2010-11-27 10:41:21

Menschen in der Zeit


RealAudioMP3 „Ich glaube, dass wir Ärzte auch aus der Theologie einiges lernen können“. In unserer Sendereihe „Menschen in der Zeit“ an diesem Sonntagabend: Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Deutschen Ärztekammer, Mahner und Vermittler. Eine Sendung von Aldo Parmeggiani.

Jörg-Dietrich Hoppe, seit 1999 ununterbrochen Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages, feiert seinen 70. Geburtstag. Hoppe gehört zu den Hauptakteuren im deutschen Gesundheitswesen. Der Katholik gilt als Integrationsfigur und kritischer Mahner in ethischen Fragen.
Nach seinem Medizinstudium in Köln bildete er sich in den Fachgebieten Pathologie und Allgemeinmedizin weiter. Hoppe ist auch als Hochschullehrer und als Honorarprofessor an der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln tätig. In seiner jetzigen, dritten Amtszeit als Ärztekammerpräsident geht es ihm nach eigenem Bekunden vor allem um eine bessere Patientenversorgung, mehr Transparenz bei der Rationierung und um den Kampf um die ärztliche Freiberuflichkeit.
Zugleich meldet sich Hoppe immer wieder bei ethischen Fragen zu Wort. Mit seinem kategorischen ‚Nein’ zu verbrauchender Embryonenforschung, Präimplantationsdiagnostik (PID) und aktiver Sterbehilfe stellt sich Hoppe auch gegen Strömungen innerhalb der Ärzteschaft. Immer wieder mahnt er auch zur Neuregelung der Spätabtreibungen.
1940 in Thorn an der Weichsel geboren, lebte er mit seiner Familie nach der Flucht nach Westdeutschland zunächst in Recklinghausen, später in der Eifel, in Köln und Düren. Eigentlich wollte Hoppe Musiker werden, entschloss sich später aber für den Beruf eines Arztes - bei dem er allerdings auch wieder die erste Geige spielt. Für ihn sind Musik und Medizin keine Gegensätze, sondern Ergänzung und Symbiose.

Welche sind die Haupteigenschaften, die ein guter Arzt besitzen muss?

„Ein guter Arzt muss zuhören können, er muss Empathie für seine Patienten mitbringen und er muss natürlich ein fundiertes Wissen haben. Der Hausarzt ist am meisten gefordert, denn er kennt seine Patienten besonders gut.“

Ist Prävention nach wie vor die beste Medizin?

„Prävention ist unerlässlich. Jeder Mensch sollte seinen Körper genau beobachten. Aber nicht zum Misanthropen werden. Prävention im großen Stil ist im wesentlichen Früherkennung.“

Gehen Sie  – wenn nötig – selbst auch zum Arzt oder erproben Sie Ihre eigene Kompetenz, Ihre Erfahrungen an sich selbst?

„Ich habe keine Scheu zum Arzt zu gehen, wenn ich an meine Grenzen stoße.“

Sie führen Ihr hohes Amt seit nunmehr elf Jahren ununterbrochen aus: welche Entscheidungen unter Ihrer Stabführung würden Sie als die bisher wichtigsten beschreiben?

„Es sind zwei: Zum einen die Zusammenführung der Weiterbildungsordnungen der früheren DDR und der Bundesrepublik Deutschland zu einer gemeinsamen Spezialisierungsordnung. Und zum anderen die Verteidigung ethischer Grundsätze im Arztberuf am Anfang und am Ende des menschlichen Lebens in Zusammenarbeit mit der katholischen und der evangelischen Kirche.“

Erst vor wenigen Tagen hat Papst Benedikt die Wissenschaftler zu einer erweiterten Wahrnehmung ihrer ethischen Verantwortung aufgerufen. Weshalb trifft diese Aussage für die Medizin im besonderen Maße zu?

„Diese Aussage des Papstes trifft für die Medizin im besonderen Maße zu, weil immer mehr Technik und immer mehr ‚Chemie’ den Arztberuf durchdringen. Wir Ärzte neigen oft dazu, uns auf die Technik zu verlassen und den Menschen als Ganzes und als Persönlichkeit zu vernachlässigen.“

Gleichzeitig hob das katholische Kirchenoberhaupt auch die Berührungspunkte zwischen Wissenschaft und Religion hervor. Was können Sie als Arzt und als Katholik dazu sagen?

„Ich glaube, dass wir Ärzte auch aus der Theologie einiges lernen können, denn die Medizin ist ja eine Wissenschaft, die sehr praktisch ist und mehr von der Erfahrung lebt. Wir machen Anleihen bei anderen Wissenschaften, bei Naturwissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Sozialwissenschaften  und Kommunikationswissenschaften, der Philosophie und namentlich auch bei der Theologie.“

Im Allgemeinen haben sich die katholischen Ärzte weltweit enttäuscht über die Verleihung des diesjährigen Medizinnobelpreisträger Robert Edwards – den ‚Vater des Retorten-Babys’ - geäußert. Die künstliche Befruchtung untergrabe die Würde der menschlichen Person, hieß es vielfach. Wie lautet Ihre Meinung dazu?

„Das ist ein ganz besonders sensibles Thema. Die künstliche Befruchtung hat deshalb einen so hohen Stellenwert bekommen, weil die erstgebärenden Mütter immer älter werden. Früher hat man die Kinder zwischen 20 und höchstens 30 Jahren bekommen – heute sind erstgebärende Frauen durchaus älter. Da besteht die Gefahr, dass eine Mutation eintritt, dass ein behindertes Kind zur Welt kommt. Dadurch hat die künstliche Befruchtung im Reagenzglas diese Bedeutung bekommen. Diese Art der Fortpflanzung ist auf hochentwickelte Medizin angewiesen und ich glaube, wir sollten damit auch Schluss machen, denn bei Präimplantationsdiagnostik und Pränataldiagnostik wird menschliches Leben vernichtet - und das gehört nicht zum Aufgabenspektrum eines Arztes.“

Die Embryonen-Selektion ist weltweit umstritten, ein internationaler Vergleich lässt keine schlüssige und einheitliche Regelung aufscheinen. In Deutschland, Italien, Österreich und der Schweiz ist sie vorerst verboten, in anderen Ländern nicht. Die Frage eines Laien lautet: Stammzellenforschung kann Menschenleben retten, warum sind dennoch viele dagegen?

„Bei Stammzellen ist es so, dass man nicht einen kompletten Embryo braucht, sondern bereits im Vorstadium kann man Zellen gewinnen, die entwicklungsfähig sind. Daran zu forschen ist sogar eine medizinische Aufgabe. Denn es gibt Krankheiten, die dadurch geheilt werden können, wie Parkinson oder Multiple Sklerose. Ich glaube, das wird der liebe Gott zulassen, dass wir das durch weiter entwickelte Behandlungsmethoden auch tun dürfen.“

Rund 80 Prozent der Ärzte in Deutschland sprechen sich gegen eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe aus. Ein Mensch ist unheilbar krank, sein Leben nur noch Schmerz und Qual. Was spricht dagegen, dass dieser Mensch seinen Arzt um Sterbehilfe bittet?

„Aktives Töten oder Tötung auf Verlangen lehnen wir ab. Und zwar strikt. Es ist in Deutschland auch strafbewehrt. Das Problem ergibt sich bei der Frage nach dem ärztlich assistierten Suizid. Der Suizid ist in Deutschland nicht strafbar. Beihilfe zum Suizid auch nicht. Aber der Arzt hat ja eine Garantenpflicht: in dem Moment, wo er eine hilflose Person vorfindet, muss er ihr helfen. Ansonsten sprechen wir von einer Therapie, die auf Lebensverlängerung hinzielt. Da wird das Therapieziel geändert und schaltet auf Palliativmedizin um. Dem Patienten den Rest seines Lebens so positiv wie möglich zu gestalten - dafür setzen wir uns ein.“

Stichwort Organspende: ist sie eine moderne Form der Nächstenliebe oder ein ertragreiches Geschäft für zum Beispiel die Pharma-Medizin?

„Also, sie ist beides. Aber in erster Linie das erstere. Organspende ist ein Dienst am Nächsten. Man kann das durchaus als Nächstenliebe auffassen. Schlimm wird es, wenn daraus ein Geschäft gemacht wird. Das ist aber in Deutschland strikt verboten, und wir überwachen das auch. Wir haben in Deutschland noch keinen Fall an Organverkauf zu verzeichnen.“

Sie sind Chefarzt des Instituts für Pathologie und lehren Rechtsmedizin an der Universität Köln. Wann, Herr Professor Hoppe, sind wir wirklich tot? Wie sicher oder wie unsicher ist heute die Diagnose eines Hirntodes, die als die sicherste gilt?

„Der Hirntod tritt ein, wenn das Gehirn seine Funktion nicht mehr erfüllt. Das kann man sehr gut feststellen. Wenn das Gehirn nicht mehr funktioniert und auch nicht mehr in Funktion zurück zu bringen ist – und das geschieht schon nach relativ kurzer Zeit, nach etwa acht Minuten – dann ist das Gehirn durch mangelnde Sauerstoffzufuhr irreversibel geschädigt. Dann muss man den Tod des Menschen feststellen. Wenn dann noch künstlich beatmet wird, dann kann man auch die Beatmung einstellen. Einige Funktionen, die ohne das Gehirn – nur mit dem Rückenmark – stattfinden und von dort aus gelenkt werden, die mögen noch weitergehen, aber auch sie hören bald auf. Der Hirntod ist schon eine zuverlässige Angelegenheit.“

Viele Rätsel sind – trotz aller Fortschritte der Wissenschaft – noch ungelöst. Wenn die Wissenschaft eines Tages zweifelsfrei belegen sollte, dass – wie die Kirche sagt – die Seele den Körper verlässt und an einen anderen Ort weiterlebt, dann gibt es eigentlich keinen Tod. Dann wären viele Rätsel gelöst…

„Das ist richtig, das glauben wir ja auch, dass es in irgendeiner Form nach dem irdischen Leben weitergeht. Ich glaube, dass sich viele Menschen diesen Glauben bewahren und nicht deswegen in Panik verfallen, weil das Leben endlich ist, sondern versuchen werden, auf diesen Punkt hin zu leben. Dass der Tod eines Tages uns alle erreicht, das muss jedem bewusst sein.“ 
(rv 28.11.2010 ap)







All the contents on this site are copyrighted ©.