Erst vor einer Woche
beschwor im Vatikan die Nahost-Sondersynode von Bischöfen den Überlebenswillen der
Christen im Nahen Osten – jetzt kommt das böse Erwachen. Nach dem Geiseldrama in der
syrisch-katholischen Kirche in Bagdad steht das Christentum im Irak womöglich vor
dem endgültigen Aus. Das Attentat kostete 58 Menschen das Leben; unter ihnen sind
zehn Frauen und acht Kinder.
Die zwei hingerichteten Priester Tha’ir Saad
und Wasim Boutros wurden am Dienstag in Bagdad beigesetzt. Das Requiem fand in einer
chaldäischen Kirche statt – ganz in der Nähe des Gotteshauses, das am Sonntag von
Bewaffneten während der Messe überfallen worden war. Einer der Bischöfe, die die Totenmesse
feierten, war der syrisch-katholische Erzbischof Basile Georges Casmoussa von Mossul.
„Für
unsere christliche Gemeinschaft ist das eine wahre Katastrophe – in menschlicher und
in religiöser Hinsicht. Das löst Panik aus. Wir versuchen ja wirklich alles, um Dialog
und Zusammenarbeit in Gang zu bringen; aber wenn wir dann sehen, dass – vor allem
von den Behörden – keine adäquate Antwort kommen, dann fühlen wir uns vollkommen schutzlos.
Jetzt muss die UNO handeln, um diese kleine Gemeinschaft zu retten!“
Von
den irakischen Politikern scheint Erzbischof Casmoussa nicht mehr viel zu erwarten:
Sie haben ja auch fast acht Monate nach den Parlamentswahlen immer noch keine Regierungsbildung
hingekriegt. „Die denken nur an sich“, klagt der Oberhirte, „und das Volk bleibt sich
selbst überlassen!“
„Zunächst mal müßte endlich eine Regierung der nationalen
Einheit gebildet werden. Dann sollten sie die Kirchen und die christlichen Gemeinden
schützen – mit Gesetzen und mit Polizeipräsenz, damit die Christen wieder Zutrauen
zu ihrem Land und ihrer Zukunft schöpfen können. Schöne Worte und schöne Reden reichen
nicht!“
Das internationale katholische Missionswerk „missio“ appelliert
angesichts des Dramas von Bagdad erneut an die deutsche Regierung, Menschen, die im
Irak wegen ihrer Religion verfolgt werden, unbürokratisch aufzunehmen. Der Überfall
auf die syrisch-katholische Kirche zeige, „dass sich entgegen anders lautender Beteuerungen
die Lage im Irak nicht stabilisiert hat“, sagt der missio-Menschenrechtsbeauftragte
Otmar Oehring bitter. missio setzt sich für die Aufnahme von bis zu 30.000 Flüchtlingen
ein. 2500 Flüchtlinge sind in Deutschland bislang tatsächlich aufgenommen worden.
Frankreich bot als erste Reaktion auf den Anschlag 150 irakischen Christen Asyl an;
darunter sind auch einige Gottesdienstbesucher, die am Sonntag verletzt wurden. „Im
Irak halten sich obskure Kräfte auf, die eine Befriedung des Landes verhindern wollen“,
meint der chaldäische Auslandsbischof Philippe Najim. „Ich habe gehört, dass sehr
viele Moslems in Bagdad Blut gespendet haben für die Opfer, die in der Kirche verletzt
wurden; die Extremisten werden von den Moslems des Iraks selbst deutlich verurteilt.“ Die
Attentäter vom Sonntag waren offenbar keine Iraker; die Bluttat trägt nach Analyse
vieler Beobachter die Handschrift von al-Quaida. Die Terrorgruppe sieht das Christentum
des Iraks (obwohl es dort schon seit 2000 Jahren einheimisch ist) als Handlager der
verhaßten USA und des Westens. Peter Hünseler, deutscher Islamwissenschaftler und
Leiter der Christlich-Islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle CIBEDO in Frankfurt
am Main: „Die Christen sind ein fester Bestandteil der irakischen Gesellschaft.
Sie sind in aller Regel gut gebildet, jedenfalls die, die in Zentral-Irak leben. Von
einigen kurdischen christlichen Gemeinden kann man das nicht ganz so sagen. Aber die
Christen im Irak haben eigentlich eine gute und wichtige Funktion in der Mittelklasse
der irakischen Gesellschaft gehabt. Sie sind Anwälte, sie sind Lehrer, sie sind Universitätslehrer
und haben eigentlich eine große Bildung aufzuweisen. Und legen auch sehr viel Wert
darauf. Wenn die jetzt das Ziel solcher Anschläge werden und es dann zu einem Exodus
von Christen kommt, wird das die irakische Gesellschaft hart treffen.“ Christen
sind eine der verfolgten religiösen Minderheiten im Irak: Seit 2003 sank ihre Zahl
von über 800.000 bis unter 400.000. Rund 100.000 Christen haben sich in die Nachbarländer
des Irak geflüchtet. Von den etwa 65 Kirchen und Klöstern in Bagdad haben etwa vierzig
schon ein blutiges Attentat erlebt. (rv 03.11.2010 sk)