2011-01-06 11:49:33

Sudan: Kurienkardinal, „Krieg ist nicht unausweichlich“


RealAudioMP3 Wenn beim bevorstehenden Referendum im Sudan der Süden des Landes für die Unabhängigkeit stimmt, muss das nicht zwangsläufig zum Krieg führen. Das denkt Kardinal Peter Turkson, der Präsident des päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden. Im Gespräch mit uns sagte der aus Ghana stammende „Entwicklungsminister“ des Heiligen Stuhles:

„Die Entscheidung, die ab Sonntag fallen wird, ist folgenreich. Viele Faktoren beeinflussen sie. Einen neuen Staat zu gründen, ist ja kein alltäglicher Schritt. Im Süden denken viele, es gibt keinen Weg, mit dem Norden weiterhin friedlich zusammenzuleben. Da geht es um Respekt für die Würde der Personen und um Anerkennung ihrer Rechte, sowie um die Tatsache, dass der Norden – auch aufgrund von Migration - muslimisch geprägt ist, der Süden aber christlich. Dennoch erwarte ich nicht, dass es zum Krieg kommt.“

Dabei ortet Turkson mindestens zwei mögliche Kriegsszenarien. Nicht nur zwischen einem nach Unabhängigkeit strebenden Süden und einem Norden, der den Süden nicht ziehen lassen will, könnten Feindseligkeiten ausbrechen, sondern auch zwischen verschiedenen Gruppen des Südens.

„Der Sudan ist kein demographisch homogenes Land. Da können auch Stammes- oder ethnische Elemente eine Rolle spielen“.

Viele Beobachter erwarten ein breites „Ja“ der Südsudanesen für die Unabhängigkeit. Doch wie immer das Referendum ausgeht: das Gebot der Stunde für den Sudan, Norden wie Süden, ist es, eine fähige politische Führung zu haben, meint der afrikanische Kurienkardinal.

„Wenn der Süden wegbricht, wäre die größte Aufgabe, eine Führung zu entwickeln, die allen Gruppen das Gefühl gibt, dazuzugehören. Sodass es keine interethnischen oder Stammeskonflikte im Süden mehr gibt. Das ist die Herausforderung an die neue Führung. Aber wenn sich der Süden NICHT abspaltet, ist es dieselbe Herausforderung. Dann muss die Führung in Khartoum sicherstellen, mehr als bisher, dass der Sudan EIN Land ist und alle Teile der Bevölkerung das Gefühl bekommen, ihre Rechte werden respektiert. In beiden Hypothesen geht es um gute politische Führung. Wenn es die gibt, sollten wir nicht über Krieg reden, sondern stattdessen über die Menschen, die entschieden haben, sich abzuspalten oder dabei zu bleiben und nun versuchen, im Frieden zu leben, egal ob als eigener Staat oder als Teil des Sudan.“

Turkson warnt westliche Beobachter davor, ausschließlich ihre eigenen Maßstäbe anzulegen, wo es um gute politische Führung geht.

„Natürlich stellt sich die Frage: Gibt es Leute im Südsudan, die gelernt haben, Führung zu übernehmen. Ich möchte hier aber einwenden, dass es nicht um einen ausschließlich westlichen Begriff von Demokratie geht. In Afrika besteht immer die Alternative einer Stammesführung, es gibt also mehr Vielfalt bei den Formen der Führung. In diesem Sinn muss die Reife des Südens anerkannt werden, Führung zu übernehmen.“


Stichwort Reife: Viele westliche Beobachter haben Zweifel, ob der Südsudan grundsätzlich reif ist für die Unabhängigkeit oder ob er nicht als selbständiger Staat sofort in Desorganisation und nicht vorhandener Infrastruktur versinken würde. Beispiel Öl: 75 Prozent der sudanesischen Ölreserven liegen im Südsudan – aber alle Pipelines im Norden. Kardinal Turkson sieht die Frage in einem größeren Zusammenhang:

„Jedes Volk ist immer reif für Unabhängigkeit, reif, selbst Verantwortung für sich zu übernehmen. Es stellt sich auch die Frage: Unabhängig von wem? Was wir heute als Sudan kennen, hat ja künstliche Grenzen. Es gibt viele andere Staaten in Afrika, wo die Grenzen auch nicht von den Leuten selbst gezogen wurden. Ich zum Beispiel bin aus Ghana, da wurden alle drei Staatsgrenzen mitten durch Stammesgebiete gezogen.“

In den vielen Jahren des Zusammenlebens konnten die Leute im Norden und im Süden Erfahrungen sammeln, wie das ist, so Turkson.

„Wenn man nicht zusammen leben kann, wäre die Lösung, dass jeder Teil selbständig ist und sein eigenes Schicksal in die Hand nimmt. 6:58 Nochmals also die Frage nach der Reife: sind die Südsudanesen dazu imstande, ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nahmen? Die Reife ist da. Und die Zeit ist immer jetzt. Wann immer sie diese Entscheidung treffen, ist es ihre Entscheidung. Die einzige Bedingung ist, dass es eine Entscheidung in Freiheit sein muss.“

Eine Entscheidung in Freiheit: Das sicherzustellen, ist auch der Kirche ein Anliegen. Sie tut es mit Rat, aber auch mit Tat. Kardinal Turkson:

„Die SECAM, die gesamtafrikanische Bischofskonferenz, schickt Beobachter zum Referendum. Wir müssen sicherstellen, dass diese Abstimmung friedlich und glatt abläuft, sodass am Ende niemand die Chance hat, das Ergebnis anzufechten. Wir haben Beispiele aus anderen afrikanischen Staaten, in denen sich diese Methode der kirchlich beauftragten Beobachter als sehr effektiv erwiesen hat. Zweitens hoffen wir, dass die verschiedenen Parteien, die ja alle für dieses Referendum waren, dann auch das Ergebnis akzeptieren und es nicht anfechten und einen Krieg anzetteln.“

Für das Referendum eingetreten ist übrigens auch aktiv der Heilige Stuhl: Auf diplomatischem Weg und bei der internationalen Völkergemeinschaft, die die „Sache Sudan“ seit langem im Blick hat.

„Ich denke, der Prozess, den wir im Sudan beobachten, ist zum guten Teil Frucht der Arbeit der Vereinten Nationen. Der Heilige Stuhl hat dort Beobachterstatus; die Kirche konnte also in diesem Forum ihre Ansichten äußern und ihre Empfehlung abgeben für das Referendum zur Unabhängigkeit des Südsudan. Diese Abstimmung ist Teil eines Prozesses, den nicht nur die Welt da draußen in Gang gesetzt hat, sondern mit ihr auch die katholische Kirche, damit es Frieden im Sudan gibt.“

(rv 06.01.2011 gs)








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