2010-11-04 17:23:46

Jakobspilger: „Der eigentliche Weg beginnt in Santiago“


RealAudioMP3 Anlässlich des Heiligen Jahres 2010 „pilgert“ Papst Benedikt XVI. am kommenden Wochenende ins spanische Compostela de Santiago. Dort mündet der so genannte Jakobsweg: Der „Camino de Santiago“ erstreckt sich von den Pyrenäen bis zum Grab des Heiligen Jakobus in der Kathedrale von Santiago; vom Besuch des Wallfahrtsortes erhoffen sich Pilger unter anderem Sündenablass und Heilung von Krankheiten. Anne Preckel hat einen von ihnen befragt.

 „Nur der Tag bricht an, für den wir wach sind.“ - aus: Henry David Thoreau, Walden
„Auf dem Jakobsweg sucht man sich selbst und findet Gott, oder man sucht Gott und findet sich selbst.“ Jost Kunzemann aus Großburgwedel ist in den letzten Jahren verschiedene Abschnitte des Jakobsweges gegangen. Die Wanderer betritten den „Camino“ aus unterschiedlichen Gründen, erzählt der Mittsechziger im Gespräch mit Radio Vatikan: „Sehr viele aus christlich-kirchlichen Gründen der Selbstfindung und um Gott näher zu sein. Das ist tatsächlich da das Moment. Aber andere, die sagen nur: Ich bin dann mal weg (lacht), oder wollen eine längere Wanderung machen.“ 
Die Jakobusverehrung begann europaweite schon im 10. Jahrhundert. Papst Alexander III. erklärte Santiago im 12. Jahrhundert zur „Heiligen Stadt“. Sieben Jahre lang soll Jacobus in Galizien versucht haben, die Bevölkerung zum Christentum zu bekehren. Bei der Rückkehr des Apostels nach Palästina im Jahr 44 ließ Herodes Agrippa ihn töten. Sein Leichnam wurde zurück nach Galizien gebracht und in einem Wald, dem „Campus Stellae“, begraben. Davon leitet sich das Wort „Compostela“ ab, erklärt Jost: „Der Name weist auf eine Sternschnuppenerscheinung hin, die hatte ein Hirt im Jahr 813. Und er hat dann das Grab des Heiligen Jakobus gefunden. Daraus entwickelte sich dann eine Pilgerstätte, und der Schlachtruf „Santiago“ begleitete die christlichen Truppen auf den Kämpfen gegen die Mauren. Ab dem 11. Jahrhundert entwickelt sich Santiago dann zu einem der drei großen Pilgerzielen neben Jerusalem und Rom.“  Heute weist die gelbe Jakobsmuschel auf blauem Grund – das Symbol des Jakobsweges – immer mehr Pilgern den Weg. Im Heiligen Jahr 2010 rechnet die katholische Kirche gar mit einem historischen Pilgerrekord. Neben Gläubigen sind auf der Route auch Abenteurer, Naturfreunde und Esoterik-Fans unterwegs. Für Jost bedeutet das Pilgern nach Santiago spirituelle Erneuerung: „Der Jakobsweg ist eine große Herausforderung für den Körper, aber auch ein Genuss dadurch, dass man wandert, eben das Losgelöstsein. Man lässt sein alltägliches Leben hinter sich und wird aufgenommen in den Strom der Veränderung.“
Zu dieser Erfahrung trage der Kontakt mit anderen Pilgern aus aller Welt bei. So habe ihn bei seiner letzten Wanderung besonders die Begegnung mit einem holländischen Pilger berührt, der unter Kinderlähmung litt. Jost: „Der zog ein Bein nach und war auf diese Weise schon von Amsterdam her fast 2000 km auf diesem Weg gegangen, viele, viele Monate lang. Er offenbarte mir seine Gewissheit, dass wenn er den Schrein des Heiligen Jakob in Santiago erreichen würde, sein gelähmtes Bein gesund werden würde. Das hat mich also sehr erschüttert, aber die Hoffnung ist ja da, und schon die Hoffnung wird ihm sehr viel nutzen.“
 Bei den Begegnungen mit anderen Pilgern sei oft ein starkes Gemeinschaftsgefühl entstanden, unabhängig von Herkunft oder Alter, Ansehen oder Geschlecht: „Wenn’s irgend möglich war, habe ich in Herbergen übernachtet, mir waren die Gespräche abends mit anderen Pilgern wichtig und das Dazugehörigsein und das „Buon Camino“, wenn man sich auf der nächsten Wegstrecke dann wieder sah.“  Beim Wandern selbst habe er dagegen oft ein großes Gefühl der Freiheit verspürt, so Jost weiter: „Oft ist das Denken abgeschaltet, der Wind rauscht in den Bäumen und am Wegrand begeleiten einen bunte Blumen, Schmetterlinge, Vogelgesang.“ Zu dieser meditativen Stimmung trage natürlich auch die abwechslungsreiche und teilweise atemberaubende Landschaft bei: „Als außergewöhnlich schön empfand ich den letzten Höhenzug vor Santiago, der immerhin 1.300 m hoch zu dem alten keltischen Wallfahrtsort O Cebreiro geht. Die dortigen Berge blühen im Mai und April und sind mit Heidekraut überzogen. Und dieses rot-violette Feuer, was die ausstrahlen, gibt ein fantastisches Panorama.“
 
  „Der Weise ist ruhig, niemals rastlos oder ungeduldig. Er verweilt jeden Augenblick dort, wo er gerade ist, wie manche Wanderer bei jedem Schritt ihren Körper ausruhen, während andere ihre Beinmuskeln nie entspannen, bis die angestaute Müdigkeit sie zum Anhalten zwingt.“ - aus: Henry David Thoreau, Walden 
 Ob spirituell auf der Suche oder nicht – entscheidend beim Wandern sei eine bestimmte innere Haltung, erzählt Jost: „Wichtig ist, dass man den Weg gelassen geht, das heißt ohne Hetze. Es gibt Pilger, denen ich begegnet bin, die wollten möglichst lange Strecken schaffen am Tag und hatten dementsprechend eine viel zu große Geschwindigkeit drauf. Man muss so gehen, dass alles Geschehen in der Welt einem weit entfernt und einerlei ist.“ Auch wenn der knapp 800 km lange Pilgerweg eine körperlich Herausforderung sei, wirke das Ziel – die Grabstätte des Heiligen Jakobus – wie ein Magnet, beobachtet der Wanderer: „Als ob Santiago de Compostela die Pilger förmlich anzieht, werden in den Schlussetappen mehr Kilometer zurückgelegt als anfangs. Auch anfänglich schmerzende Knie spürt man dann längst nicht mehr, das läuft sich alles irgendwie ein. Man darf sich also nie anfangs abschrecken lassen.“ Und schließlich werde man am Ende ja auch für die Anstrengungen belohnt: „Und dann sieht man von einer Bergkuppe aus Santiago dann plötzlich im Tal liegen, und jeder Pilger verweilt in andächtigem Schweigen.“ Die spirituelle Erneuerung - sie zeigt sich symbolisch am Durchschreiten der Pilger durch die so genannten „Pforte der Vergebung“ oder „Heiligen Pforte“, die sich an der Ostseite der Kathedrale in Compostela befindet. Das Ganze sei sehr feierlich, erzählt Jost; zu besonderen Anlässen werde ein 50 kg-schweres Weihrauchfass am langen Seil durch das Querschiff geschwungen. Das Herz der Kirche ist aber natürlich der Altar mit der Figur des Heiligen Jakobus: „Die Säulenbasis haben die Pilger dann mit den Händen zu berühren, um einen Sündenablass zu bekommen.“  
 „Es hat wenig Sinn, unsere Schritte in den Wald zu lenken, wenn sie uns nicht darüber hinaus führen.“ - aus: Henry David Thoreau, Walden 
 Und welche Wirkung hatte die Ankunft in Santiago auf Pilger Jost? Der Weg ist das Ziel, so seine Erkenntnis: „In Santiago angekommen hatte ich nicht nur den Camino, sondern auch mich selbst, und was das Leben bisweilen verzerrt hat, hinter mir gelassen. Man ist nicht mehr der gleiche Mensch wie vorher, der Weg endet nicht in Santiago, der Weg beginnt in Santiago, einmal Pilger, immer Pilger.“ (rv 03.11.2010 pr)







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