Der Papst in der Kathedrale von Santiago im Wortlaut
Der Papst hat die Kathedrale von Santiago de Compostela besucht. Lesen Sie hier die
Ansprache auf Deutsch. (rv)
Hochwürdigste Herren Kardinäle, liebe Mitbrüder
im Bischofsamt, geschätzte Vertreter des öffentlichen Lebens, liebe Priester,
Seminaristen, Ordensmänner und Ordensfrauen, liebe Brüder und Schwestern, liebe
Freunde!
Ich danke dem Herrn Erzbischof Julián Barrio Barrio von Santiago de
Compostela für die freundlichen Worte, die er soeben an mich gerichtet hat, die ich
gerne erwidere. So grüße ich euch alle herzlich in Christus und danke euch für euer
Kommen an diesen so bedeutsamen Ort. Pilgern heißt nicht einfach irgendeinen Ort
aufsuchen, um seine Naturschönheiten, Kunstschätze oder seine Geschichte zu bewundern.
Pilgern bedeutet vielmehr, aus uns herauszutreten, um Gott dort zu begegnen, wo er
sich offenbart hat, wo sich die göttliche Gnade mit besonderem Glanz gezeigt hat und
unter den Gläubigen überaus große Früchte der Bekehrung und Heiligkeit hervorgebracht
hat. Christen pilgerten zunächst zu den Orten, die mit dem Leiden, dem Tod und der
Auferstehung des Herrn verbunden sind, in das Heilige Land. Dann nach Rom, der Stadt
des Martyriums der Apostel Petrus und Paulus, und ebenso nach Compostela, das als
ein mit dem Andenken des heiligen Jakobus verbundener Ort viele Pilger aus aller Welt
aufgenommen hat, die Sehnsucht danach hatten, ihren Geist mit dem Zeugnis des Glaubens
und der Liebe des Apostels zu stärken. In diesem Heiligen Jahr von Compostela wollte
auch ich als Nachfolger des heiligen Petrus zum Haus des „Señor Santiago“, des heiligen
Jakobus, pilgern, das sich anschickt, sein 800jähriges Weihejubiläum zu feiern. Ich
komme, um euren Glauben zu stärken, eure Hoffnung zu beleben und eure Sorgen, Mühen
und Anstrengungen für das Evangelium der Fürbitte des Apostels anzuvertrauen. Als
ich sein heiliges Bild umarmte, habe ich im Gebet auch alle Söhne und Töchter der
Kirche mitgenommen. Die Kirche hat ja ihren Ursprung im Geheimnis der Gemeinschaft,
die Gott ist. Durch den Glauben sind wir hineingeführt in das Geheimnis der Liebe,
das die Heiligste Dreifaltigkeit ist. Wir werden in gewisser Weise von Gott umarmt
und umgewandelt von seiner Liebe. Die Kirche ist diese Umarmung Gottes, in der die
Gläubigen auch lernen, die eigenen Brüder zu umarmen, indem sie in ihnen Abbild und
Ähnlichkeit Gottes entdecken, die die tiefste Wahrheit ihres Seins begründen und Ursprung
der wahren Freiheit sind. Zwischen Wahrheit und Freiheit gibt es einen engen und
notwendigen Zusammenhang. Das aufrichtige Suchen und Streben nach der Wahrheit ist
die Bedingung für eine authentische Freiheit. Man kann nicht das eine ohne das andere
leben. Die Kirche, die bemüht ist, der menschlichen Person und ihrer Würde mit allen
ihren Kräften zu dienen, steht im Dienst beider, der Wahrheit und der Freiheit. Die
Kirche kann auf beide nicht verzichten, weil hier das Sein des Menschen auf dem Spiel
steht und weil die Liebe zum Menschen, „der auf Erden das einzige Geschöpf ist, das
Gott um seiner selbst willen gewollt hat“ (Gaudium et spes, 24), sie bewegt.
Ohne solches Streben nach Wahrheit, nach Gerechtigkeit und nach Freiheit würde der
Mensch sich selbst verlieren. Erlaubt mir, hier in Compostela, dem geistlichen
Herzen Galiciens und zugleich Lehrstätte einer Universalität ohne Grenzen, alle Gläubigen
dieser geschätzten Erzdiözese und alle Gläubigen der Kirche in Spanien aufzufordern,
im Licht der Wahrheit Christi zu leben, den Glauben mit Freude, Konsequenz und Schlichtheit
zu Hause, bei der Arbeit und bei den staatsbürgerlichen Aufgaben zu bekennen. Die
Freude, sich als geliebte Kinder Gottes zu erkennen, führe euch auch zu einer immer
tieferen Liebe zur Kirche, indem ihr sie in ihrer Aufgabe unterstützt, Christus zu
allen Menschen zu bringen. Betet zum Herrn der Ernte, daß sich viele junge Menschen
dieser Sendung im Amt des Priesters und im gottgeweihten Leben übereignen: Heute,
wie immer, lohnt es sich, das ganze Leben der Aufgabe zu widmen, die Neuheit des Evangeliums
zu verkünden. Ich will nicht schließen, ohne vorher allen spanischen Katholiken
meine Segenswünsche und meinen Dank für die Großzügigkeit bekundet zu haben, mit der
sie zahlreiche Einrichtungen der Caritas und der humanitären Hilfe unterstützen. Werdet
nicht müde, diese Werke aufrecht zu erhalten, die der ganzen Gesellschaft zugute kommen
und deren Wirksamkeit sich besonders in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise sowie bei
den großen Naturkatastrophen, von denen verschiedene Länder heimgesucht wurden, gezeigt
hat.Mit diesen Gedanken bitte ich den Allerhöchsten, daß er allen den Mut gebe, den
der heilige Jakobus hatte, um den auferstandenen Christus zu bezeugen. Bleibt ebenso
treu auf den Wegen der Heiligkeit. Gebt euch für die Ehre Gottes und das Wohl der
am meisten verlassenen Brüder hin. Vielen Dank.