Unter begeisterter
Anteilnahme Tausender Gläubiger und imposanten Orgelklängen hat Papst Benedikt um
die Mittagszeit die Kathedrale von Santiago besucht. Er trat über die Heilige Pforte,
die aus Anlass des Pilgerjahres geöffnet ist, erhielt bei seinen Rundgang in der prachtvollen
Kirche kurzzeitig eine braune Pilgerpelerine mit Jakobsmuschel um die Schultern gelegt,
stieg über enge, von Abermillionen Pilgerfüßen abgeschliffene Treppen in die Krypta
und betete am Grab des Apostels Jakobus. Wie Jakobspilger es machen, umarmte er danach
die Statue des Apostels. In Anspielung darauf bezeichnete er in seiner Ansprache die
Kirche als „Umarmung Gottes“.
„Ich komme, um euren Glauben zu stärken,
eure Hoffnung zu beleben und eure Sorgen, Mühen und Anstrengungen für das Evangelium
der Fürbitte des Apostels anzuvertrauen. Als ich sein heiliges Bild umarmte, habe
ich im Gebet auch alle Söhne und Töchter der Kirche mitgenommen. Die Kirche hat ja
ihren Ursprung im Geheimnis der Gemeinschaft, die Gott ist. Wir werden in gewisser
Weise von Gott umarmt und umgewandelt von seiner Liebe. Die Kirche ist diese Umarmung
Gottes, in der die Gläubigen auch lernen, die eigenen Brüder zu umarmen, indem sie
in ihnen Abbild und Ähnlichkeit Gottes entdecken, die die tiefste Wahrheit ihres Seins
begründen und Ursprung der wahren Freiheit sind.“
Zwischen Wahrheit und
Freiheit gebe es einen engen und notwendigen Zusammenhang, so der Papst. Die Kirche
stehe im Dienst beider und könne auf beide nicht verzichten, „weil hier das Sein des
Menschen auf dem Spiel steht“. Ohne Streben nach Wahrheit, nach Gerechtigkeit und
nach Freiheit würde der Mensch sich selbst verlieren.
„Erlaubt mir, hier
in Compostela alle Gläubigen der Kirche in Spanien aufzufordern, im Licht der Wahrheit
Christi zu leben, den Glauben mit Freude, Konsequenz und Schlichtheit zu Hause, bei
der Arbeit und bei den staatsbürgerlichen Aufgaben zu bekennen.“ Der Erzbischof
von Santiago, Julian Barrios, dankte dem Papst für die „spirituelle Feinheit, intellektuelle
Tiefe und evangelische Entschlossenheit, mit der er das Schiff Petri“ lenke. Danach
kam eines der Wahrzeichen der Pilgerkathedrale zum Einsatz: Acht Männer setzten das
mächtige Weihrauchfass in Bewegung, das an einer Kette von der Decke der Basilika
hängt und, vor den Augen des Papstes durch das Querschiff schwingend, seinen Duft
verströmte. Immer wieder flammten Viva il papa-Rufe auf, als ein gelöst wirkenden
Papst den Apostolischen Segen erteilte. Die Spanier und die Pilger bereiteten Benedikt,
wie so oft auf spanischer Erde, einen herzlichen Empfang. (rv 06.11.2010 gs)