2010-11-11 13:50:04

Verbum Domini - Kernsätze


RealAudioMP3 Verbum Domini: „Das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit“. Mit diesem Satz aus dem Ersten Petrusbrief stehen wir vor dem Geheimnis Gottes, der sich durch das Geschenk seines Wortes mitteilt. Ich möchte einige Grundlinien für eine Wiederentdeckung des göttlichen Wortes – Quelle ständiger Erneuerung – im Leben der Kirche aufzeigen. Und ich rufe alle Gläubigen auf, die persönliche und gemeinschaftliche Begegnung mit Christus, dem sichtbar gewordenen Wort des Lebens, neu zu entdecken und ihn zu verkünden.

In einer Welt, die Gott oft als überflüssig oder fremd empfindet, bekennen wir wie Petrus, daß nur er »Worte des ewigen Lebens« (Joh 6,68) hat. Es gibt keine größere Priorität als diese: dem Menschen von heute den Zugang zu Gott wieder zu öffnen, zu dem Gott, der spricht. (Es gilt) wiederzuentdecken, was wir im Alltag allzuleicht als selbstverständlich voraussetzen: daß Gott redet, daß er antwortet auf unser Fragen. (Allerdings können wir) unsere Beziehung zum Wort Gottes nur innerhalb des »Wir« der Kirche vertiefen, im Hören aufeinander und in der gegenseitigen Annahme. Die Bibel darf nicht ein Wort der Vergangenheit bleiben, sondern muss als lebendiges und aktuelles Wort wahrgenommen werden.

Das Neue der biblischen Offenbarung besteht darin, daß Gott sich im Dialog zu erkennen
gibt, den er mit uns führen möchte. »Gott ist die Liebe« (1 Joh 4,16), sagt der Apostel Johannes und kennzeichnet damit das christliche Gottesbild und auch das daraus folgende Bild des Menschen und seines Weges. Als Abbild Gottes, der die Liebe ist, können wir also uns selbst nur in der Annahme des Wortes verstehen. Im Licht der Offenbarung klärt sich das Rätsel des menschlichen Daseins endgültig.

Das Heil des Menschen ist der Beweggrund aller Dinge. Wenn wir den Kosmos vom heilsgeschichtlichen Gesichtspunkt her betrachten, entdecken wir die einzigartige Stellung, die der Mensch innerhalb der Schöpfung einnimmt. So können wir die kostbaren Gaben, die wir vom Schöpfer erhalten haben, in ihrer ganzen Tragweite erkennen: den Wert des eigenen Leibes, die Gabe der Vernunft, der Freiheit und des Gewissens.

Wer das göttliche Wort kennt, kennt auch die tiefste Bedeutung eines jeden Geschöpfs. Das Wort Gottes drängt uns zu einer Änderung unseres Begriffs von Realismus: Realist ist der,
der im Wort Gottes das Fundament von allem erkennt. Das brauchen wir besonders in unserer Zeit, in der viele Dinge, auf die man für den Aufbau des Lebens vertraut und seine Hoffnung zu setzen sucht ist, ihr vergängliches Wesen offenbaren. Haben, Genuß und Macht erweisen sich früher oder später als unfähig, das tiefste Verlangen des menschlichen Herzens zu stillen. »Herr, dein Wort bleibt auf ewig, es steht fest wie der Himmel« (Ps 119).

Das ewige Wort ist in Christus ein Mensch geworden, »geboren von einer Frau« (Gal 4,4). Hier stehen wir vor der Person Jesu selbst. Seine einzigartige Geschichte ist das endgültige Wort, das Gott zur Menschheit spricht. Von da aus versteht man, warum am Anfang des
Christseins … nicht ein ethischer Entschluß oder eine große Idee [steht], sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt.

Das ewige Wort hat sich klein gemacht – so klein, daß es in eine Krippe paßte. Die Sendung Jesu findet ihre Erfüllung im Ostergeheimnis: Das Wort verstummt, wird zur Totenstille, denn es hat sich »ausgesagt« bis hin zum Schweigen, ohne irgendetwas zurückzuhalten, was es uns mitteilen sollte.

Die christliche Heilsordnung, nämlich der neue und endgültige Bund, ist unüberholbar, und es ist keine neue öffentliche Offenbarung mehr zu erwarten vor der Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus in Herrlichkeit (vgl. 1 Tim 6,14 und Tit 2,13). Er ist das einzige und endgültige Wort, das der Menschheit gegeben wurde.

Man kann den Sinn des Wortes nicht erfassen, wenn man das Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche und in den Herzen der Gläubigen nicht annimmt. Letztendlich ist es die lebendige Überlieferung der Kirche, die uns die Heilige Schrift als Wort Gottes angemessen verstehen läßt. Ein Schlüsselbegriff, der dazu dient, die Heilige Schrift als Wort Gottes in menschlichen Worten zu erfassen, ist die Inspiration. Auch hier kann man eine Analogie anführen: So wie das Wort Gottes im Schoß der Jungfrau Maria Fleisch geworden ist durch das Wirken des Heiligen Geistes, wird die Heilige Schrift durch das Wirken desselben Geistes im Schoß der Kirche geboren. So erkennt man die ganze Bedeutung des menschlichen Autors, der die inspirierten Texte geschrieben hat, und gleichzeitig Gott selbst als den wahren Autor.

Eine adäquate Annäherung an die Schrift und ihre korrekte Hermeneutik muß in demselben Geist geschehen, in dem sie geschrieben wurde. Wenn in uns das Bewußtsein für die Inspiration abnimmt, dann besteht die Gefahr, die Schrift als Objekt historischen Interesses zu lesen und nicht als Werk des Heiligen Geistes, in dem wir die Stimme des Herrn hören und seine Gegenwart in der Geschichte erfahren können. Es ist ein grundlegendes Kriterium der Bibelhermeneutik, dass das Leben der Kirche der ursprüngliche Ort der Schriftauslegung ist. Dies verweist auf den kirchlichen Bezug
nicht als äußeres Kriterium, dem die Exegeten sich beugen müssen, sondern es ist eine Erfordernis, das in der Schrift selbst und in der Weise, wie sie sich im Laufe der Zeit herausgebildet hat, liegt. Das richtige Verständnis des biblischen Textes ist nur dem zugänglich, der eine lebendige Beziehung zu dem hat, wovon der Text spricht.

Natürlich muß der Nutzen anerkannt werden, der dem Leben der Kirche aus der historischkritischen Exegese und den anderen Methoden der Textanalyse, die in jüngerer Zeit entwickelt wurden, erwachsen ist. Für die katholische Sichtweise der Heiligen Schrift ist die Berücksichtigung dieser Methoden unverzichtbar. Die Heilsgeschichte ist keine Mythologie, sondern wirkliche Geschichte und muß deshalb mit den Methoden ernsthafter Geschichtswissenschaft untersucht werden. Das Zweite Vatikanische Konzil führt drei grundlegende Kriterien an, die dazu dienen, die göttliche Dimension der Bibel zu berücksichtigen: 1) Auslegung des Textes mit Rücksicht auf die Einheit der ganzen Schrift – das wird heute kanonische Exegese genannt, 2) Berücksichtigung der lebendigen Überlieferung der Gesamtkirche, und schließlich 3) Beachtung der Analogie des Glaubens. Nur dort, wo beide methodologische Ebenen, die historisch-kritische und die theologische, berücksichtigt werden, kann man von einer theologischen Exegese sprechen, die der Heiligen Schrift angemessen ist. Ein wichtiger Beitrag zur Wiedererlangung einer angemessenen Schrifthermeneutik ergibt sich aus dem erneuten Hören auf die Kirchenväter und ihren exegetischen Ansatz.

Gewiß, unter rein geschichtlichem oder literarischem Gesichtspunkt ist die Bibel nicht einfach nur ein Buch, sondern eine Sammlung literarischer Texte, deren Abfassung sich über mehr als ein Jahrtausend erstreckte und deren einzelne Bücher nicht leicht als Teile einer inneren Einheit erkennbar sind; es bestehen sogar sichtbare Spannungen zwischen ihnen. Doch die Person Christi gibt allen »Schriften« in dem Bezug auf das eine »Wort« Einheit. Die innere Einheit der ganzen Bibel ist ein entscheidendes Kriterium für eine korrekte Hermeneutik des Glaubens.

Papst Johannes Paul II. hat zu den Juden gesagt: Ihr seid »unsere „bevorzugten Brüder“ im Glauben Abrahams, unseres Patriarchen«. Natürlich bedeuten diese Worte keine Absage an den Bruch, von dem das Neue Testament in bezug auf die Institutionen des Alten Testaments spricht, und erst recht nicht an die Erfüllung der Schriften im Geheimnis Jesu Christi, der als Messias und Sohn Gottes erkannt wird. Dieser tiefe und radikale Unterschied beinhaltet jedoch keineswegs eine gegenseitige Feindschaft. Das Beispiel des hl. Paulus (vgl. Röm 9-11) zeigt im Gegenteil, daß eine Haltung des Respekts, der Hochschätzung und der Liebe gegenüber dem jüdischen Volk … die einzige wirklich
christliche Haltung in einer heilsgeschichtlichen Situation [ist], die in geheimnisvoller Weise Teil des ganz positiven Heilsplans Gottes ist. Wir nähren uns aus denselben spirituellen Wurzeln. Wir begegnen einander als Brüder – Brüder, die in gewissen Augenblicken ihrer Geschichte ein gespanntes Verhältnis zueinander hatten, sich aber jetzt fest entschlossen darum bemühen, Brücken beständiger Freundschaft zu bauen. Ich möchte noch einmal bekräftigen, wie wertvoll für die Kirche der Dialog mit den Juden ist.

Wer den biblischen Text so behandelt, als ob er vom Heiligen Geist wortwörtlich diktiert worden wäre, sieht nicht, daß das Wort Gottes in einer Sprache und in einem Stil formuliert worden ist, die durch die jeweilige Epoche der Texte bedingt sind. Die wahre Antwort auf eine fundamentalistische Interpretation ist die »Auslegung der Heiligen Schrift im Glauben«.

Mit Blick auf die Ökumene sind wir überzeugt, daß das gemeinsame Hören und Meditieren
der Schrift uns eine reale, wenn auch noch nicht volle Gemeinschaft leben läßt. Es ist daher gut, unter Wahrung der geltenden Normen und der verschiedenen Traditionen die ökumenischen Wortgottesdienste zu vermehren. Diese liturgischen Feiern nutzen der Ökumene. Es muß jedoch darauf geachtet werden, daß sie den Gläubigen nicht als Ersatz für die Teilnahme an der Heiligen Messe angeboten werden.

Bekanntlich wird das Evangelium vom Priester oder vom Diakon verkündet, die Erste und Zweite Lesung hingegen in der lateinischen Tradition vom damit beauftragten Lektor, einem Mann oder einer Frau. Die mit dieser Aufgabe betrauten Lektoren müssen, auch wenn sie nicht die Beauftragung erhalten haben, wirklich dafür geeignet und gut vorbereitet sein. Die Synode hat auch den Wunsch geäußert, daß sich das Stundengebet im Gottesvolk stärker verbreiten möge, besonders das Gebet der Laudes und der Vesper. Die Synodenväter haben alle Hirten aufgefordert, in den ihnen anvertrauten Gemeinden die Wort-Gottes-Feiern zu verbreiten: vor allem in jenen Gemeinden, in denen es aufgrund des Priestermangels nicht möglich ist, an den gebotenen Feiertagen das eucharistische Opfer zu feiern. Ich empfehle, daß von den zuständigen Autoritäten Direktorien für deren Riten verfaßt werden, die sich die Erfahrung der Teilkirchen zunutze machen. Auf solche Weise sollen in diesen Situationen Wort-Gottes-Feiern gefördert werden, die den Glauben der Gemeinde nähren, wobei jedoch vermieden wird, daß sie mit Eucharistiefeiern verwechselt werden; sie sollten vielmehr bevorzugte Gelegenheiten sein, zu Gott zu beten, daß er heilige Priester nach seinem Herzen sende.

Die Synode hat außerdem noch einmal nachdrücklich bekräftigt, daß die der Heiligen Schrift entnommenen Lesungen nie durch andere Texte ersetzt werden dürfen, so bedeutsam diese vom pastoralen oder geistlichen Gesichtspunkt aus auch sein mögen: Kein Text der Spiritualität oder der Literatur kann den Wert und den Reichtum erlangen, der in der Heiligen Schrift, dem Wort Gottes, enthalten ist. Man sollte die „biblische Pastoral“ nicht neben anderen Formen der Pastoral, sondern als Seele der ganzen Pastoral fördern. Dort, wo die Gläubigen nicht zu einer Bibelkenntnis gemäß dem Glauben der Kirche und im Schoß ihrer lebendigen Überlieferung herangebildet werden, entsteht ein pastorales Vakuum, in dem unter anderem Sekten Boden finden können, um Wurzeln zu schlagen. Das Bibelapostolat muß verstärkt werden. Die Synode wünscht, daß jedes Haus seine Bibel haben möge und sie in würdiger Weise aufbewahre, um in ihr lesen und mit ihr beten zu können.

Die Synodenväter haben an die glückliche Formulierung erinnert, die das Heilige Land als
»das fünfte Evangelium«bezeichnet. Wie wichtig ist es doch, daß es in jener Gegend christliche Gemeinden gibt, trotz aller Schwierigkeiten! Die Bischofssynode bringt allen Christen, die im Land Jesu leben und den Glauben an den Auferstandenen bezeugen, ihre zutiefst empfundene Nähe zum Ausdruck. Hier sind die Christen aufgerufen, nicht nur ein Lichtstrahl des Glaubens für die universale Kirche zu sein, sondern auch Sauerteig der Eintracht, der Weisheit und des Gleichgewichts im Leben einer Gesellschaft, die traditionell stets pluralistisch, multiethnisch und multireligiös war und dies auch weiterhin ist«.

DieKirche ist ihrem Wesen nach missionarisch. Wir können die Worte des ewigen Lebens, die uns in der Begegnung mit Jesus Christus geschenkt werden, nicht für uns behalten: Sie
sind an alle, an einen jeden Menschen gerichtet. Jeder Mensch unserer Zeit, ob er es weiß oder nicht, braucht diese Verkündigung. Der Herr selbst erwecke, wie zur Zeit des Propheten Amos, bei den Menschen neuen Hunger und neuen Durst nach einem Wort des Herrn (vgl. Am 8,11). Wir haben die Verantwortung, das weiterzugeben, was wir
unsererseits aus Gnade empfangen haben. Alle Getauften sind für die Verkündigung verantwortlich. Kein Christgläubiger darf sich von dieser Verantwortung entbunden fühlen. Dieses Bewußtsein muß in jeder Pfarrei, Gemeinschaft, Vereinigung und kirchlichen Bewegung neu erweckt werden.

Die Diakonie der Nächstenliebe, die in unseren Kirchen niemals fehlen darf, muß stets an
die Verkündigung des Wortes und an die Feier der heiligen Geheimnisse geknüpft sein. Zugleich muß anerkannt und hervorgehoben werden, daß die Armen selbst auch Träger der Evangelisierung sind. In der Bibel ist der wahre Arme derjenige, der ganz auf Gott vertraut, und Jesus selbst bezeichnet sie im Evangelium als selig, »denn ihnen gehört das Himmelreich« (Mt 5,3; vgl. Lk 6,20). Die Kirche darf die Armen nicht enttäuschen: Die Hirten sind aufgerufen, ihnen zuzuhören, von ihnen zu lernen, sie in ihrem Glauben zu leiten und sie zu ermutigen, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.

Indem die Offenbarung uns den Plan Gottes für den Kosmos kundtut, veranlaßt sie uns auch, falsche Haltungen des Menschen anzuprangern, wenn dieser die Dinge nicht als Abglanz des Schöpfers erkennt, sondern sie als reine Materie betrachtet, die skrupellos manipuliert werden kann. In diesem Fall fehlt dem Menschen jene wesentliche Demut, die es ihm erlaubt, die Schöpfung als Geschenk Gottes anzuerkennen, das nach dessen Plan angenommen und gebraucht werden muß. Die Anmaßung des Menschen, der so lebt, als gäbe es Gott nicht, führt im Gegenteil dazu, die Natur auszubeuten und zu entstellen, weil er in ihr nicht das Werk des Schöpferwortes wahrnimmt.

Wir anerkennen, daß in der Überlieferung des Islam viele biblische Gestalten, Symbole und Themen vorhanden sind. Ich wünsche, daß die vor vielen Jahren geknüpften vertrauensvollen Beziehungen zwischen Christen und Muslimen fortbestehen und sich in einem Geist des aufrichtigen und respektvollen Dialogs weiterentwickeln. Die Synode
hat den Wunsch geäußert, daß in diesem Dialog die Achtung vor dem Leben als Grundwert, die unveräußerlichen Rechte des Mannes und der Frau und ihre gleiche Würde vertieft werden mögen. Unter Berücksichtigung der Unterscheidung zwischen sozio-politischer Ordnung und religiöser Ordnung müssen die Religionen ihren Beitrag
zum Gemeinwohl leisten. Ein Dialog der Religionen untereinander wäre nicht fruchtbar,
wenn er nicht auch die wahre Achtung jedes Menschen einschließen würde, damit dieser seine Religion frei ausüben kann. Achtung und Dialog verlangen Gegenseitigkeit in allen
Bereichen, vor allem was die Grundfreiheiten, und ganz speziell die Religionsfreiheit, betrifft.

Ich erinnere alle Christen daran, daß unsere persönliche und gemeinschaftliche Beziehung zu Gott von der wachsenden Vertrautheit mit dem göttlichen Wort abhängt. Schließlich wende ich mich an alle Menschen, auch an jene, die sich von der Kirche entfernt, den Glauben aufgegeben oder die Verkündigung des Heils nie vernommen haben. Zu jedem einzelnen sagt der Herr: »Ich stehe vor der Tür und klopfe an.« (Offb 3,20).







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