2011-01-18 13:20:26

Strafverteidiger Schirach: „Anspruch auf ein objektives Verfahren – trotz Verjährung“


RealAudioMP3 Schuld verblasst nicht einfach, sie verändert sich und wird bestenfalls zu verantwortlichem Handeln reuiger Täter. Daran erinnert mit Blick auf die kirchlichen Missbrauchsfälle der Berliner Strafverteidiger Ferdinand von Schirach. Das Problem bei den Missbrauchsfällen sei ja, dass sie strafrechtlich „zu ganz großen Teilen“ verjährt seien, so dass ein Ermittlungsverfahren sofort eingestellt würde. Das sagte der bekannte Buchautor und Kolumnist Schirach im Gespräch mit Radio Vatikan. Dennoch gebe es Handlungsspielraum, und hier wäre ein offensiverer Umgang der Kirche mit den Missbrauchsfällen möglich gewesen:
 
„Zunächst einmal muss man sagen, dass die Kirche nicht sehr gut beraten gewesen ist. Solche Probleme löst man nicht durch Schweigen, die löst man nur durch Offenheit. (…) Zivilrechtlich ist die Verjährung etwas, was im Belieben der Parteien steht. (…) Die Kirche oder die Institutionen, die daran beteiligt waren wie der Jesuitenorden oder die Benediktiner, hätten sagen müssen, dass sie auf die Einrede der Verjährung verzichten. Verklagt uns bitte! Wir möchten das vor einem ordentlichen Gericht geklärt haben. Das hätte ich für den richtigen Weg gehalten. Das hätte ich der Kirche auch damals geraten. Das wäre eben kein Lippenbekenntnis, und es wäre nicht wohlfeil. Dann muss man sagen, dass man bezahlt, wenn man am Schluss verurteilt wird. Die Kinder, die heute erwachsen sind und denen es damals passiert ist, haben den Anspruch auf ein objektives Verfahren, in dem das geklärt wird. Das wäre hilfreich im Regelwerk der klugen Gesetze, im Regelwerk der vernünftigen Gesetze zumindest.“

Schirach hat sich als Autor rund um Fragen von Recht, Schuld und den dazugehörigen Dynamiken einen Namen gemacht. In seinen Büchern „Schuld“ und „Verbrechen“ berichtet er über fiktive oder vielleicht auch nur verfremdete Geschichten aus seiner juristischen Praxis, ohne moralische Urteile zu fällen. Wenn Bürger sich um den oft schmalen Grat zwischen Recht und Unrecht, Schuld und Unschuld, Tätern und Opfern bewusst sind, ist seiner Ansicht nach schon viel gewonnen:

„Die Eisdecke ist nicht sehr dick. Die Eisdecke, das ist unsere ganze Kultur, das sind unsere Errungenschaften und unser Bewusstsein eines vernünftigen Zusammenlebens. Immer wieder bricht man da ein. Und die Menschen, die da einbrechen, versinken in dem kalten Wasser und sterben schnell. Das ist der Moment, der für mich interessant ist. So lange es gut geht und wir gut Schlittschuh laufen können auf diesem Eis, ist alles in Ordnung. Aber die Schicht ist dünn.“

(rv 16.01.2011 ord/pr)








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