D: München stellt sich ihrer Missbrauchsvergangenheit
Nach den bunten Feierlichkeiten
zur Kardinalserhebung von Reinhard Marx vor einer Woche folgte nun in München der
schwarze Freitag. Was die Rechtsanwältin Marion Westpfahl zu verkünden hatte, war
alles andere als eine Jubelarie auf die Erzdiözese München-Freising. Noch nie dürfte
jemand so deutlich im Auftrag der Kirche deren eigenes Sündenregister aus den vergangenen
60 Jahren aufgeführt haben. Noch nie wurde so klar dargestellt, wie die Kirche versuchte,
Missbrauchsfälle zu vertuschen. Westpfahl bescheinigte den Klerikern einen „rücksichtslosen
Schutz des eigenen Standes“ und ein „völlig fehl interpretiertes“ brüderliches Miteinander.
Um die Opfer sei es nie gegangen, erst die Missbrauchsbeauftragten hätten eine detaillierte
Auflistung von deren Qualen erstellt. 250 Seiten dick ist das rote Buch, das die Anwältin
im Auftrag der Erzdiözese erstellt hat.
Angesichts der schlimmen Fakten mag
manch einem in der katholischen Kirche wieder bewusst geworden sein, dass Advent eine
Zeit der Buße ist. „Ein solches Gutachten muss man aushalten“, meinte denn auch Kardinal
Reinhard Marx. Es gehe nicht um ein Scherbengericht der Vergangenheit, sondern darum,
aus den Fehlern für die Zukunft zu lernen. Das sagte der Münchner Erzbischof zum Abschlussbericht
zu sexuellem Missbrauch der Erzdiözese München am Freitag.
„Was wir tun, sind
wir den Menschen schuldig, die zu Opfern wurden“, betonte Marx. Nicht zuletzt sei
man Gott Rechenschaft darüber schuldig, wie man sich in dieser Stunde verhalte.
Personelle
Konsequenzen seien derzeit nicht notwendig, sagte Generalvikar Peter Beer auf Nachfrage.
Notwendig sei aber ein gewaltiger Kultur- und Klimawechsel innerhalb der katholischen
Kirche. Dies werde jedoch nicht ohne Reibungen und Brüche ablaufen.
Hintergrund Mehr
als 13.200 Akten aus den Jahren von 1945 bis 2009 haben die Gutachter gewälzt. In
365 Schriftstücken wurden Hinweise gefunden für eine weitere Detailprüfung. Der heutigen
Bistumsleitung bescheinigte die Anwältin einen „unbedingten Aufklärungswillen“. Über
die Jahre sei es aber zu großen Vernichtungen von Akten gekommen, sagte Westpfahl.
Die nun erfolgte Prüfung ergab, dass 159 Priester „auffällig“ geworden sind. Die tatsächliche
Zahl dürfte aber weitaus höher liegen. Wegen Sexualdelikten seien 26 Geistliche verurteilt
worden. Bei den Diakonen liegt die Zahl bei 15, wobei nur einer später auch wegen
sexuellen Missbrauchs verurteilt worden sei, so Westpfahl. Sechs Auffälligkeiten habe
es auch bei Gemeinde- und Pastoralreferenten, Seelsorgehelfern und Jugendpflegern
gegeben, bei Religionslehrern seien es 96 gewesen. Ein erstes Psychogramm der Täter
lieferte Westpfahl auch mit. In den meisten Fällen seien die Priester zwischen 45
und 65 Jahre alt gewesen und hätten auffällige Reifedefizite aufgewiesen. So habe
sich ein betroffener 55-jähriger Geistlicher auch an das Ordinariat gewandt, weil
sein Boiler kein Warmwasser mehr liefere. Manche hätten wegen ihrer Taten auch durchaus
mit ihrem Gewissen zu kämpfen gehabt, dies aber dann mit Alkohol betäubt.