2010-11-03 11:37:01

Eine Woche nach der Synode – das böse Erwachen


RealAudioMP3 Erst vor einer Woche beschwor im Vatikan die Nahost-Sondersynode von Bischöfen den Überlebenswillen der Christen im Nahen Osten – jetzt kommt das böse Erwachen. Nach dem Geiseldrama in der syrisch-katholischen Kirche in Bagdad steht das Christentum im Irak womöglich vor dem endgültigen Aus. Das Attentat kostete 58 Menschen das Leben; unter ihnen sind zehn Frauen und acht Kinder.

Die zwei hingerichteten Priester Tha’ir Saad und Wasim Boutros wurden am Dienstag in Bagdad beigesetzt. Das Requiem fand in einer chaldäischen Kirche statt – ganz in der Nähe des Gotteshauses, das am Sonntag von Bewaffneten während der Messe überfallen worden war. Einer der Bischöfe, die die Totenmesse feierten, war der syrisch-katholische Erzbischof Basile Georges Casmoussa von Mossul.

„Für unsere christliche Gemeinschaft ist das eine wahre Katastrophe – in menschlicher und in religiöser Hinsicht. Das löst Panik aus. Wir versuchen ja wirklich alles, um Dialog und Zusammenarbeit in Gang zu bringen; aber wenn wir dann sehen, dass – vor allem von den Behörden – keine adäquate Antwort kommen, dann fühlen wir uns vollkommen schutzlos. Jetzt muss die UNO handeln, um diese kleine Gemeinschaft zu retten!“

Von den irakischen Politikern scheint Erzbischof Casmoussa nicht mehr viel zu erwarten: Sie haben ja auch fast acht Monate nach den Parlamentswahlen immer noch keine Regierungsbildung hingekriegt. „Die denken nur an sich“, klagt der Oberhirte, „und das Volk bleibt sich selbst überlassen!“

„Zunächst mal müßte endlich eine Regierung der nationalen Einheit gebildet werden. Dann sollten sie die Kirchen und die christlichen Gemeinden schützen – mit Gesetzen und mit Polizeipräsenz, damit die Christen wieder Zutrauen zu ihrem Land und ihrer Zukunft schöpfen können. Schöne Worte und schöne Reden reichen nicht!“

Das internationale katholische Missionswerk „missio“ appelliert angesichts des Dramas von Bagdad erneut an die deutsche Regierung, Menschen, die im Irak wegen ihrer Religion verfolgt werden, unbürokratisch aufzunehmen. Der Überfall auf die syrisch-katholische Kirche zeige, „dass sich entgegen anders lautender Beteuerungen die Lage im Irak nicht stabilisiert hat“, sagt der missio-Menschenrechtsbeauftragte Otmar Oehring bitter. missio setzt sich für die Aufnahme von bis zu 30.000 Flüchtlingen ein. 2500 Flüchtlinge sind in Deutschland bislang tatsächlich aufgenommen worden. Frankreich bot als erste Reaktion auf den Anschlag 150 irakischen Christen Asyl an; darunter sind auch einige Gottesdienstbesucher, die am Sonntag verletzt wurden.
 
„Im Irak halten sich obskure Kräfte auf, die eine Befriedung des Landes verhindern wollen“, meint der chaldäische Auslandsbischof Philippe Najim. „Ich habe gehört, dass sehr viele Moslems in Bagdad Blut gespendet haben für die Opfer, die in der Kirche verletzt wurden; die Extremisten werden von den Moslems des Iraks selbst deutlich verurteilt.“
Die Attentäter vom Sonntag waren offenbar keine Iraker; die Bluttat trägt nach Analyse vieler Beobachter die Handschrift von al-Quaida. Die Terrorgruppe sieht das Christentum des Iraks (obwohl es dort schon seit 2000 Jahren einheimisch ist) als Handlager der verhaßten USA und des Westens. Peter Hünseler, deutscher Islamwissenschaftler und Leiter der Christlich-Islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle CIBEDO in Frankfurt am Main:
„Die Christen sind ein fester Bestandteil der irakischen Gesellschaft. Sie sind in aller Regel gut gebildet, jedenfalls die, die in Zentral-Irak leben. Von einigen kurdischen christlichen Gemeinden kann man das nicht ganz so sagen. Aber die Christen im Irak haben eigentlich eine gute und wichtige Funktion in der Mittelklasse der irakischen Gesellschaft gehabt. Sie sind Anwälte, sie sind Lehrer, sie sind Universitätslehrer und haben eigentlich eine große Bildung aufzuweisen. Und legen auch sehr viel Wert darauf. Wenn die jetzt das Ziel solcher Anschläge werden und es dann zu einem Exodus von Christen kommt, wird das die irakische Gesellschaft hart treffen.“
Christen sind eine der verfolgten religiösen Minderheiten im Irak: Seit 2003 sank ihre Zahl von über 800.000 bis unter 400.000. Rund 100.000 Christen haben sich in die Nachbarländer des Irak geflüchtet. Von den etwa 65 Kirchen und Klöstern in Bagdad haben etwa vierzig schon ein blutiges Attentat erlebt.
(rv 03.11.2010 sk)








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