2011-01-06 13:37:34

Sudan: Bye bye Khartoum?


RealAudioMP3 Selbständigkeit und Fortschritt, soziale und wirtschaftliche Entwicklung – das verbinden die Menschen im Südsudan mit einer Loslösung vom Norden. In Afrikas größtem Staat wird am kommenden Sonntag über eine solche mögliche Teilung entschieden. Ein Bericht von Anne Preckel mit Material von Kirche in Not.

Für viele Südsudanesen ist es geradezu undenkbar, Teil des Sudans zu bleiben, weil sie sich durch die nordsudanesische Bevölkerung benachteiligt und diskriminiert fühlen. Das beobachtet der Comboni-Missionar Bruder Hans Dieter Ritterbecks im Gespräch mit dem katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“. Er hält sich derzeit im Südsudan auf.

„Die Geschichte des Landes ist von Sklavenhandel, Diskriminierung und Unterdrückung geprägt, und die Südsudanesen wurden niemals als gleichberechtigt angesehen. Im Übrigen wurde vom Regierungssitz Khartum aus seit 2005 so gut wie nichts unternommen, um die Einheit attraktiv zu machen. Die klassische Gesellschaftsordnung im Nordsudan sieht nach wie vor folgendermaßen aus: Erstens der arabische muslimische Mann, zweitens die arabische muslimische Frau, drittens der nicht arabische muslimische Mann, viertens die nicht arabische muslimische Frau. Erst dann folgt der ganze Rest. Da sich nur wenige Südsudanesen zum Islam bekennen, kann man sich unschwer vorstellen, wo sie eingruppiert werden.“


Probleme bei Vorbereitung der Wahl
Im Südsudan überwiegen Christen und Anhänger der Naturreligionen; der Norden ist dagegen muslimisch geprägt. Die Vorbereitung des Referendums sei in einigen Regionen nicht ganz glatt abgelaufen, erzählt Ritterbecks und nennt ein Beispiel:

„Vor einigen Tagen hörte ich von einem Journalisten, dass beispielsweise in der Region Abyei überhaupt keine Registrierung stattgefunden hatte. In dieser erdölreichen Region wird ein gesondertes Referendum abgehalten. Abyei wird von dem südsudanesischen Stamm der Dinka Ngok besiedelt, die sich wohl mehrheitlich für die Unabhängigkeit entscheiden würden. Khartum besteht allerdings darauf, dass auch die Misseriya bei der Registrierung berücksichtigt werden. Dieser nordsudanesische Nomadenstamm treibt saisonweise seine Herden in das Weideland um Abyei und würde geschlossen für die Einheit stimmen.“

Ein anderes Problem bei der Durchführung der Wahl: Viele Südsudanesen seien Analphabeten, ihnen habe man bei der Registrierung das Wie und Was der Abstimmung bildlich erklären müssen.

„Auf dem Wahlschein hat man sich darum mit zwei einfachen Abbildungen beholfen: Ein Handschlag mit zwei Händen steht für die Einheit und eine ausgestreckte Hand steht für die Trennung. Letzteres würden wir im Deutschen mit Winken oder "Auf Wiedersehen" übersetzen. Also: "Bye-bye, Khartum". Das hat hier jeder kapiert, und ich denke, die Menschen wissen, worum es geht.“


Norden will Einheit aus wirtschaftlichen Gründen
Das Referendum beginnt am kommenden Sonntag und dauert insgesamt eine Woche. Für eine Gültigkeit der Abstimmung müssen 60 Prozent aller Registrierten ihre Stimme abgeben. Andernfalls sei das Ergebnis ungültig, so Ritterbecks. Dem Norden käme das entgegen, denn er wolle den Süden auf keinen Fall in die Unabhängigkeit entlassen, glaubt der Comboni-Missionar. Der Grund: Erdölvorkommen im Südsudan. Nach dem derzeit gültigen Abkommen teilen sich die halbautonome Regierung des Südsudans und die Zentralregierung in Khartoum die Erträge aus dem Erdölgeschäft zu gleichen Teilen auf, nur zwei Prozent kämen dabei der Region zugute, in der das Öl gefördert wird, nämlich den Menschen im Südsudan.

„Was mit dem Geld gemacht wird, lässt sich nicht so eindeutig sagen. In Khartoum wurde nach dem Krieg, und das lässt sich beobachten, viel in die Infrastruktur investiert. Wahrscheinlich bauen aber auch beide Seiten ihre Waffenarsenale aus. Vielleicht, aber wer weiß das schon. 8.49 Im Südsudan wird in dem Zusammenhang viel über Korruption gesprochen, wobei eine Menge Geld einfach verschwindet. Präsident Salva Kiir hat mehrere Male den Kampf gegen die Korruption als Priorität hervorgehoben, wobei nach seinen eigenen Worten bislang nur die Spitze des Eisberges freigelegt wurde.“

Wie das Erdölgeschäft geregelt wird, wenn der Südsudan tatsächlich unabhängig werden sollte – das sei eine der „spannenden Fragen“ im Kontext des bevorstehenden Referendums, so der Comboni-Missionar. Das internationale Interesse am Südsudan sei dabei auch nicht unschuldig:

„Bis vor nicht allzu langer Zeit war der Sudan unattraktiv für die internationale Gemeinschaft, bis dann 1978 Erdöl entdeckt wurde. Mittlerweile hat sich das in der internationalen Staatengemeinschaft etwas geändert. Die USA haben Unterstützung für den Südsudan signalisiert, in der EU gibt es unterschiedliche Stellungen. Hinter vorgehaltener Hand sagt man übrigens, dass nicht die islamische Gesetzgebung vom September 1983 der Grund für den zweiten Bürgerkrieg war, sondern das neu entdeckte Erdöl. Es dauerte allerdings bis 1999, bis das erste Öl aus dem Sudan exportiert wurde. Mit diesen Erlösen hat der Norden, der damalig alleinige Nutznießer, hauptsächlich seinen Krieg finanziert. Mit Sicherheit hat das Erdöl das Interesse anderer geweckt und die Beziehungslage zum Sudan neu geordnet.“

Den Löwenanteil der Erdölförderung besitzen im Sudan übrigens die Chinesen, erzählt der Geistliche weiter. Für die Menschen im Sudan handelt es sich beim Erdöl um eine zwiespältige Ressource: Einerseits steht es für Entwicklung und Aufbau, andererseits wurden mit den Erlösen in der Vergangenheit im eigenen Land Kriege finanziert. Und auch die ausländischen Nutznießer hätten Dreck am Stecken, so Ritterbecks:

„Die deutsche Hilfsorganisation Hoffnungszeichen hat im Erdölfördergebiet von Zajaff erhebliche Grundwasserverseuchung durch Chemikalien, die bei den Bohrungen verwendet werden, festgestellt. Die verantwortlichen Firmen und Politiker haben völlig verantwortungslos gehandelt. Das geht nicht nur gegen die Menschenrechte allgemein, sondern ist eine akute Bedrohung in der Region für Mensch und Vieh.“

Folgen des Referendums für Christen
Doch blicken wir nun ein wenig in die Zukunft. Was wird passieren, wenn das Referendum zur Unabhängigkeit - entgegen der meisten Vorhersagen - scheitern würde? In dem Fall würde der Südsudan unilateral seine Unabhängigkeit erklären, so Ritterbecks, das habe der Präsident des Südsudans, Salva Kiir, schon im Vorfeld der Wahl angekündigt:

„Er scheint sich sicher zu sein, dass weite Teile der internationalen Gemeinschaft eine solche Entscheidung mittragen würden. Das Problem wäre allerdings die Grenze, da es noch keine übereinstimmende Demarkationslinie gibt.“

Was die Lebensbedingungen der Christen im Norden des Sudans betreffe – die würden sich mit der Loslösung des Südsudans verschlechtern, meint Ritterbecks. Dafür gebe es schon jetzt konkrete Hinweise:

„Der Präsident des Nordens, Omar Hassan al-Bashir, hat schon verlauten lassen, dass sich die Verfassung des Nordens im Falle der Unabhängigkeit des Südens verändern wird. Er sagte, dass die Scharia und der Islam die neuen Grundsteine für die reformierte Verfassung sein werden. Wenn das tatsächlich eintritt, wird es für Christen und Nichtmuslime im Norden noch viel schwieriger.“

Immerhin – auch wenn sich beide Interessenlagen direkt gegenüber stehen: Massive Einschüchterungen oder Gewaltandrohungen hat Ritterbecks bisher nicht beobachten können. Und im Gegensatz zu anderen Beobachtern hält der Comboni-Missionar auch Ausschreitungen nach der Wahl für eher unwahrscheinlich:

„Es wird zwar beobachtet, dass beide Seiten massiv Truppen an der vermeintlichen Grenze zusammengezogen haben. Ich hoffe aber, dass es sich dabei nur um ein Muskelspiel handelt. Der Sudan hat bereits zwei Kriege hinter sich; man müsste meinen, dass die Menschen genug haben. In diesem Zusammenhang muss aber auch gesagt werden, dass die Südsudanesen bereits im Unabhängigkeitstaumel sind. Das ist eine hochbrisante emotionale Angelegenheit. Sollte es während des Referendums tatsächlich chaotisch werden, könnte das zu Überreaktionen führen.“


Historische Benachteiligung des Südens

„Keiner war jemals daran interessiert, etwas für den Süden zu tun.
Das erklärt auch den Frust und das Misstrauen der Südsudanesen
und die unumstößliche Entschlossenheit, das Heft in die eigene Hand zu nehmen.“


Um den Unabhängigkeitsdrang der Südsudanesen zu verstehen, muss man einen Blick in die wechselvolle Geschichte des Sudans werfen. Durch sie zieht sich wie ein roter Faden der Kampf um Unabhängigkeit. Gegen die ägyptische Besatzung lehnten sich die Sudanesen schon im frühen 19. Jahrhundert auf; der so genannte „Mahdi“-Aufstand (1881-1899) gegen die anglo-ägyptische Herrschaft im Sudan – er gilt als der erste erfolgreiche Aufstand eines afrikanischen Landes gegen den Kolonialismus. Angeführt wurde er vom islamisch-politischen Führer Muhammad Ahmad, der sich selbst zu einem „von Gott Geleiteten“, einem „Mahdi“, ernannte. Dazu Ritterbecks:

Dieser Aufstand wurde dann um 1890 gemeinsam von den Engländern und Ägyptern niedergeschlagen und leitete die englisch-ägyptische Vorherrschaft im Sudan ein.“

Und tatsächlich sollte es noch ein gutes halbes Jahrhundert dauern, bis der Sudan – seitdem ein eigener Staat – tatsächlich unabhängig werden sollte. 1956 entließ es die anglo-ägyptische Kolonialregierung in die Unabhängigkeit. Ägypten zählt heute übrigens zu einem der schärfsten Gegner der südsudanesischen Unabhängigkeit. Zur Ruhe kam der Sudan aber auch nach der unabhängigkiet nicht: Die politische Macht erhielt nämlich die arabische Elite des Landes, die den Süden benachteiligte und die bis heute nur knapp 20 Prozent der Bevölkerung ausmacht:

„Die schlimmste Folge war, dass sich das der Süden nicht gefallen ließ und es zu zwei Bürgerkriegen kam. 1955-72, noch vor der offiziellen Unabhängigkeitserklärung bis zum Alesabeba-Abkommen und dann der zweite von 1983 bis 2005, also von Inkrafttreten der islamischen Gesetzgebung, den so genannten Septembergesetzen bis zum Friedensabkommen CPA im Januar 2005, das steht für Comprehensive Peace Agreement.“

Blutige Bürgerkriege und chronische Unterentwicklung führten so dazu, dass der Südsudan in jeder Hinsicht zum „Schlusslicht“ im Vergleich zu den angrenzenden Nachbarstaaten wie Kenia und Uganda geworden sei, so Ritterbecks:

„Das galt nicht nur für die wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch für den Bildungssektor, den Gesundheitssektor usw. Hinzu kamen regelmäßige Lebensmittelknappheit und Probleme bei der Trinkwasserversorgung.“


Versöhnung und Aufbau
Das Referendum von diesem Sonntag ist Kernstück des Friedensabkommens von 2005 zwischen dem Nord- und Südteil des Landes. Damals einigten sich die Zentralregierung in Khartoum und die Südsudanesische Befreiungsarmee „SPLA“ (Sudanese People Liberation Army) auf die Schaffung einer autonomen Region Südsudan, die sich weitgehend selbst verwalten sollte. Nach jahrzehntelangem Krieg geht mit der Unabhängigkeit des Südens die Aufbauarbeit im Sudan aber erst richtig los, prognostiziert Ritterbecks:

„Es gibt eine Menge zu tun, denn es mangelt überall an Fachkräften. Die internationale Staatengemeinschaft ist aufgefordert, hier konstruktive Hilfe zu leisten. Es geht dabei nicht nur um Ausbildung, sondern auch um ein generelles Umdenken. Einerseits sind viele Menschen hier noch stark in der Tradition verankert und ziehen mit Speer und Stock bewaffnet hinter ihren Kühen her. Aber andererseits gibt es in Juba oder anderen größeren Städten des Südsudan viele junge Leute, die mit allen modernen Kommunikationstechniken vertraut sind.“

Eine andere Herausforderung ist nach zwei Jahrzehnten Bürgerkrieg nach wie vor der Friedens- und Versöhnungsprozess innerhalb der Bevölkerung, so der Geistliche. Nicht nur die Auseinandersetzungen mit dem Norden hätten bei den Südsudanesen viele Wunden hinterlassen, sondern auch die südsudanesische Rebellenorganisation SPLM (Sudanese People’s Liberation Movement) habe viel Schuld auf sich geladen. Der Missionar:

„Die SPLM hat sich keineswegs immer als Befreiungsfront aufgeführt. Überhaupt bilden die Südsudanesen keine brüderliche Volksgemeinschaft. Unter den vielen ethnischen Gruppen herrschen oft Spannungen, die wir uns als Europäer kaum vorstellen können. Es wird noch dauern, bis sich ein allgemeines nationales Bewusstsein herausgebildet hat. Das ist eine Herausforderung, die von der heranwachsenden und nachfolgenden Generation bewältigt werden muss. Hier leistet die Kirche einen maßgeblichen Beitrag.“

Egal, was die Zukunft bringt – die Kirche bereite sich schon jetzt darauf vor, auch andere Aufgaben wahrzunehmen, so der Missionar, insbesondere die zarten Sprossen der Demokratie im Sudan zu hegen und zu bewachen.

„Hinzu kommt, dass die Kirche auch ein wachsames und kritisches Auge auf die ‚Neuen Herren‛ des neuen südsudanesischen Staates haben muss. Auch das tut sie jetzt schon, aber in Zukunft kommt dieser Aufgabe noch mehr Bedeutung zu. Denn bisher hatte man mit Khartum genug zu tun, jetzt aber wird im eigenen Haus gefegt. Ein Bischof hat bereits ein sehr mutiges Wort gesprochen, als er sagte: ‚Wir wollen nicht die alten Diktatoren gegen neue eintauschen.‛ Dieses Zitat zeigt, dass sich die Kirche schon auf die neue Situation vorbereitet.“

(kirche-in-not/rv 04.01.2011 pr)








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