-Sheik deutlich: Dort sorgte die Regierung
Mubarak dafür, dass Einmischungen von außen zugunsten von Minderheiten in arabischen
Ländern ausdrücklich verurteilt wurden. Übrigens: In der ägyptischen Presse spielte
dieser Wirtschaftsgipfel eine viel größere Rolle als das Aussetzen des Dialogs zwischen
al-Azhar und dem Vatikan. Wer zum letzten Thema etwa in der führenden Kairoer Tageszeitung
„al-Ahram“ Infos sucht, der muss lange blättern.
Die italienische Tageszeitung
„Il Foglio“ weist an diesem Freitag darauf hin, dass al-Azhar letztes Jahr ein Pamphlet
mit dem Titel „Gegen die Christen“ zur Veröffentlichung zugelassen habe. Autor sei
ein Mitglied des wissenschaftlichen Komitees der al-Azhar-Universität. Der Vatikan
hatte am Donnerstag in einer ersten Reaktion auf die Nachricht aus Kairo seine weiterhin
bestehende Offenheit und Bereitschaft zum Gespräch betont.
Inzwischen wurden
neue Informationen zu den möglichen Ursachen der Querele bekannt. Nach Meinung von
Pater Bernardo Cervellera, dem Direktor der römischen Agentur asianews, reicht die
Krise vor den Januar und vor die Rede des Papstes zur Religionsfreiheit zurück. Streitpunkt
sei der Islamexperte Khaled Boutros Akasheh gewesen, der als Mitglied des Päpstlichen
Rats für den interreligiösen Dialog für ein Treffen mit Vertretern der Kairoer Universität
eingeplant war. Die Al-Azhar-Universität bestand auf der Entfernung des jordanischen
Korankenners und Dialogexperten aus der Delegation, andernfalls – so die Drohung –
würde der Dialog abgebrochen. Die islamische Seite wolle wohl niemandem gegenüber
sitzen will, der selbst perfekt Arabisch versteht und den Islam gut kennt, meint Cervellera.
Dabei wurde in dem schriftlichen Abkommen zwischen Vatikan und der Al-Azhar-Universität
ausdrücklich festgehalten, dass jede Delegation das Recht hat, in völliger Freiheit
ihre Mitglieder zu bestimmen.