Silvester-Predigten in Deutschland: Eine Übersicht
In ihren Silvester-Predigten haben Bischöfe in Deutschland an die Missbrauchs-Skandale
des letzten Jahres erinnert und versprochen, weiterhin für Aufklärung und Prävention
zu sorgen. In vielen Predigten gab es selbstkritische Töne, aber auch den Aufruf,
das neue Jahr mit Optimismus zu beginnen.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz,
Erzbischof Robert Zollitsch, rief die Christen auf, die Krise durch den Missbrauchsskandal
als Chance zu begreifen. Kirche sei mehr und größer als die dunklen Seiten, die sich
manchmal in den Vordergrund drängten, sagte Zollitsch im Freiburger Münster. Er erinnerte
an das Engagement und Herzblut, mit dem viele aktiv seien, ohne im Scheinwerferlicht
der Öffentlichkeit zu stehen. Erneut warb der Erzbischof für den von der Bischofskonferenz
angestoßenen Dialogprozess. Es gehe darum, „mehr aufeinander und gemeinsam auf Gott
zu hören“.
„Dialogprozess birgt auch Gefahren“
Der Mainzer
Kardinal Karl Lehmann sieht in diesem geplanten „Dialogprozess“ freilich auch
Gefahren. Im Mainzer Dom warnte Lehmann vor einem „ewigen Jammern über das verlorene
Vertrauen“ und einer „gebetsmühlenartigen Wiederholung“ von Schuld, die die Kirche
wegen des Missbrauchsskandals zu tragen habe. Nach Einschätzung Lehmanns hat die katholische
Kirche „genug und genügend klar“ zum Ausdruck gebracht, dass sie über die Vorfälle
sehr erschrocken sei und ihre Unzulänglichkeit einsehe. Eine Inflation der Schuldbekenntnisse
mache die Kirche „am Ende bei wichtigen Partnern und Instanzen lächerlich“. Dialog
allein sei kein Allheilmittel, so der Kardinal. Die wichtigste Voraussetzung für
alle Erneuerung sei ein vertiefter Glaube an Gott. Sonst bestehe die Gefahr, sich
mit einem „weitgehend kircheninternen Dialog über kirchliche Probleme zu isolieren“.
Der Kölner Kardinal Joachim Meisner bezeichnete 2010 als „annus terribilis“,
als Jahr des Schreckens für die Kirche. Dabei bezog er sich in seiner Predigt im Kölner
Dom vor allem auf die Missbrauchsdebatte. Gleichzeitig aber sei es auch ein Jahr der
Gnade gewesen: „Wenn aus einem Körper die Krankheitsherde entfernt werden, dann entsteht
die Chance zu einer baldigen Genesung und zu einem Erstarken der Vitalität“, so der
Kardinal.
Der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx,
riet der Kirche, wieder missionarischer zu werden. „Die Neuevangelisierung ist unser
Auftrag für die kommende Zeit“, sagte Marx im überfüllten Münchner Liebfrauendom:
„Wir müssen den katholischen Glauben in einer neuen kraftvollen Weise aussagen.“ Er
spüre bei vielen Menschen eine tiefe Verunsicherung, nicht nur in der Kirche, sondern
auch in der Gesellschaft. Dies zeige sich auch in den „vielen Kirchenaustritten, die
mich als Bischof beunruhigen“. Es sei nun wichtig, „einen neuen Haltepunkt zu finden,
indem wir auf das Zentrum, auf das Ganze schauen“, so Marx: „Die Tür zu Gott ist weit
geöffnet. Diese Tür ist Christus selber.“ In der Heiligen Messe stehe in der Feier
der Eucharistie diese Tür offen. Das sei das größte Glück des Glaubens: „Dies neu
sichtbar zu machen, ist unser Auftrag.“
Das zu Ende gehende Jahr sei ein schweres
Jahr für die Kirche in Deutschland und im Erzbistum gewesen. „Wir werden uns auch
in Zukunft mit der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs befassen müssen. Wir werden
der Wahrheit ins Auge schauen, aber wir dürfen nicht zulassen, dass es so etwas gibt
wie einen Generalverdacht“, sagte der Kardinal: „Wir müssen unsere Hausaufgaben machen.
Aber die ganze Gesellschaft muss ihren Weg gehen, aufmerksam sein dafür, was Kinder
und Jugendliche erleben und erleiden.“
Dt. Kirche hat „gewichtige Hausaufgaben“
Der
Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker ermunterte die Menschen, mit Hoffnung
und Zuversicht ins neue Jahr zu gehen und „gegen die Eisberge kalter Berechnung“ sowie
„gegen den selbst auferlegten Leistungs- und Perfektionszwang unserer Tage“ zu arbeiten.
Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick rief 2011 zum „Jahr der Teilhabe am
Leben der Kirche“ aus. Es brauche eine Erneuerung, nicht damit die Kirche wieder stark,
sondern damit die Welt gerettet werde, sagte Schick im Bamberger Dom. Neben den treuen
Katholiken bräuchten auch die Fernstehenden die Kirche als moralische Instanz, weil
sie die ewig gültigen Werte und die Maßstäbe Gottes in der Welt verkünde. Auch BischofGebhard Fürst von Rottenburg-Stuttgart rief für 2011 zu einem hoffnungsvollen
Aufbruch auf.
Der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke meinte zu
Silvester, die Kirche brauche jetzt zuallererst wieder mehr das Engagement der einzelnen
Getauften, um ihre gegenwärtige Krise zu bewältigen. Wichtiger als alle Imagerezepte
und Managementtheorien seien heute Christen, die ihren Glauben nicht einfach nur abspulen,
sondern als Glaubenszeugen wirken. Die aktuelle Krise der Kirche sei eine Vertrauens-,
vor allem aber auch eine Glaubenskrise; das Glaubenswissen sei erschreckend gesunken,
"die Glaubensinhalte greifen nicht mehr". Mit Blick auf die Kirchengeschichte sei
es aber nicht angebracht, die aktuelle Situation als die schwerste Krise der Kirche
zu bezeichnen, wie in einigen Medien geschehen.
Der Trierer Bischof Stephan
Ackermann geht für das kommende Jahr von einem „epochalen Umbruch der sozialen
Gestalt der Kirche in unserem Land“ aus. Mit Blick auf den Missbrauchsskandal sprach
er von „gewichtigen Hausaufgaben“. Als Beispiele nannte er die Frage nach materieller
Anerkennung und anderen Hilfen für die Betroffenen. Nicht wenige Menschen hätten 2010
der Kirche den Rücken gekehrt. Der Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff bat
zum Jahresende erneut um Verzeihung für die Missbrauchsfälle. Es sei ein schmerzlicher
Kontrast zur Frohen Botschaft der Kirche, „was sich in diesem Jahr an schweren Verfehlungen“
an Kindern und Jugendlichen offenbart habe.
Bischof Felix Genn von
Münster warnte in seiner Predigt vor einer Freigabe von Gentests an Embryonen in der
Präimplantationsdiagnostik (PID) (vgl. unseren Newsletter vom 31.12.2010).
Der Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst stellte sich hinter den
Kölner Kardinal Meisner, dessen jüngste Äußerungen zur PID auf scharfe Kritik gestoßen
waren. Beim Lebensschutz dürfe es keine Kompromisse auf Kosten des Lebens der Kinder
geben, so Tebartz-van Elst in einem Interview der Mainzer „Allgemeinen Zeitung“. Diese
klare Botschaft der Kirche müsse unverkürzt immer wieder gesagt werden. Meisner hatte
die PID mit dem Bethlehemer Kindermord des Herodes verglichen und betont, Folge der
PID seien „Selektion und Tötung“. Tebartz-van Elst wies auch den Vorwurf einer autoritären
oder prunksüchtigen Amtsführung zurück, der kürzlich im Hamburger Nachrichtenmagazin
„Der Spiegel“ gegen ihn erhoben wurde. Wenn er Gottesdienste festlich gestalte, gehe
es nicht um „Entertainment oder Selbstdarstellung“, sondern um die katholische Liturgie
als Schatz der Kirche.
Evangelische Kirchenführer: „Böses mit Gutem
überwinden“ Wie kann man die biblische Aufforderung, „das Böse mit Gutem
zu überwinden“, in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft umsetzen? Mit dieser Frage
beschäftigten sich evangelische Kirchenleiter in Deutschland in ihren Neujahrsbotschaften.
Sie beziehen sich auf die „Losung“ für das Jahr 2011: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden,
sondern überwinde das Böse mit Gutem“ (Römer 12,21). Der hessen-nassauische Kirchenpräsident
Volker Jung (Darmstadt) bezieht das Wort unter anderem auf die Reaktion auf Christenverfolgung
in zahlreichen, vor allem muslimisch geprägten Ländern. „Die Ermordung von Christen
und die Zerstörung von Kirchen in anderen Ländern sind verabscheuungswürdig, und ich
verurteile sie scharf. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass sie den offenen interreligiösen
Dialog in Deutschland und die Integration dialogbereiter Muslime in unserer Gesellschaft
beschädigen“, schreibt Jung. Andere Kirchenleiter gehen in ihren Neujahrsbotschaften
auf die wirtschaftliche Situation ein. Der Vorsitzende der nordelbischen Kirchenleitung,
Bischof Gerhard Ulrich, ruft dazu auf, angesichts des Konjunkturaufschwungs
in Deutschland „unseren Reichtum in anderem Licht zu sehen“. Das hiesige Wirtschaften
habe Auswirkungen auf Menschen in anderen Erdteilen. So habe der Klimawandel dort
vielfach fatale Folgen und führe zu Flüchtlingsbewegungen. Es gelte, „unsere Hände
zu öffnen und mit denen zu teilen, die dringend auf unsere Hilfe warten“. Die Aufforderung,
das Böse mit Gutem zu überwinden, gelte auch für den militärischen und zivilen Einsatz
in Afghanistan und andern Ländern. Dort müsse das entwicklungspolitische Engagement
weitergeführt und zum Teil deutlich gestärkt werden. Der Leiter der Evangelischen
Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, BischofMarkus Dröge
aus Berlin, würdigte das ehrenamtliche Engagement in Kirche und Gesellschaft: „Wir
arm wäre unsere Welt ohne diejenigen, die sich für den Wiederaufbau von Dorfkirchen
engagieren und diese offen halten, ohne die Frauen und Männer, die in Suppenküchen
Obdachlose ehrenamtlich begleiten oder mit der Reparatur alter Fahrräder denjenigen
zu neuer Mobilität verhelfen, die sich eine Monatskarte nicht mehr leisten können.“
Dröge dankt auch den Gutverdienenden, die sich mit hohen Kirchensteuerzahlungen, Kollekten
und Spenden für die Kirche einsetzen. Eine wichtige Aufgabe für das kommende Jahr
bleibe, „die Armut in unserem reichen Land zu lindern“. (kna/pm/rv/idea 01.01.2011
sk)