Wir dokumentieren hier die Predigt von Papst Benedikt XVI. bei der Neujahrsmesse in
St. Peter am 1. Januar im vollen Wortlaut – in einer Arbeitsübersetzung, die uns Monsignore
E. Albrecht zur Verfügung stellte.
„Liebe Brüder und Schwestern!
Noch
umfangen von der geistlichen Atmosphäre von Weihnachten, in der wir das Geheimnis
der Geburt Christi betrachtet haben, feiern wir heute mit denselben Empfindungen die
Jungfrau Maria, die die Kirche als Mutter Gottes verehrt, da sie dem Sohn des ewigen
Vaters einen menschlichen Leib geschenkt hat. Die biblischen Lesungen dieses Hochfests
legen den Akzent hauptsächlich auf den Mensch gewordenen Sohn Gottes und auf den „Namen“
des Herrn. Die erste Lesung stellt uns den feierlichen Segen vor, den die Priester
an den großen religiösen Festen über die Israeliten aussprachen: Er wird gerade vom
Namen des Herrn her ausgesprochen, der dreimal wiederholt wird, wie um der Fülle und
der Kraft Ausdruck zu verleihen, die aus einer solchen Anrufung erwächst. Dieser Text
des liturgischen Segens beschwört in der Tat den Reichtum der Gnade und des Friedens
herauf, den Gott dem Menschen in seiner Güte und Menschenfreundlichkeit ihm gegenüber
schenkt und der sich im „Leuchten“ des göttlichen Angesichts und in seiner „Zuwendung“
zu uns zeigt.
Die Kirche hört diese Worte heute wieder, während sie den Herrn
bittet, das gerade begonnene neue Jahr zu segnen – im Bewusstsein, dass angesichts
der tragischen Ereignisse, die die Geschichte kennzeichnen, dass angesichts der Kriegsstrategien,
die leider noch nicht ganz überwunden sind, nur Gott das menschliche Herz im Innersten,
im Tiefsten berühren und der Menschheit Hoffnung und Frieden zusichern kann. Denn
es ist schon eine feste Tradition, dass die Kirche in aller Welt am ersten Tag des
Jahres ein einstimmiges Gebet erhebt, um den Frieden zu erflehen. Es ist gut, einen
neuen Wegabschnitt zu beginnen, indem man sich mit Entschlossenheit auf den Weg des
Friedens begibt. Heute wollen wir den Aufschrei so vieler Männer, Frauen, Kinder und
alter Menschen aufnehmen, die Opfer von Krieg sind, der das entsetzlichste und gewaltsamste
Angesicht der Geschichte ist. Wir beten heute darum, dass der Friede, den die Engel
den Hirten in der Heiligen Nacht verkündet haben, überallhin gelangen kann: „Auf Erden
ist Friede bei den Menschen seiner Gnade.“ (Lk 2,14). Deshalb wollen wir besonders
durch unser Gebet jedem Menschen und jedem Volk – insbesondere denen, die Regierungsverantwortung
haben – helfen, immer entschlossener auf dem Weg des Friedens zu gehen.
In
der zweiten Lesung fasst der heilige Paulus in der Sohnschaft das von Christus vollendete
Heilswerk zusammen, in das die Gestalt Mariens gleichsam eingesetzt ist. Dank ihr
hat der Sohn Gottes, „geboren von einer Frau“ (Gal 4,4), in der Fülle der Zeit als
wahrer Mensch zur Welt kommen können. Solch eine Erfüllung, solch eine Fülle betrifft
die Vergangenheit und die messianischen Erwartungen, die Wirklichkeit werden, aber
sie nimmt zugleich auch Bezug auf die Fülle im absoluten Sinn: Im Fleisch gewordenen
Wort hat Gott sein letztes und endgültiges Wort gesprochen. An der Schwelle eines
neuen Jahres erklingt so die Einladung, voll Freude dem „aufstrahlenden Licht aus
der Höhe“ (Lk 1,78) entgegenzugehen, weil aus der christlichen Perspektive Gott in
aller Zeit wohnt, es gibt keine Zukunft, die nicht auf Christus gerichtet ist, und
es gibt keine Fülle außer jener, die von Christus kommt.
Der Abschnitt des
heutigen Evangeliums endet mit der Namensgebung Jesu, während Maria still Anteil nimmt
und im Herzen über das Geheimnis dieses ihres Sohnes nachdenkt, der in ganz einzigartiger
Weise ein Geschenk Gottes ist. Aber die Perikope des Evangeliums, die wir gehört haben,
hebt besonders die Hirten hervor, die zurückkehrten und „Gott rühmten und priesen
für das, was sie gehört und gesehen hatten“ (Lk 2,20). Der Engel hatte ihnen verkündet,
dass in der Stadt Davids, also in Betlehem, der Retter geboren wurde und dass sie
das Zeichen finden würden: ein Kind, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt
(vgl. Lk 2,11-12). Sie waren eilends aufgebrochen und hatten Maria und Josef und das
Kind gefunden. Wir bemerken, wie der Evangelist über die Mutterschaft Mariens spricht
– ausgehend von dem Sohn, von jenem „in Windeln gewickelten Kind“, weil Er – das Wort
Gottes (Joh 1,14) – der Bezugspunkt, der Mittelpunkt des Ereignisses ist, das sich
gerade erfüllt, und (weil) Er es ist, der gewährleistet, dass die Mutterschaft Mariens
als „göttlich“ bezeichnet wird.
Diese vorwiegende Aufmerksamkeit, die die heutigen
Lesungen dem „Sohn“, Jesus, widmen, mindert nicht die Rolle der Mutter, sondern rückt
sie in die richtige Perspektive: Denn Maria ist in der Tat, die wahre Mutter Gottes,
gerade kraft ihrer vollkommenen Beziehung zu Christus. Deshalb ehrt man die Mutter,
wenn man den Sohn preist, und wenn man die Mutter ehrt, preist man den Sohn. Der Titel
„Mutter Gottes“, den die Liturgie heute hervorhebt, unterstreicht die einzigartige
Sendung der heiligen Jungfrau in der Heilsgeschichte: eine Sendung, die dem Kult und
der Verehrung zugrunde liegt, die das Christenvolk ihr vorbehält. Denn Maria hat das
Geschenk Gottes nicht allein für sich selbst empfangen, sondern um es in die Welt,
um es zur Welt zu bringen: In ihrer fruchtbaren Jungfräulichkeit hat Gott den Menschen
die Güter des ewigen Heils geschenkt (vgl. Tagesgebet). Und Maria bietet dem Gottesvolk
auf seinem Weg durch die Zeit zur Ewigkeit immerfort ihre Mittlerschaft und Fürsprache
an, so wie sie sie einst den Hirten von Betlehem anbot. Sie, die dem Sohn Gottes das
irdische Leben geschenkt hat, schenkt den Menschen weiterhin das göttliche Leben,
das Jesus selbst und sein Heiliger Geist ist. Deshalb wird sie als Mutter eines jeden
Menschen angesehen, der zur Gnade geboren wird, und zugleich wird sie als Mutter der
Kirche angerufen.
Im Namen Marias, der Mutter Gottes und der Menschen, feiert
man vom 1. Januar 1968 an in aller Welt den Weltfriedenstag. Der Friede ist Geschenk
Gottes, wie wir in der ersten Lesung gehört haben: „Der Herr … schenke dir Frieden.“
(Num 6,26) Er ist das messianische Geschenk schlechthin, die erste Frucht der Liebe,
die Jesus uns geschenkt hat, er ist unsere Versöhnung und Aussöhnung mit Gott. Der
Friede ist auch ein menschlicher Wert, der auf der sozialen und politischen Ebene
verwirklicht werden muss, aber er senkt seine Wurzeln in das Geheimnis Christi ein
(vgl. II. Vat. Konzil, Konstitution Gaudium et spes, 77-90). Bei diesem festlichen
Gottesdienst anlässlich des 44. Weltfriedenstages habe ich die Freude, meinen ehrerbietigen
Gruß an die geehrten Herren Botschafter am Heiligen Stuhl zu richten – mit den besten
Wünschen für ihre Mission. Ein herzlicher und brüderlicher Gruß gilt außerdem meinem
Staatssekretär und den anderen Verantwortlichen der Dikasterien der Römischen Kurie
unter besonderem Hinweis auf den Präsidenten des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit
und Frieden und seine Mitarbeiter. Ich möchte ihnen meinen aufrichtigen Dank aussprechen
für den täglichen Dienst, den sie zugunsten eines friedlichen Zusammenlebens zwischen
den Völkern und der immer beständigeren Ausbildung eines Friedensbewusstseins in der
Kirche und in der Welt leisten. In dieser Hinsicht ist die kirchliche Gemeinschaft
immer mehr verpflichtet, gemäß den Weisungen des Lehramtes tätig zu sein, um bei der
beständigen Suche nach dem Frieden ein zuverlässiges geistliches Erbe an Werten und
Prinzipien zu bieten.
Daran wollte ich in meiner Botschaft zum heutigen Tag
erinnern, die den Titel „Religionsfreiheit, ein Weg für den Frieden“ trägt: „Die Welt
braucht Gott. Sie braucht ethische und geistliche Werte, die allgemein geteilt werden.
Und die Religion kann bei dieser Suche einen wertvollen Beitrag für den Aufbau einer
gerechten und friedlichen sozialen Ordnung auf nationaler und internationaler Ebene
leisten.“ (Nr. 15) Ich habe daher betont, dass die Religionsfreiheit „ein unabdingbares
Element eines Rechtsstaates“ ist; „man kann sie nicht verweigern, ohne zugleich alle
Grundrechte und -freiheiten zu verletzen, da sie deren Zusammenfassung und Gipfel
ist“ (Nr. 5).
Die Menschheit kann sich nicht resigniert zeigen gegenüber der
negativen Macht von Egoismus und Gewalt; sie darf sich nicht an Konflikte gewöhnen,
die Opfer fordern und die Zukunft der Völker riskieren. Angesichts der bedrohlichen
Spannungen des Augenblicks, insbesondere angesichts der Diskriminierungen, der Übergriffe
und religiösen Intoleranz, die heute in besonderer Weise die Christen treffen (vgl.
ebd., 1), fordere ich noch einmal dringlich auf, nicht der Mutlosigkeit und der Resignation
nachzugeben. Ich fordere alle auf, dafür zu beten, dass die Anstrengungen, die von
mehreren Seiten unternommen worden sind, um den Frieden in der Welt zu fördern und
aufzurichten, zu einem glücklichen Abschluss gelangen. Für diese schwierige Aufgabe
genügen keine Worte, es ist das konkrete und beständige Engagement der Verantwortlichen
der Nationen erforderlich, aber es ist vor allem notwendig, dass jeder Mensch vom
echten Geist des Friedens beseelt wird, der immer wieder im Gebet erfleht und in den
täglichen Beziehungen in jedem Bereich gelebt werden muss.
Bei dieser Eucharistiefeier
haben wir für unsere Verehrung das Bildnis der Madonna vom Sacro Monte, vom Heiligen
Berg von Viggiano vor Augen, das den Menschen der Basilicata so lieb ist. Die Jungfrau
Maria schenkt uns ihren Sohn, sie zeigt uns das Angesicht ihres Sohnes, des Friedensfürsten:
Sie helfe uns, im Licht dieses Angesichtes zu bleiben, das über uns leuchtet (vgl.
Num 6,25), um die ganze zärtliche Liebe Gottvaters wieder zu entdecken; sie unterstütze
uns, wenn wir den Heiligen Geist anrufen, damit er das Antlitz der Erde erneuere und
die Herzen verwandle, indem er ihre Härte angesichts der entwaffnenden Güte des Kindes
löse, das für uns geboren ist. Die Mutter Gottes begleite uns in diesem neuen Jahr;
sie erwirke für uns und für die ganze Welt das begehrte Geschenk des Friedens.