Misereor antwortet auf den CDU-Vorwurf: „Wir lernen von den Erfahrungen vor Ort“
Wie bauen wir an einer
gerechten Welt? Das ist die Frage im Hintergrund eines Konfliktes zwischen der CDU
und dem katholischen Hilfswerk Misereor. Der Welternährungsexperte der CDU-Bundestagsfraktion,
Johannes Röring, hatte die Entwicklungshilfe der Kirchen – unter anderem die von Misereor
– als „verfehlt und ideologisiert“ angegriffen. Er verband das am Wochenende mit dem
Ruf nach einer stärkeren Industrialisierung der Landwirtschaft in Afrika und Lateinamerika.
Leider „verherrliche“ Misereor eine kleinbäuerliche Struktur, so Röring wörtlich.
Wie sieht Misereor diese Vorwürfe? Anja Metineit, Agrarexpertin beim Hilfswerk: „Ehrlich
gesagt – schon mit Erstaunen, weil das so überhaupt nicht der Philosophie von Misereor
entspricht, was da vorgebracht wurde! Und weil wir ja auch wissen, dass Herr Röring
selbst aus der Landwirtschaft kommt und die Länder besucht hat, von denen er da spricht.
Denn unsere Förderstrategie geht ganz klar in Richtung Hungerbekämpfung, und wir arbeiten
mit einem partnerschaftlichen Prinzip. Das heißt: Wir lernen aus der Erfahrung unserer
Partnerorganisation, vor allem der Kleinbauern in Afrika, und fördern das, was sie
selbst für sich wichtig finden.“
Genau das stimmt nicht, behauptete Röring:
Misereor arbeite aus einer „europäischen Soziologendebatte“ und „Geschlechterdebatte“
heraus, transportiere also europäische Vorurteile nach Afrika. Metineit dazu: „Misereor
hat mittlerweile eine über fünfzigjährige Erfahrung. Das heißt, wir haben auch mal
angefangen, Düngemittel und Saatgut zu verteilen, haben dann aber von den Kleinbauern
vor Ort gelernt, dass genau diese in Richtung industrialisierte Landwirtschaft ausgerichtete
Hilfe ihnen nicht zugute kommt. Denn das kann zwar unter unseren günstigen Bedingungen
- und zusammen mit kräftigen Kapitalspritzen - helfen, aber die Bauern, die wir unterstützen,
sind wirklich arm: Die hungern einen Teil des Jahres. Und sie sind darauf angewiesen,
mit den Mitteln, die sie vorfinden, nachhaltig zu produzieren. Genau das fördern wir
seit vielen Jahren.“
Misereor frage die Bauern selbst,
was ihre Erfahrungen seien. Und dazu gehöre eben, dass bei der Benutzung von Dünger
die Böden langsam hart würden. Diese Erfahrungen aus dem Alltag der Bauern seien die
Grundlage für die Hilfe des Hilfswerkes. Von Aufzwingen könne gar nicht die Rede sein,
so Meitineit. Das Ziel sei es, dass die Bauern selbst bestimmen könnten, was für eine
Art Landwirtschaft sie wollten. Gegen die von Röring geforderte Wirtschaftungsmethode
sprächen auch andere Argumente, etwa der Landzugang:
„Eine industrialisierte
Landwirtschaft bedeutet ja automatisch, dass da große Flächen nötig sind. In der Regel
ist das damit verbunden, dass Kleinbauern enteignet werden und die nationalen Regierungen
die Flächen an große Unternehmen geben. Zum Beispiel Äthiopien, dass Herr Röring ja
auch bereist hat: da finden wir keine Landsicherheit für Kleinbauern, obwohl 90 Prozent
der Menschen Kleinbauern sind. Wir unterstützen in sehr vielen Regionen – auch in
Lateinamerika und Asien – die Menschen, wenn sie sich dagegen wehren, wenn ihre Regierungen
ihnen Land wegnehmen und es dann Investoren geben. Nehmen sie die Sojaplantagen in
Brasilien, die Palmölplantagen in Brasilien: wir haben so viele Beispiele, wo die
lokale Bevölkerung wirklich übergangen wird, wo sie nicht mitentscheiden kann, wie
die Landwirtschaft der Zukunft aussehen soll. Davon profitieren Investoren und sicher
auch einige lokale Eliten.“
Auch der Vorwurf, das Vorenthalten von modernen,
industriell gezüchteten Hochleistungssorten würde den Hunger erst schaffen, treffe
ins Leere, so die Landwirtschaftsexpertin:
„Die Bauern fahren viel besser
damit, wenn sie ihre lokal angepassten Sorten anbauen, aber sie durchaus verbessern.
Wir fördern zum Beispiel auf den Philippinen eine Bauernorganisation, die selbst auch
Reis züchtet, also Kreuzungszüchtung betreibt. Mittlerweile hat sie Sorten entwickelt,
die unter organischem Anbau genauso hohe Erträge bringen wie Hochleistungssorten und
den besten Bedingungen. Es geht überhaupt nicht darum, romantisch nach hinten zu schauen
und weiter zu machen, was in der Vergangenheit war, das darf auf keinen Fall geschehen.
Aufbauend auf dem, was die Bauern vorfinden und was für sie am Besten ist, kann man
viel besser auf Neues zugehen.“