Vatikan: Kampagne für Religionsfreiheit – die Hintergründe
Die Verstimmung zwischen Kairo und dem Vatikan lenkt einmal mehr die Aufmerksamkeit
auf das große Thema des Vatikans in diesen Tagen: Religionsfreiheit. Eine richtiggehende
Kampagne scheint da in Gang gekommen zu sein, wie sie für den Heiligen Stuhl ungewöhnlich
ist. Was sind die Hintergründe dieser Kampagne?
Wir schreiben Anfang Januar.
Eigentlich hat das vatikanische Staatssekretariat die große Papstrede an Diplomaten
für den 10. Januar längst fertiggestellt – doch dann trifft am 1. Januar die Nachricht
vom Attentat von Alexandria ein. Über zwanzig koptische Christen sind in der letzten
Nacht von einer Bombe zerfetzt worden, als sie aus der Kirche kamen. Der Papst läßt
den Text seiner Diplomatenrede noch einmal überarbeiten. Das Ergebnis: noch mehr Klartext.
Doch schon die erste Reaktion Benedikts auf die Bombe von Alexandria – seine
Angelusansprache vom 2.1. – stößt die ägyptische Führung vor den Kopf. Sie will sich
anscheinend nicht vom Vatikan vorhalten lassen, dass die Christen in Ägypten nicht
genügend geschützt würden. Als Warnschuss verbreitet deswegen die staatliche Kairoer
Nachrichtenagentur mena einen unfreundlichen Satz des Großimams Ahmed al-Tayeb Richtung
Vatikan. Der Subtext heißt: Erteilt uns bitte keine öffentlichen Belehrungen. Als
Benedikt XVI. trotzdem am 10. Januar vor den Diplomaten seine Sorge um Christen in
Ägypten äußert und direkt an die Regierung appelliert, ruft Ägypten seine Botschafterin
zu Beratungen nach Kairo zurück. Die Verstimmung wird damit offensichtlich.
Und
es kann gut sein, dass diese Verstimmungen nicht die letzten bleiben. Auch Pakistan
hat ja die deutliche Kritik des Papstes an seinem Blasphemiegesetz umgehend scharf
zurückgewiesen. Das Muster dahinter ist immer dasselbe: Viele mehrheitlich islamische
Staaten, von der Türkei bis zu den arabischen Regimen, reagieren äußerst empfindlich,
wenn sich ein fremder Staat besorgt über die Lage der Minderheiten in ihrem Land äußert.
Das ist für diese Regime eine unzulässige Einmischung. Minderheiten – oft sind es
Christen – werden in diesen Ländern geduldet, solange sie nicht „aufmucken“. Was Ägypten
betrifft: Da wird der Vatikan versuchen, über seinen sehr ausgleichenden und dialogerfahrenen
Nuntius in Kairo, Michael Fitzgerald, die Wogen wieder zu glätten. Und wenn das nicht
hilft: Im Februar trifft Präsident Mubarak in Luxor den italienischen Innenminister
Franco Frattini, und der spielt gerne den „Briefträger“ für den Heiligen Stuhl. Frattini
war es ja (zusammen mit einigen italienischen Polit-Kollegen) auch, der das Thema
Christenverfolgung auf die Tagesordnung des EU-Außenministerrats Ende Januar gesetzt
hat.
Klar ist: Der Papst wird sich vom Einsatz für Religionsfreiheit – und
von der damit einhergehenden deutlichen Sprache – jetzt nicht mehr abbringen lassen.
Das Thema hat er sich schon im letzten Herbst zu eigen gemacht, bei der Bischofssynde
zum Nahen Osten. Nur wenige Wochen danach richteten Islamisten ein Massaker in der
Kathedrale in Bagdad an. Auch einige im Vatikan hielten das gleich für eine Reaktion
auf die Synode – so lässt sich eine Äußerung von Kardinal Peter Turkson, dem Friedensminister
des Papstes, in einem Interview mit uns verstehen.
Das italienische Magazin
„Panorama“ vermutet im Umfeld des Papstes „Falken“ und „Tauben“, was den Umgang mit
mehrheitlich islamischen Staaten betrifft. Benedikt sei nach den heftigen Reaktionen
auf seine Regensburger Rede mit Islamkritik eine Weile sehr vorsichtig geworden, stehe
mittlerweile aber mal unter dem Einfluß der „Falken“, dann wieder der „Tauben“. Beispiel:
der Mord am italienischen Bischof Luigi Padovese in der Türkei, Anfang Juni. Da schloss
Benedikt, auf dem Flug nach Zypern, kategorisch aus, dass der Mord von einem islamischen
Fundamentalisten begangen worden sei. Damit folgte er laut „Panorama“ der Linie des
Substituten im Staatssekretariat, Erzbischof Fernando Filoni: Der frühere Nuntius
im Irak und in Jordanien sei eine „Taube“. Ebenfalls in diese Kategorie zählt der
Artikel den Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone und den Dialog-Verantwortlichen,
Kardinal Jean-Louis Tauran.
Am 20. Dezember hingegen habe der Papst erstmals
in seinem Pontifikat beim Weihnachtsempfang für die römische Kurie das Wort „Christianophobie“
benutzt; dieses Wort stamme von seinem „Außenminister“, Erzbischof Dominique Mamberti,
einem „Falken“. Mamberti, ein früherer Nuntius in Algerien, dem Sudan und Somalia,
habe 2008 auf einer Tagung von „Christianophobie“ gesprochen. Was damals als „politisch
unkorrekt“ galt, gehört heute zum Wortschatz des Papstes, schreibt „Panorama“. Weitere
„Falken“ sieht der Vatikanberichterstatter der Zeitschrift, Ignazio Ingrao, in den
Kurienkardinälen Leonardo Sandri und Rino Fisichella.
Übrigens: Auch im schwierigen
Umgang mit dem chinesischen Regime sieht „Panorama“ den Vatikan hin- und hergerissen
– zwischen zwei Salesianern. Der eine ist der Kardinal Joseph Zen, früherer Erzbischof
von Hongkong, der einen harten Kurs empfiehlt; der andere ist der neue Sekretär der
Missionskongregation, Savio Hon Tai-Fai, der, wie viele im Vatikan, auf den Dialog
setzt.
Die nächsten Etappen in der Vatikan-Kampagne für Religionsfreiheit
sind der EU-Außenministerrat und die UNO. In New York macht der neue Vatikanvertreter,
Erzbischof Francis Assisi Chullikatt, auf das Thema aufmerksam. Der gebürtige Inder
war vorher Nuntius im Irak und in Jordanien. Dass Papst Benedikt ihn zur UNO geschickt
hat, unterstreicht, wie wichtig ihm jetzt das Thema Religionsfreiheit und Naher Osten
ist. Im Herbst lädt Benedikt XVI. Religions- und Kirchenführer zu einer Neuauflage
des berühmten Friedensgebetes von Assisi unter Johannes Paul II. ein. Auch dieser
Gebets-Gipfel wird wohl vom Thema Religionsfreiheit mitgeprägt werden.