„Ich glaube, dass
wir Ärzte auch aus der Theologie einiges lernen können“. In unserer Sendereihe „Menschen
in der Zeit“ an diesem Sonntagabend: Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Deutschen
Ärztekammer, Mahner und Vermittler. Eine Sendung von Aldo Parmeggiani.
Jörg-Dietrich
Hoppe, seit 1999 ununterbrochen Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen
Ärztetages, feiert seinen 70. Geburtstag. Hoppe gehört zu den Hauptakteuren im deutschen
Gesundheitswesen. Der Katholik gilt als Integrationsfigur und kritischer Mahner in
ethischen Fragen. Nach seinem Medizinstudium in Köln bildete er sich in den Fachgebieten
Pathologie und Allgemeinmedizin weiter. Hoppe ist auch als Hochschullehrer und als
Honorarprofessor an der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln tätig. In seiner
jetzigen, dritten Amtszeit als Ärztekammerpräsident geht es ihm nach eigenem Bekunden
vor allem um eine bessere Patientenversorgung, mehr Transparenz bei der Rationierung
und um den Kampf um die ärztliche Freiberuflichkeit. Zugleich meldet sich Hoppe
immer wieder bei ethischen Fragen zu Wort. Mit seinem kategorischen ‚Nein’ zu verbrauchender
Embryonenforschung, Präimplantationsdiagnostik (PID) und aktiver Sterbehilfe stellt
sich Hoppe auch gegen Strömungen innerhalb der Ärzteschaft. Immer wieder mahnt er
auch zur Neuregelung der Spätabtreibungen. 1940 in Thorn an der Weichsel geboren,
lebte er mit seiner Familie nach der Flucht nach Westdeutschland zunächst in Recklinghausen,
später in der Eifel, in Köln und Düren. Eigentlich wollte Hoppe Musiker werden, entschloss
sich später aber für den Beruf eines Arztes - bei dem er allerdings auch wieder die
erste Geige spielt. Für ihn sind Musik und Medizin keine Gegensätze, sondern Ergänzung
und Symbiose.
Welche sind die Haupteigenschaften, die ein guter Arzt besitzen
muss?
„Ein guter Arzt muss zuhören können, er muss Empathie für seine Patienten
mitbringen und er muss natürlich ein fundiertes Wissen haben. Der Hausarzt ist am
meisten gefordert, denn er kennt seine Patienten besonders gut.“
Ist Prävention
nach wie vor die beste Medizin?
„Prävention ist unerlässlich. Jeder Mensch
sollte seinen Körper genau beobachten. Aber nicht zum Misanthropen werden. Prävention
im großen Stil ist im wesentlichen Früherkennung.“
Gehen Sie – wenn nötig
– selbst auch zum Arzt oder erproben Sie Ihre eigene Kompetenz, Ihre Erfahrungen an
sich selbst?
„Ich habe keine Scheu zum Arzt zu gehen, wenn ich an meine
Grenzen stoße.“
Sie führen Ihr hohes Amt seit nunmehr elf Jahren ununterbrochen
aus: welche Entscheidungen unter Ihrer Stabführung würden Sie als die bisher wichtigsten
beschreiben?
„Es sind zwei: Zum einen die Zusammenführung der Weiterbildungsordnungen
der früheren DDR und der Bundesrepublik Deutschland zu einer gemeinsamen Spezialisierungsordnung.
Und zum anderen die Verteidigung ethischer Grundsätze im Arztberuf am Anfang und am
Ende des menschlichen Lebens in Zusammenarbeit mit der katholischen und der evangelischen
Kirche.“
Erst vor wenigen Tagen hat Papst Benedikt die Wissenschaftler
zu einer erweiterten Wahrnehmung ihrer ethischen Verantwortung aufgerufen. Weshalb
trifft diese Aussage für die Medizin im besonderen Maße zu?
„Diese Aussage
des Papstes trifft für die Medizin im besonderen Maße zu, weil immer mehr Technik
und immer mehr ‚Chemie’ den Arztberuf durchdringen. Wir Ärzte neigen oft dazu, uns
auf die Technik zu verlassen und den Menschen als Ganzes und als Persönlichkeit zu
vernachlässigen.“
Gleichzeitig hob das katholische Kirchenoberhaupt auch
die Berührungspunkte zwischen Wissenschaft und Religion hervor. Was können Sie als
Arzt und als Katholik dazu sagen?
„Ich glaube, dass wir Ärzte auch aus der
Theologie einiges lernen können, denn die Medizin ist ja eine Wissenschaft, die sehr
praktisch ist und mehr von der Erfahrung lebt. Wir machen Anleihen bei anderen Wissenschaften,
bei Naturwissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Sozialwissenschaften und Kommunikationswissenschaften,
der Philosophie und namentlich auch bei der Theologie.“
Im Allgemeinen
haben sich die katholischen Ärzte weltweit enttäuscht über die Verleihung des diesjährigen
Medizinnobelpreisträger Robert Edwards – den ‚Vater des Retorten-Babys’ - geäußert.
Die künstliche Befruchtung untergrabe die Würde der menschlichen Person, hieß es vielfach.
Wie lautet Ihre Meinung dazu?
„Das ist ein ganz besonders sensibles Thema.
Die künstliche Befruchtung hat deshalb einen so hohen Stellenwert bekommen, weil die
erstgebärenden Mütter immer älter werden. Früher hat man die Kinder zwischen 20 und
höchstens 30 Jahren bekommen – heute sind erstgebärende Frauen durchaus älter. Da
besteht die Gefahr, dass eine Mutation eintritt, dass ein behindertes Kind zur Welt
kommt. Dadurch hat die künstliche Befruchtung im Reagenzglas diese Bedeutung bekommen.
Diese Art der Fortpflanzung ist auf hochentwickelte Medizin angewiesen und ich glaube,
wir sollten damit auch Schluss machen, denn bei Präimplantationsdiagnostik und Pränataldiagnostik
wird menschliches Leben vernichtet - und das gehört nicht zum Aufgabenspektrum eines
Arztes.“
Die Embryonen-Selektion ist weltweit umstritten, ein internationaler
Vergleich lässt keine schlüssige und einheitliche Regelung aufscheinen. In Deutschland,
Italien, Österreich und der Schweiz ist sie vorerst verboten, in anderen Ländern nicht.
Die Frage eines Laien lautet: Stammzellenforschung kann Menschenleben retten, warum
sind dennoch viele dagegen?
„Bei Stammzellen ist es so, dass man nicht einen
kompletten Embryo braucht, sondern bereits im Vorstadium kann man Zellen gewinnen,
die entwicklungsfähig sind. Daran zu forschen ist sogar eine medizinische Aufgabe.
Denn es gibt Krankheiten, die dadurch geheilt werden können, wie Parkinson oder Multiple
Sklerose. Ich glaube, das wird der liebe Gott zulassen, dass wir das durch weiter
entwickelte Behandlungsmethoden auch tun dürfen.“
Rund 80 Prozent der Ärzte
in Deutschland sprechen sich gegen eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe aus.
Ein Mensch ist unheilbar krank, sein Leben nur noch Schmerz und Qual. Was spricht
dagegen, dass dieser Mensch seinen Arzt um Sterbehilfe bittet?
„Aktives
Töten oder Tötung auf Verlangen lehnen wir ab. Und zwar strikt. Es ist in Deutschland
auch strafbewehrt. Das Problem ergibt sich bei der Frage nach dem ärztlich assistierten
Suizid. Der Suizid ist in Deutschland nicht strafbar. Beihilfe zum Suizid auch nicht.
Aber der Arzt hat ja eine Garantenpflicht: in dem Moment, wo er eine hilflose Person
vorfindet, muss er ihr helfen. Ansonsten sprechen wir von einer Therapie, die auf
Lebensverlängerung hinzielt. Da wird das Therapieziel geändert und schaltet auf Palliativmedizin
um. Dem Patienten den Rest seines Lebens so positiv wie möglich zu gestalten - dafür
setzen wir uns ein.“
Stichwort Organspende: ist sie eine moderne Form der
Nächstenliebe oder ein ertragreiches Geschäft für zum Beispiel die Pharma-Medizin?
„Also, sie ist beides. Aber in erster Linie das erstere. Organspende ist
ein Dienst am Nächsten. Man kann das durchaus als Nächstenliebe auffassen. Schlimm
wird es, wenn daraus ein Geschäft gemacht wird. Das ist aber in Deutschland strikt
verboten, und wir überwachen das auch. Wir haben in Deutschland noch keinen Fall an
Organverkauf zu verzeichnen.“
Sie sind Chefarzt des Instituts für Pathologie
und lehren Rechtsmedizin an der Universität Köln. Wann, Herr Professor Hoppe, sind
wir wirklich tot? Wie sicher oder wie unsicher ist heute die Diagnose eines Hirntodes,
die als die sicherste gilt?
„Der Hirntod tritt ein, wenn das Gehirn seine
Funktion nicht mehr erfüllt. Das kann man sehr gut feststellen. Wenn das Gehirn nicht
mehr funktioniert und auch nicht mehr in Funktion zurück zu bringen ist – und das
geschieht schon nach relativ kurzer Zeit, nach etwa acht Minuten – dann ist das Gehirn
durch mangelnde Sauerstoffzufuhr irreversibel geschädigt. Dann muss man den Tod des
Menschen feststellen. Wenn dann noch künstlich beatmet wird, dann kann man auch die
Beatmung einstellen. Einige Funktionen, die ohne das Gehirn – nur mit dem Rückenmark
– stattfinden und von dort aus gelenkt werden, die mögen noch weitergehen, aber auch
sie hören bald auf. Der Hirntod ist schon eine zuverlässige Angelegenheit.“
Viele
Rätsel sind – trotz aller Fortschritte der Wissenschaft – noch ungelöst. Wenn die
Wissenschaft eines Tages zweifelsfrei belegen sollte, dass – wie die Kirche sagt –
die Seele den Körper verlässt und an einen anderen Ort weiterlebt, dann gibt es eigentlich
keinen Tod. Dann wären viele Rätsel gelöst…
„Das ist richtig, das glauben
wir ja auch, dass es in irgendeiner Form nach dem irdischen Leben weitergeht. Ich
glaube, dass sich viele Menschen diesen Glauben bewahren und nicht deswegen in Panik
verfallen, weil das Leben endlich ist, sondern versuchen werden, auf diesen Punkt
hin zu leben. Dass der Tod eines Tages uns alle erreicht, das muss jedem bewusst sein.“ (rv
28.11.2010 ap)