Selbständigkeit und
Fortschritt, soziale und wirtschaftliche Entwicklung – das verbinden die Menschen
im Südsudan mit einer Loslösung vom Norden. In Afrikas größtem Staat wird am kommenden
Sonntag über eine solche mögliche Teilung entschieden. Ein Bericht von Anne Preckel
mit Material von Kirche in Not.
Für viele Südsudanesen ist es geradezu undenkbar,
Teil des Sudans zu bleiben, weil sie sich durch die nordsudanesische Bevölkerung benachteiligt
und diskriminiert fühlen. Das beobachtet der Comboni-Missionar Bruder Hans Dieter
Ritterbecks im Gespräch mit dem katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“. Er hält sich
derzeit im Südsudan auf.
„Die Geschichte des Landes ist von Sklavenhandel,
Diskriminierung und Unterdrückung geprägt, und die Südsudanesen wurden niemals als
gleichberechtigt angesehen. Im Übrigen wurde vom Regierungssitz Khartum aus seit 2005
so gut wie nichts unternommen, um die Einheit attraktiv zu machen. Die klassische
Gesellschaftsordnung im Nordsudan sieht nach wie vor folgendermaßen aus: Erstens der
arabische muslimische Mann, zweitens die arabische muslimische Frau, drittens der
nicht arabische muslimische Mann, viertens die nicht arabische muslimische Frau. Erst
dann folgt der ganze Rest. Da sich nur wenige Südsudanesen zum Islam bekennen, kann
man sich unschwer vorstellen, wo sie eingruppiert werden.“
Probleme
bei Vorbereitung der Wahl Im Südsudan überwiegen Christen und Anhänger der
Naturreligionen; der Norden ist dagegen muslimisch geprägt. Die Vorbereitung des Referendums
sei in einigen Regionen nicht ganz glatt abgelaufen, erzählt Ritterbecks und nennt
ein Beispiel:
„Vor einigen Tagen hörte ich von einem Journalisten, dass
beispielsweise in der Region Abyei überhaupt keine Registrierung stattgefunden hatte.
In dieser erdölreichen Region wird ein gesondertes Referendum abgehalten. Abyei wird
von dem südsudanesischen Stamm der Dinka Ngok besiedelt, die sich wohl mehrheitlich
für die Unabhängigkeit entscheiden würden. Khartum besteht allerdings darauf, dass
auch die Misseriya bei der Registrierung berücksichtigt werden. Dieser nordsudanesische
Nomadenstamm treibt saisonweise seine Herden in das Weideland um Abyei und würde geschlossen
für die Einheit stimmen.“
Ein anderes Problem bei der Durchführung der
Wahl: Viele Südsudanesen seien Analphabeten, ihnen habe man bei der Registrierung
das Wie und Was der Abstimmung bildlich erklären müssen.
„Auf dem Wahlschein
hat man sich darum mit zwei einfachen Abbildungen beholfen: Ein Handschlag mit zwei
Händen steht für die Einheit und eine ausgestreckte Hand steht für die Trennung. Letzteres
würden wir im Deutschen mit Winken oder "Auf Wiedersehen" übersetzen. Also: "Bye-bye,
Khartum". Das hat hier jeder kapiert, und ich denke, die Menschen wissen, worum es
geht.“
Norden will Einheit aus wirtschaftlichen Gründen Das
Referendum beginnt am kommenden Sonntag und dauert insgesamt eine Woche. Für eine
Gültigkeit der Abstimmung müssen 60 Prozent aller Registrierten ihre Stimme abgeben.
Andernfalls sei das Ergebnis ungültig, so Ritterbecks. Dem Norden käme das entgegen,
denn er wolle den Süden auf keinen Fall in die Unabhängigkeit entlassen, glaubt der
Comboni-Missionar. Der Grund: Erdölvorkommen im Südsudan. Nach dem derzeit gültigen
Abkommen teilen sich die halbautonome Regierung des Südsudans und die Zentralregierung
in Khartoum die Erträge aus dem Erdölgeschäft zu gleichen Teilen auf, nur zwei Prozent
kämen dabei der Region zugute, in der das Öl gefördert wird, nämlich den Menschen
im Südsudan.
„Was mit dem Geld gemacht wird, lässt sich nicht so eindeutig
sagen. In Khartoum wurde nach dem Krieg, und das lässt sich beobachten, viel in die
Infrastruktur investiert. Wahrscheinlich bauen aber auch beide Seiten ihre Waffenarsenale
aus. Vielleicht, aber wer weiß das schon. 8.49 Im Südsudan wird in dem Zusammenhang
viel über Korruption gesprochen, wobei eine Menge Geld einfach verschwindet. Präsident
Salva Kiir hat mehrere Male den Kampf gegen die Korruption als Priorität
hervorgehoben, wobei nach seinen eigenen Worten bislang nur die Spitze des Eisberges
freigelegt wurde.“
Wie das Erdölgeschäft geregelt wird, wenn der Südsudan
tatsächlich unabhängig werden sollte – das sei eine der „spannenden Fragen“ im Kontext
des bevorstehenden Referendums, so der Comboni-Missionar. Das internationale Interesse
am Südsudan sei dabei auch nicht unschuldig:
„Bis vor nicht allzu langer
Zeit war der Sudan unattraktiv für die internationale Gemeinschaft, bis dann 1978
Erdöl entdeckt wurde. Mittlerweile hat sich das in der internationalen Staatengemeinschaft
etwas geändert. Die USA haben Unterstützung für den Südsudan signalisiert, in der
EU gibt es unterschiedliche Stellungen. Hinter vorgehaltener Hand sagt man übrigens,
dass nicht die islamische Gesetzgebung vom September 1983 der Grund für den zweiten
Bürgerkrieg war, sondern das neu entdeckte Erdöl. Es dauerte allerdings bis 1999,
bis das erste Öl aus dem Sudan exportiert wurde. Mit diesen Erlösen hat der Norden,
der damalig alleinige Nutznießer, hauptsächlich seinen Krieg finanziert. Mit Sicherheit
hat das Erdöl das Interesse anderer geweckt und die Beziehungslage zum Sudan neu geordnet.“
Den
Löwenanteil der Erdölförderung besitzen im Sudan übrigens die Chinesen, erzählt der
Geistliche weiter. Für die Menschen im Sudan handelt es sich beim Erdöl um eine zwiespältige
Ressource: Einerseits steht es für Entwicklung und Aufbau, andererseits wurden mit
den Erlösen in der Vergangenheit im eigenen Land Kriege finanziert. Und auch die ausländischen
Nutznießer hätten Dreck am Stecken, so Ritterbecks:
„Die deutsche Hilfsorganisation
Hoffnungszeichen hat im Erdölfördergebiet von Zajaff erhebliche Grundwasserverseuchung
durch Chemikalien, die bei den Bohrungen verwendet werden, festgestellt. Die verantwortlichen
Firmen und Politiker haben völlig verantwortungslos gehandelt. Das geht nicht nur
gegen die Menschenrechte allgemein, sondern ist eine akute Bedrohung in der Region
für Mensch und Vieh.“
Folgen des Referendums für Christen Doch
blicken wir nun ein wenig in die Zukunft. Was wird passieren, wenn das Referendum
zur Unabhängigkeit - entgegen der meisten Vorhersagen - scheitern würde? In dem Fall
würde der Südsudan unilateral seine Unabhängigkeit erklären, so Ritterbecks, das habe
der Präsident des Südsudans, Salva Kiir, schon im Vorfeld der Wahl angekündigt:
„Er
scheint sich sicher zu sein, dass weite Teile der internationalen Gemeinschaft eine
solche Entscheidung mittragen würden. Das Problem wäre allerdings die Grenze, da es
noch keine übereinstimmende Demarkationslinie gibt.“
Was die Lebensbedingungen
der Christen im Norden des Sudans betreffe – die würden sich mit der Loslösung des
Südsudans verschlechtern, meint Ritterbecks. Dafür gebe es schon jetzt konkrete Hinweise:
„Der
Präsident des Nordens, Omar Hassan al-Bashir, hat schon verlauten lassen, dass sich
die Verfassung des Nordens im Falle der Unabhängigkeit des Südens verändern wird.
Er sagte, dass die Scharia und der Islam die neuen Grundsteine für die reformierte
Verfassung sein werden. Wenn das tatsächlich eintritt, wird es für Christen und Nichtmuslime
im Norden noch viel schwieriger.“
Immerhin – auch wenn sich beide Interessenlagen
direkt gegenüber stehen: Massive Einschüchterungen oder Gewaltandrohungen hat Ritterbecks
bisher nicht beobachten können. Und im Gegensatz zu anderen Beobachtern hält der Comboni-Missionar
auch Ausschreitungen nach der Wahl für eher unwahrscheinlich:
„Es wird
zwar beobachtet, dass beide Seiten massiv Truppen an der vermeintlichen Grenze zusammengezogen
haben. Ich hoffe aber, dass es sich dabei nur um ein Muskelspiel handelt. Der Sudan
hat bereits zwei Kriege hinter sich; man müsste meinen, dass die Menschen genug haben.
In diesem Zusammenhang muss aber auch gesagt werden, dass die Südsudanesen bereits
im Unabhängigkeitstaumel sind. Das ist eine hochbrisante emotionale Angelegenheit.
Sollte es während des Referendums tatsächlich chaotisch werden, könnte das zu Überreaktionen
führen.“
Historische Benachteiligung des Südens
„Keiner
war jemals daran interessiert, etwas für den Süden zu tun. Das erklärt
auch den Frust und das Misstrauen der Südsudanesen und die unumstößliche
Entschlossenheit, das Heft in die eigene Hand zu nehmen.“
Um den Unabhängigkeitsdrang
der Südsudanesen zu verstehen, muss man einen Blick in die wechselvolle Geschichte
des Sudans werfen. Durch sie zieht sich wie ein roter Faden der Kampf um Unabhängigkeit.
Gegen die ägyptische Besatzung lehnten sich die Sudanesen schon im frühen 19. Jahrhundert
auf; der so genannte „Mahdi“-Aufstand (1881-1899) gegen die anglo-ägyptische Herrschaft
im Sudan – er gilt als der erste erfolgreiche Aufstand eines afrikanischen Landes
gegen den Kolonialismus. Angeführt wurde er vom islamisch-politischen Führer Muhammad
Ahmad, der sich selbst zu einem „von Gott Geleiteten“, einem „Mahdi“, ernannte. Dazu
Ritterbecks:
„Dieser Aufstand wurde dann um 1890 gemeinsam von den Engländern
und Ägyptern niedergeschlagen und leitete die englisch-ägyptische Vorherrschaft im
Sudan ein.“
Und tatsächlich sollte es noch ein gutes halbes Jahrhundert
dauern, bis der Sudan – seitdem ein eigener Staat – tatsächlich unabhängig werden
sollte. 1956 entließ es die anglo-ägyptische Kolonialregierung in die Unabhängigkeit.
Ägypten zählt heute übrigens zu einem der schärfsten Gegner der südsudanesischen Unabhängigkeit.
Zur Ruhe kam der Sudan aber auch nach der unabhängigkiet nicht: Die politische Macht
erhielt nämlich die arabische Elite des Landes, die den Süden benachteiligte und die
bis heute nur knapp 20 Prozent der Bevölkerung ausmacht:
„Die schlimmste
Folge war, dass sich das der Süden nicht gefallen ließ und es zu zwei Bürgerkriegen
kam. 1955-72, noch vor der offiziellen Unabhängigkeitserklärung bis zum Alesabeba-Abkommen
und dann der zweite von 1983 bis 2005, also von Inkrafttreten der islamischen Gesetzgebung,
den so genannten Septembergesetzen bis zum Friedensabkommen CPA im Januar 2005, das
steht für Comprehensive Peace Agreement.“
Blutige Bürgerkriege und chronische
Unterentwicklung führten so dazu, dass der Südsudan in jeder Hinsicht zum „Schlusslicht“
im Vergleich zu den angrenzenden Nachbarstaaten wie Kenia und Uganda geworden sei,
so Ritterbecks:
„Das galt nicht nur für die wirtschaftliche Entwicklung,
sondern auch für den Bildungssektor, den Gesundheitssektor usw. Hinzu kamen regelmäßige
Lebensmittelknappheit und Probleme bei der Trinkwasserversorgung.“
Versöhnung
und Aufbau Das Referendum von diesem Sonntag ist Kernstück des Friedensabkommens
von 2005 zwischen dem Nord- und Südteil des Landes. Damals einigten sich die Zentralregierung
in Khartoum und die Südsudanesische Befreiungsarmee „SPLA“ (Sudanese People Liberation
Army) auf die Schaffung einer autonomen Region Südsudan, die sich weitgehend selbst
verwalten sollte. Nach jahrzehntelangem Krieg geht mit der Unabhängigkeit des Südens
die Aufbauarbeit im Sudan aber erst richtig los, prognostiziert Ritterbecks:
„Es
gibt eine Menge zu tun, denn es mangelt überall an Fachkräften. Die internationale
Staatengemeinschaft ist aufgefordert, hier konstruktive Hilfe zu leisten. Es geht
dabei nicht nur um Ausbildung, sondern auch um ein generelles Umdenken. Einerseits
sind viele Menschen hier noch stark in der Tradition verankert und ziehen mit Speer
und Stock bewaffnet hinter ihren Kühen her. Aber andererseits gibt es in Juba oder
anderen größeren Städten des Südsudan viele junge Leute, die mit allen modernen Kommunikationstechniken
vertraut sind.“
Eine andere Herausforderung ist nach zwei Jahrzehnten Bürgerkrieg
nach wie vor der Friedens- und Versöhnungsprozess innerhalb der Bevölkerung, so der
Geistliche. Nicht nur die Auseinandersetzungen mit dem Norden hätten bei den Südsudanesen
viele Wunden hinterlassen, sondern auch die südsudanesische Rebellenorganisation SPLM
(Sudanese People’s Liberation Movement) habe viel Schuld auf sich geladen. Der Missionar:
„Die
SPLM hat sich keineswegs immer als Befreiungsfront aufgeführt. Überhaupt bilden die
Südsudanesen keine brüderliche Volksgemeinschaft. Unter den vielen ethnischen Gruppen
herrschen oft Spannungen, die wir uns als Europäer kaum vorstellen können. Es wird
noch dauern, bis sich ein allgemeines nationales Bewusstsein herausgebildet hat. Das
ist eine Herausforderung, die von der heranwachsenden und nachfolgenden Generation
bewältigt werden muss. Hier leistet die Kirche einen maßgeblichen Beitrag.“
Egal,
was die Zukunft bringt – die Kirche bereite sich schon jetzt darauf vor, auch andere
Aufgaben wahrzunehmen, so der Missionar, insbesondere die zarten Sprossen der Demokratie
im Sudan zu hegen und zu bewachen.
„Hinzu kommt, dass die Kirche auch ein
wachsames und kritisches Auge auf die ‚Neuen Herren‛ des neuen südsudanesischen Staates
haben muss. Auch das tut sie jetzt schon, aber in Zukunft kommt dieser Aufgabe noch
mehr Bedeutung zu. Denn bisher hatte man mit Khartum genug zu tun, jetzt aber wird
im eigenen Haus gefegt. Ein Bischof hat bereits ein sehr mutiges Wort gesprochen,
als er sagte: ‚Wir wollen nicht die alten Diktatoren gegen neue eintauschen.‛ Dieses
Zitat zeigt, dass sich die Kirche schon auf die neue Situation vorbereitet.“