Wir dokumentieren im Wortlaut einen persönlichen Brief P. Federico Lombardi an Demonstranten,
die Sonntag Abend zwischen Engelsburg und Petersplatz eine Kundgebung gegen sexuellen
Missbrauch in der Kirche veranstalteten.
Die Fenster meines Büros bei Radio
Vatikan sind nur einige Meter entfernt, und deswegen schien es mir angemessen, Ihnen
zuzuhören und Ihrem Treffen ein Zeichen der Aufmerksamkeit zu schenken. Meine Anteilnahme
ist nicht offiziell, aber wegen meiner Zugehörigkeit und meiner Identifikation mit
der Katholischen Kirche und dem Heiligen Stuhl kann ich doch sagen, dass ich zu dem,
wofür Sie hier demonstrieren, eine Anteilnahme ausdrücken darf, die viele hier teilen.
Darin fühle ich mich ermutigt von der Haltung des Papstes, wie er sie oftmals
gezeigt hat: er hat den Opfern zugehört und seinen Willen bekundet, alles Notwendige
zu tun, damit diese furchtbaren Verbrechen des sexuellen Missbrauchs nie wieder geschehen
können. Auch wenn ich nicht alle Ihre Aussagen und Positionen teile, so finde ich
in ihnen doch viele Elemente, aus denen man ein Engagement entwickeln kann, das auf
unsere Solidarität und Zustimmung stößt. Es ist wahr, dass die Kirche sehr aufmerksam
sein muss, so dass die Kinder und Jugendlichen, die ihren erzieherischen Aktivitäten
anvertraut sind, in einer völlig sicheren Umgebung aufwachsen können. Gestern Vormittag
waren 100.000 junge Menschen an diesem Ort, um ihren Glauben und ihre Jugend zu feiern,
und das ist nur ein kleiner Teil der Jugendlichen, die mit Vertrauen und mit Enthusiasmus
am Leben der Kirche teilhaben. Wir müssen auf jeden Fall sicherstellen, dass sie gesund
und gelassen heranwachsen können, mit jeder Art Schutz, der ihnen zusteht. Wir haben
eine große Verantwortung, was die Zukunft der Jugend der Welt angeht. Es ist wahr,
dass die Verfahren zur Untersuchung und zum Eingreifen noch rascher und effektiver
werden müssen, sei es die der Kirche oder die des Staates, und dass es eine gute Zusammenarbeit
zwischen beiden geben muss, nach dem Gesetz und der Situation der einzelnen Länder. Ich
weiß, dass Sie denken, dass die Kirche mehr tun sollte, und schneller. Ich bin überzeugt
– auch wenn man immer mehr hätte tun können – dass die Kirche viel getan hat und viel
tut. Nicht nur der Papst in seinen Worten und seinem Beispiel, sondern auch viele
Kirchengemeinschaften in der Welt haben viel getan und tun viel, indem sie den Opfern
zuhören genauso wie in Maßnahmen zur Prävention und zur Ausbildung. Ich persönlich
bin mit vielen Menschen in Kontakt, die in verschiedenen Ländern in diesen Bereichen
arbeiten, und ich bin überzeugt, dass sie viel tun. Natürlich, wir müssen weiterhin
noch mehr tun. Und Ihr Aufschrei heute ist eine Ermutigung, mehr zu tun. Aber ein
großer Teil der Kirche ist schon auf einem guten Weg. Der größte Teil dieser Verbrechen
gehört vergangenen Zeiten an. Unsere Herausforderungen sind die die Realität von Heute
und die von Morgen. Lassen Sie uns einander helfen, gemeinsam in die richtige Richtung
zu gehen. Aber das wichtigste, das ich Ihnen sagen wollte, ist das folgende, und
ich sehe mich ermutigt Ihnen das zu sagen, weil ich glaube, dass auch Sie es so sehen.
Die Wunde des sexuellen Missbrauchs, besonders von Minderjährigen, aber auch im Allgemeinen,
ist eine der großen Wunden der heutigen Welt. Das schloss und schließt immer noch
die katholische Kirche mit ein, aber wir wissen sehr wohl, dass das, was in der Kirche
geschah, nur ein kleiner Teil dessen ist, was in der Welt geschah und immer noch geschieht.
Die Kirche muss sich von diesem Übel befreien und ein gutes Beispiel geben für den
Kampf gegen den Missbrauch in ihrer Mitte. Dann müssen wir aber alle gegen diese Plage
vorgehen, von der wir wissen, wie ungeheuerlich sie ist. Diese Plage weitet sich umso
leichter aus, je besser versteckt sie bleibt. Auch heute sind viele darüber erfreut,
dass sich alle Aufmerksamkeit auf die Kirche richtet und nicht auf sie, denn das erlaubt
ihnen, ungestört weiter zu machen. Diesen Kampf müssen wir gemeinsam kämpfen, mit
vereinten Kräften gegen die Verbreitung dieser Plage, die sich auf ganz neuen Wegen
verbreitet, durch das Internet und andere neue Kommunikationsformen, durch die Krise
der Familien, durch Sextourismus und Menschenhandel, die die Armut von Menschen vieler
Kontinente ausnützt. Was die Kirche – auch durch Sie und durch andere Gruppen
– gelernt hat, muss zu aller Nutzen sein, genauso wie die Initiativen, die die Kirche
zu ihrer Reinigung unternommen hat, um ein Vorbild an Sicherheit für die Jugend zu
werden. Deswegen lade ich Sie ein, auf die Kirche als einen möglichen Verbündeten
zu blicken, oder – wie ich es sagen würde – als Verbündeten, der schon heute aktiv
ist bei der Verfolgung der besten Ziele Ihres Kampfes.