Sudan: Kurienkardinal, „Krieg ist nicht unausweichlich“
Wenn beim bevorstehenden
Referendum im Sudan der Süden des Landes für die Unabhängigkeit stimmt, muss das nicht
zwangsläufig zum Krieg führen. Das denkt Kardinal Peter Turkson, der Präsident des
päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden. Im Gespräch mit uns sagte der aus
Ghana stammende „Entwicklungsminister“ des Heiligen Stuhles:
„Die Entscheidung,
die ab Sonntag fallen wird, ist folgenreich. Viele Faktoren beeinflussen sie. Einen
neuen Staat zu gründen, ist ja kein alltäglicher Schritt. Im Süden denken viele, es
gibt keinen Weg, mit dem Norden weiterhin friedlich zusammenzuleben. Da geht es um
Respekt für die Würde der Personen und um Anerkennung ihrer Rechte, sowie um die Tatsache,
dass der Norden – auch aufgrund von Migration - muslimisch geprägt ist, der Süden
aber christlich. Dennoch erwarte ich nicht, dass es zum Krieg kommt.“
Dabei
ortet Turkson mindestens zwei mögliche Kriegsszenarien. Nicht nur zwischen einem nach
Unabhängigkeit strebenden Süden und einem Norden, der den Süden nicht ziehen lassen
will, könnten Feindseligkeiten ausbrechen, sondern auch zwischen verschiedenen Gruppen
des Südens.
„Der Sudan ist kein demographisch homogenes Land. Da können
auch Stammes- oder ethnische Elemente eine Rolle spielen“.
Viele Beobachter
erwarten ein breites „Ja“ der Südsudanesen für die Unabhängigkeit. Doch wie immer
das Referendum ausgeht: das Gebot der Stunde für den Sudan, Norden wie Süden, ist
es, eine fähige politische Führung zu haben, meint der afrikanische Kurienkardinal.
„Wenn
der Süden wegbricht, wäre die größte Aufgabe, eine Führung zu entwickeln, die allen
Gruppen das Gefühl gibt, dazuzugehören. Sodass es keine interethnischen oder Stammeskonflikte
im Süden mehr gibt. Das ist die Herausforderung an die neue Führung. Aber wenn sich
der Süden NICHT abspaltet, ist es dieselbe Herausforderung. Dann muss die Führung
in Khartoum sicherstellen, mehr als bisher, dass der Sudan EIN Land ist und alle Teile
der Bevölkerung das Gefühl bekommen, ihre Rechte werden respektiert. In beiden Hypothesen
geht es um gute politische Führung. Wenn es die gibt, sollten wir nicht über Krieg
reden, sondern stattdessen über die Menschen, die entschieden haben, sich abzuspalten
oder dabei zu bleiben und nun versuchen, im Frieden zu leben, egal ob als eigener
Staat oder als Teil des Sudan.“
Turkson warnt westliche Beobachter davor,
ausschließlich ihre eigenen Maßstäbe anzulegen, wo es um gute politische Führung geht.
„Natürlich stellt sich die Frage: Gibt es Leute im Südsudan, die gelernt
haben, Führung zu übernehmen. Ich möchte hier aber einwenden, dass es nicht um einen
ausschließlich westlichen Begriff von Demokratie geht. In Afrika besteht immer die
Alternative einer Stammesführung, es gibt also mehr Vielfalt bei den Formen der Führung.
In diesem Sinn muss die Reife des Südens anerkannt werden, Führung zu übernehmen.“
Stichwort Reife: Viele westliche Beobachter haben Zweifel, ob der
Südsudan grundsätzlich reif ist für die Unabhängigkeit oder ob er nicht als selbständiger
Staat sofort in Desorganisation und nicht vorhandener Infrastruktur versinken würde.
Beispiel Öl: 75 Prozent der sudanesischen Ölreserven liegen im Südsudan – aber alle
Pipelines im Norden. Kardinal Turkson sieht die Frage in einem größeren Zusammenhang:
„Jedes Volk ist immer reif für Unabhängigkeit, reif, selbst Verantwortung
für sich zu übernehmen. Es stellt sich auch die Frage: Unabhängig von wem? Was wir
heute als Sudan kennen, hat ja künstliche Grenzen. Es gibt viele andere Staaten in
Afrika, wo die Grenzen auch nicht von den Leuten selbst gezogen wurden. Ich zum Beispiel
bin aus Ghana, da wurden alle drei Staatsgrenzen mitten durch Stammesgebiete gezogen.“
In den vielen Jahren des Zusammenlebens konnten die Leute im Norden und
im Süden Erfahrungen sammeln, wie das ist, so Turkson.
„Wenn man nicht
zusammen leben kann, wäre die Lösung, dass jeder Teil selbständig ist und sein eigenes
Schicksal in die Hand nimmt. 6:58 Nochmals also die Frage nach der Reife: sind die
Südsudanesen dazu imstande, ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nahmen? Die Reife
ist da. Und die Zeit ist immer jetzt. Wann immer sie diese Entscheidung treffen, ist
es ihre Entscheidung. Die einzige Bedingung ist, dass es eine Entscheidung in Freiheit
sein muss.“
Eine Entscheidung in Freiheit: Das sicherzustellen, ist auch
der Kirche ein Anliegen. Sie tut es mit Rat, aber auch mit Tat. Kardinal Turkson:
„Die SECAM, die gesamtafrikanische Bischofskonferenz, schickt Beobachter
zum Referendum. Wir müssen sicherstellen, dass diese Abstimmung friedlich und glatt
abläuft, sodass am Ende niemand die Chance hat, das Ergebnis anzufechten. Wir haben
Beispiele aus anderen afrikanischen Staaten, in denen sich diese Methode der kirchlich
beauftragten Beobachter als sehr effektiv erwiesen hat. Zweitens hoffen wir, dass
die verschiedenen Parteien, die ja alle für dieses Referendum waren, dann auch das
Ergebnis akzeptieren und es nicht anfechten und einen Krieg anzetteln.“
Für
das Referendum eingetreten ist übrigens auch aktiv der Heilige Stuhl: Auf diplomatischem
Weg und bei der internationalen Völkergemeinschaft, die die „Sache Sudan“ seit langem
im Blick hat.
„Ich denke, der Prozess, den wir im Sudan beobachten, ist
zum guten Teil Frucht der Arbeit der Vereinten Nationen. Der Heilige Stuhl hat dort
Beobachterstatus; die Kirche konnte also in diesem Forum ihre Ansichten äußern und
ihre Empfehlung abgeben für das Referendum zur Unabhängigkeit des Südsudan. Diese
Abstimmung ist Teil eines Prozesses, den nicht nur die Welt da draußen in Gang gesetzt
hat, sondern mit ihr auch die katholische Kirche, damit es Frieden im Sudan gibt.“