Die Veröffentlichung von US-Geheimdokumenten auf der Webseite „Wikileaks“ betrifft
auch den Vatikan. Aus den Geheimpapieren des US-Außenministeriums, die an diesem Montag
bekannt wurden, geht u.a. hervor, dass US-Diplomaten beim letzten Konklave 2005 am
ehesten mit der Wahl eines lateinamerikanischen Papstes rechneten – „angesichts der
hohen Zahl der Katholiken dort“. Als Favoriten galten der US-amerikanischen Botschaft,
wie die Turiner Zeitung "La Stampa" unter Berufung auf die Dokumente berichtet, beispielsweise
der kolumbianische Kurienkardinal Dario Castrillon Hoyos, der damals für den Dialog
mit den Traditionalisten zuständig war, aber auch der Belgier Godfried Danneels und
der Mailänder Kardinal Dionigi Tettamanzi. Dass sich die Kardinäle für Joseph
Ratzinger entschieden, werten die Papiere als „Überraschung für viele“ bzw. als „Schock“.
Doch obwohl der bisher „mächtige Kardinal“ von den Medien „wie ein autokratischer
Despot“ beschrieben werde, sei er im direkten Gespräch „überraschend demütig, spirituell
und angenehm“. Das Pontifikat werde im Zeichen der Kontinuität stehen und europäisch
geprägt sein, so die Geheimpapiere weiter.
Ein vertraulicher Bericht der US-Botschaft
in Berlin, den „Wikileaks“ öffentlich macht, spricht von einer möglichen neuen „Achse
Rom-Köln“; im deutschen Klerus herrsche „Skepsis, ob die Wahl Ratzingers der deutschen
Kirche auf lange Sicht etwas bringt“. Ein „einflußreicher Jesuit“ habe den Diplomaten
in einem Hintergrundgespräch gesagt, „Ratzingers konservative Züge müßten nicht unbedingt
bestimmend für seine Amtsführung als Papst werden“; Benedikt XVI. könne durchaus „zu
den reformerischen Positionen seiner Anfänge zurückkehren“.
„Wikileaks“ veröffentlicht
außerdem eine siebenseitige Geheimanalyse der US-Regierung vom 12. Mai 2005. Darin
heißt es: „In Zeiten der Krise flüchtet sich die Kirche in ihre europäische Identität“.
Der neue Papst kenne die Probleme der Weltkirche sehr gut; er sei ein Gegner eines
türkischen Beitritts zur EU und werde sich „kämpferisch gegen den Säkularismus in
den USA und anderen Nationen des Westens engagieren“.