Der Bischof von Münster, Felix Genn, hat in seiner Silvesteransprache die politische
Verantwortung der Christen für die Gestaltung von Staat und Gesellschaft und die Bedeutung
eines wachen Gewissens für das Zusammenleben der Menschen betont. Im traditionellen
Dankamt der Stadt Münster in der Stadt- und Marktkirche St. Lamberti in Münster erinnerte
er an die mutigen Predigten des münsterischen Bischofs Clemens August von Galen im
Sommer 1941, der von der Lambertikanzel aus in scharfer Form die Unterscheidung von
so genanntem lebenswertem und „lebensunwertem“ Leben kritisiert habe: „Er hat die
Folgen aufgezeigt, die aus der Entscheidung entstehen, den Wert des Lebens von irgendwelcher
menschlichen Entscheidung abhängig zu machen.“ Heute stehe die Gesellschaft angesichts
der Möglichkeiten moderner Medizin und bedrängender Fragen um Anfang und Ende des
Lebens vor einer ähnlichen Herausforderung. Der Bischof warnte vor den Auswirkungen
einer Präimplantationsdiagnostik (PID), durch die im Reagenzglas erzeugte Embryonen
außerhalb des Mutterleibes auf Erbkrankheiten untersucht und aussortiert werden können.
Er fürchte, dass auf eine neue Weise Selektion möglich werde: „Ohne die Not von Eltern
gering zu schätzen, die sich ein Kind wünschen, kann die PID nicht der Weg sein, weil
dadurch ein Dammbruch entsteht, der nicht aufgehalten werden kann.“ Genn wörtlich:
„Der Mensch ist nicht Herr über das Leben, auch nicht Herr über den Embryo.“ Mit der
Verschmelzung von Ei- und Samenzelle sei menschliches Leben entstanden, das von niemandem
getötet werden dürfe. Die Problematik der PID solle nicht allein „auf hoher akademischer
Ebene“ verhandelt werden, sondern gehöre auch in Diskussionsrunden zuhause oder im
Verein.
Genn äußerte sich in seiner Predigt bestürzt über die Fälle sexuellen
Missbrauchs: 2010 werde als ein „Jahr des Schreckens“ in die Kirchengeschichte eingehen,
weil „das Zeugnis für den Gott des Lebens angesichts des Missbrauchs junger Menschen
durch amtliche Vertreter der Kirche schweren Schaden genommen hat“. Er wiederholte
die in der Karwoche im Dom ausgesprochene Bitte um Vergebung und bat die Christen,
durch Buße und Gebet mit dazu beizutragen, dass die Wunden wirklich heilen könnten.
Durch den sexuellen Missbrauch sei das Zeugnis der Kirche „sehr verdunkelt“ worden.
Der Bischof bat die Katholiken seines Bistums, als getaufte und gefirmte Christen
in Worten und Handeln Farbe zu bekennen und dem Glauben ein Gesicht zu geben. Dieses
Bekenntnis jedes Einzelnen sei „eingebunden in das große Wir des Glaubens der Kirche“.
Es dürfe ebenso wenig ein Gegeneinander einzelner Gemeinden geben wie ein Gegeneinander
zwischen Gemeinden und dem Bischof. Dem bischöflichen Amt sei nach der Lehre des Konzils
„die Aufgabe des Dienstes an der Einheit“ aufgetragen, betonte Genn.