Afghanistan: „Gegen religiöse Verfolgung hilft nur öffentlicher Druck“
Der Übertritt zum
Christentum – in Afghanistan reicht dieser Schritt, um eingesperrt oder sogar hingerichtet
zu werden. Dieses Schicksal hat an diesem Dienstag möglicherweise den 25-jährigen
Konvertiten Shoib Assadullah ereilt: Er wurde für den Abfall vom Islam bereits im
Oktober letzten Jahres zum Tode verurteilt. Bis zu diesem Montag sollte der junge
Mann dem Christentum abschwören, was er ablehnte. Das Urteil sollte an diesem Dienstagmorgen
verkündet und vollstreckt werden, und zwar innerhalb des deutschen Mandatsgebietes,
in Mazar-e-Sharif. Informationen, ob der Mann derzeit noch am Leben ist, liegen bisher
nicht vor. Den Fall bekannt gemacht hat die Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte
in Frankfurt, sie hatte mit dem Inhaftierten in den letzten Tagen noch über Handy
telefoniert. Heute brach dann der Kontakt ab. Max Klingberg von der IGFM schätzt die
Zahl der Konvertiten in Afghanistan auf 500 bis 8.000, genaue Zahlen seien schwer
zu ermitteln, denn die Konvertiten hielten ihren Glauben selbst vor der Familie geheim,
sagt uns der Menschenrechtler:
„Konvertiten sind in jedem Fall aufs Höchste
gefährdet. Die Mehrheit von ihnen muss das sogar vor ihren Familien verbergen. Viele
dieser Konvertiten werden von Angehörigen umgebracht oder von Extremisten. Der Fall
jetzt, dass ein Konvertit von den Behörden zur Rechenschaft gezogen wird, ist eher
selten, obwohl es das in der Vergangenheit schon mehrfach gegeben hat. Diese Konvertiten
sind dann entweder verschwunden, niemand weiß, was mit ihnen passiert ist, oder ganz
selten konnte man den Kontakt halten wie in diesem Fall.“
Der 25-jährige
Afghane Assadullah wurde vergangenen Oktober in Mazar-e-Sharif verhaftet, weil er
einem Landsmann ein Neues Testament in der Landessprache Darri gegeben hatte. Auch
ein anderer Konvertit sitze derzeit im Gefängnis, berichtet Menschenrechtler Klingberg.
Überhaupt könne das christliche Leben in Afghanistan nur im Verborgenen stattfinden.
Um Menschen Christen und Konvertiten zu helfen, müsse der Westen Druck auf die afghanischen
Behörden ausüben – das sei der einzige Weg:
„In der Vergangenheit hat sich
gezeigt, wenn es keinen öffentlichen Druck gibt, kein Interesse der Geberländer, dann
verschwinden diese Leute, sie werden im Stillen hingerichtet oder auch ganz öffentlich,
weil offensichtlich dann keinerlei Konsequenzen folgen. Die Regierungen dieser Länder
haben kein Interesse daran, öffentlich an den Pranger gestellt zu werden. In Ländern
zum Beispiel wie Ägypten ist das auch mit erheblichen wirtschaftlichen Verlusten verbunden,
weil Ägypten ein wichtiges Urlaubsland ist. Wir wünschen uns also in jedem Fall eine
aktives, öffentliches Hingehen auf die afghanischen Behörden, um sie daran zu erinnern,
dass sie völkerrechtlich verbindliche Verträge ratifiziert haben.“
Die
IGFM hatte den deutschen Außenminister Guido Westerwelle aufgefordert, Afghanistan
auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen des Landes hinzuweisen. Wie Deutschland
und andere europäische Länder habe schließlich auch Afghanistan den so genannten „Zivilpakt“
freiwillig ratifiziert, so Klingberg. Der Zivilpakt gilt als der wichtigste völkerrechtliche
Menschenrechtsvertrag. Darin festgeschrieben sind die Religionsfreiheit eines jeden
Menschen sowie sein Recht, sich einem Glauben zuzuwenden und ihn öffentlich zu bekunden.
Verstöße müssten geahndet werden, erinnert der IGFM-Sprecher eindringlich. Seiner
Beobachtung nach hat sich die Situation der Religionsfreiheit weltweit verschlechtert,
es gebe in vielen islamischen Ländern eine stärkere Hinwendung zum Fundamentalismus.
„Die
Gesellschaften haben sich geändert. Es ist nicht nur ein Problem der Rechtsfreiheit,
es ist ein gesellschaftliches Problem: Gerade in den Ländern, wo es Anschläge gegeben
hat, derzeit ist es ja besonders dramatisch in Ägypten, gibt es eine stark zunehmende
Islamisierung, und zwar eine Islamisierung hin zu einem sehr konservativen, fundamentalistischen
Islam. Und der ist der Nährboden für extremistische Gewalt, das nimmt sehr stark zu.
Was wir da jetzt sehen ist nach Einschätzung der IGFM ein Symptom der Islamisierung
vieler islamischer Gesellschaften.“