Vatikan: Der Papst, die Fotografin und die Spuren der Macht
Herlinde Koelbl ist
eine Fotografin der Macht. Diesen Eindruck kann man jedenfalls gewinnen, wenn man
ihre bekanntesten Arbeiten sieht: Spuren der Macht. Über Jahre, in einigen Fällen
sogar über Jahrzehnte, hat sie Politiker immer wieder fotografiert und so sichtbar
gemacht, welche Spuren das Amt in die Gesichter zeichnete: Gerhard Schröder, Angela
Merkel, Joschka Fischer. Zu anderen Werken Koelbls zählen auch Bilder Joseph Ratzingers.
In den vergangenen Tagen war sie in Rom für ein neues Projekt, über das sie allerdings
nichts verrät. Wir konnten sie aber fragen, ob im Vergleich zu ihren älteren Bildern
Ratzingers der Papst heute auch Spuren der Macht zeigt. „Natürlich ist er älter
geworden. Als ich ihn erlebt habe, war er noch Kardinal. Es ist alles etwas weich
geworden, während er vorher eine gewisse Straffheit hatte und Energie im Körper. Vielleicht
muss man als Papst milder werden, aber vielleicht ist das auch ein Tribut an das Alter
– oder an das Amt, dass diese Energie weggegangen ist.“ Sie haben sehr häufig
Amtsträger fotografiert. Kann man einer Person ihr Amt ansehen?
„Ich denke
ja. Das Verständnis für das Amt ist in der Person zu sehen. Ich habe das auch bei
dem Projekt „Spuren der Macht“ gesehen. Als zum Beispiel Joschka Fischer Außenminister
oder Gerhard Schröder Kanzler wurde, hat sich die Körpersprache wirklich verändert.
Sie ist anders geworden. Sie sind – stolz ist nicht das richtige Wort, aber – aufrechter
gegangen, sie haben sich mehr präsentiert als vorher. Und ich glaube, die Haltung
verändert sich deshalb, weil wenn man das Amt antritt, sich auch die Erwartung der
Menschen an diesen Menschen, der jetzt das Amt hat, verändert. Das heißt, es ist ein
Wechselspiel zwischen dem, dass man etwas verkörpert und dem, was die Menschen von
einem erwarten.“ Sehen Sie dieses Amt auch in Joseph Ratzinger
– Papst Benedikt?
„Ich habe das Gefühl, dass er ein bisschen gebeugter geht;
dass diese Energie, diese Straffheit des Körpers – Straffheit im übertragenen Sinne
– die er ausgestrahlt hat, eben nicht mehr da ist. Und er ist sich sicherlich dessen
bewusst, was er auch für eine Bürde hat. Vielleicht macht ihn das auch vorsichtiger.“ Durch
die Medien gegangen ist das Papstportrait von Michael Triegel. Wenn Sie die Möglichkeit
hätten: der Vatikan ruft an: „Wir suchen einen Fotografen für ein Portrait oder eine
Portraitserie des Papstes“. Wie würden Sie das angehen? Ganz hypothetisch, Sie dürfen
träumen: was wäre das Ideale?
„(lacht) Ich würde mich einfach noch einmal
mehr mit ihm beschäftigen. Ad hoc kann ich jetzt nicht sagen: ich würde es so oder
so machen. Denn wenn das wirklich zu mir käme, würde ich mich mit ihm beschäftigen
und mir dann überlegen, in welchem Zusammenhang ich ihn sehen würde. Denn das Umfeld
- ob ich ihn in eine liebliche Umgebung stelle, in einen Rosengarten oder ob ich ihn
in ein ganz nüchternes Zimmer stelle – die beiden Dinge verändern auch das Image.
Dann verschmilzt nämlich auch etwas mit der Person. Deshalb wäre es für mich sehr
wichtig, in welchem Umfeld ich ihn fotografieren würde.“ Wenn man
sich mit Ihnen beschäftigt, dann findet man Kommentare über Ihre Fotografie: ‚Frau
Koelbl schlüsselt den Menschen auf, nähert sich der Person, fängt die Seele ein’ und
Ähnliches. Sie nähern sich den Personen an und beschäftigen sich mit den Menschen,
bevor Sie die Kamera zücken. Können Sie etwas mit der Kamera einfangen, was man vielleicht
vorher nicht sehen kann?
„Ich würde gerne mit einem Beispiel antworten.
Ich hatte neulich einen Schriftsteller zu fotografieren, der groß ist. Auf allen Bildern
strahlt er immer. Also so der tolle optimistische Mann. Und dann habe ich seine Texte
gelesen. Sehr viele davon sind das Gegenteil von dem Bild, das als offizielle Bilder
von ihm zu sehen ist. Dann habe ich ihn besucht und habe ihm gesagt, er solle jetzt
einmal nicht lachen – dieses Kameralächeln. Wir haben dann miteinander gearbeitet
und es kamen wirklich ganz wunderbare Bilder zustande. Man muss es sehen wollen, und
ich will es sehen – tiefer als das öffentliche Bild, was Menschen von sich geben:
was ist das vielleicht für ein Mensch, oder wie viele Seiten hat er? Oder welche Gewichte
hat er in seinen Seiten. Das ist das, was mich interessiert. Worauf ich
ganz stark achte, ist die Körpersprache. Denn sie ist eine der ehrlichsten Mitteilungen,
die wir von Menschen erfahren können. Natürlich sind Politiker trainiert in ihrem
Verhalten. Nichtsdestotrotz setzt sich dann doch oft die Körpersprache durch. Als
ich Gerhard Schröder fotografiert hatte, 1998, als er Kanzler wurde, da ist ein Bild
entstanden, natürlich im schönen Anzug - er mit der Zigarre in der Hand, die eine
Hand in der Hosentasche, die andere am Gesicht mit der Zigarre. Das ist eine Selbstdarstellung,
die ich nie so fantastisch hätte inszenieren können wie er sich selbst dargestellt
hat. Das heißt also, wenn man Menschen Raum und Zeit gibt, dann kommt dieses eigene
auch immer wieder zum Tragen. Das ist, glaube ich, entscheidend. Aber auch
bei den anderen. Als Joschka Fischer Außenminister wurde, hatte er plötzlich eine
Haltung, bei der die Schultern weiter hinten waren, er war aufrechter. Es ist einfach
eine andere, straffere, aufrechtere Körperhaltung. Das erlebe ich immer wieder auch
bei Menschen, die Ämter ausüben oder manchmal auch eine Uniform anhaben, dass sie
aufrechter gehen, weil sie etwas verkörpern und somit darstellen. Und genau das ist
es: Es sind die Bilder, die bleiben.“ (rv 22.12.2010 ord)