2010-10-31 14:22:58

Kardinal Kasper: „Enthusiasmus mit Geduld, Geduld mit Ethusiasmus“


RealAudioMP3 An diesem Sonntag feiert die evangelische Kirche den Reformationstag, Anlass für uns, sich mit einem Kenner über den Stand der Ökumene zu unterhalten. Kardinal Walter Kasper ist in diesem Frühjahr als Leiter des päpstlichen Einheitsrates emeritiert worden. Anlässlich dieses Rückzuges aus dem aktiven Geschehen im Vatikan haben wir ihn nach seinen Erfahrungen mit der Ökumene befragt.

 
Kardinal Kasper, was bewegt Sie persönlich in der Ökumene, was bewegt Sei geistlich?

 
„Ganz grundlegend natürlich ist es der Stiftungswille Christi, der eine Kirche wollte und der die Einheit aller Christen wollte. Die Tatsache, dass wir in so viele Kirchen und Gemeinschaften, die sich dann Kirche nennen, getrennt sind, ist ein Skandal. Zum anderen ist das ein Hindernis für die Verbreitung des Evangeliums. Wir können nicht mir einer Stimme sprechen. Es gibt sehr viele Rivalitäten. Es ist also ein ganz zentrales Anliegen, mitzuhelfen, diese Spaltungen mindestens zu mindern oder wenn es geht auch zu überwinden. Dann kommen noch pastorale Probleme hinzu. Jeder von uns hat bekenntnisverschiedene Familien in seiner eigenen Verwandtschaft und Nachbarschaft, in unseren Pfarreien, und jeder weiß, dass das ein großes Problem und eine Not ist. Das eigentliche Grundproblem in Deutschland wie in ganz Westeuropa ist aber das Problem einer neuen Evangelisierung. In meiner bewussten Lebenszeit hat die Zahl der regelmäßigen Kirchenbesucher von 1950 bis heute um zwei Drittel abgenommen! Diese Zahl kann einen nicht ruhig lassen. Es ist also die Frage, ob wir unsere christlichen Wurzeln wieder zurückgewinnen können oder ob wir eine kleine Minderheit werden. Da sind große Anstrengungen nötig. Das ist wiederum mit dem ökumenischen Problem verbunden, denn das ist eine Anstrengung, die wir gemeinsam unternehmen müssen.“

 
Wenn Sie also zwanzig Jahre jünger wären, würden Sie sich dann freiwillig melden für den neuen Päpstlichen Rat zur Neuevangelisierung?

 
„Ach, freiwillig melden würde ich mich nicht, ich habe mich ja auch hier nicht freiwillig gemeldet. Ich wollte überhaupt nicht nach Rom kommen und habe mich zunächst auch gewehrt. Das Problem der neuen Evangelisierung hat mich schon als Bischof sehr beschäftigt und ich habe dazu auch Einiges veröffentlicht. Das ist schon ein wichtiges Grundanliegen, das man natürlich jetzt schlecht mit einem solchen Rat machen kann, denn das soll ja alle alten und traditionellen Kirchen umfassen, von Amerika bis zu den Philippinen. Das sind sehr unterschiedliche Situationen. Der neue Rat wird da mit den Bischofskonferenzen zusammen arbeiten müssen und die müssen das dann in erster Linie tun.“

 
Eines der großen Ereignisse auf Ihrem Weg ist die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre, die vor genau elf Jahren unterschrieben wurde. Damals hieß es, sie müsse ein Aufbruchssignal in der Ökumene werden. Ist sie das geworden?

 
„Sie ist sicherlich ein Meilenstein in der Ökumene mit den lutherischen, später auch mit den methodistischen Christen, das ganz sicher, aber ein Aufbruchssignal ist es leider Gottes nicht geworden. Es ist nach der Gemeinsamen Erklärung eher zu einer Abkühlung gekommen, weil für unsere protestantischen Brüder und Schwestern die Rechtfertigungslehre sehr stark mit der Kirchenlehre verbunden ist, und sie sehen da nun keine Fortschritte, vor allem was die gemeinsame Kommunion angeht. Es sind auch eine Menge anderer Entwicklungen, die da eine Rolle gespielt haben, so dass die Hoffnungen, die vor allem nach dem Zweiten Vatikanum da waren, dieser Enthusiasmus, man könne diese Einheit möglichst bald erreichen, heute doch sehr verblasst ist und schwächer geworden ist. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen und trotzdem dürfen wir nicht aufgeben. Enthusiasmus muss da mit Geduld gewappnet sein, aber die Geduld auch wieder mit Enthusiasmus. Beides gehört zusammen, wenn man Ökumene macht.“

 
Man spricht gerne von Gemeinsamkeiten und nimmt dann doch die Unterschiede wahr.

 
„Das ist sehr viel, was wir gemeinsam haben, wir haben mehr gemeinsam, als was uns trennt, aber es gibt eben auch noch diese trennenden Probleme, vor allem der kirchlichen Amtslehre und der Sakramentenlehre, der Marienverehrung: Die sind noch da, die kann man nicht einfach überspringen.“

 
Es ging damals um den Begriff der Rechtfertigung. Das ist eine forensische Sprache, eine Gerichtssprache. Viele haben das schon damals nicht verstanden, vor allem von katholischer Seite aus. Worum geht es da?

 
„Die Antwort ist einfach, übersetzt: Du kannst das Glück, den Sinn deines Lebens nicht selber leisten. Das ist letztlich dir geschenkt. Und dieses Geschenk ist von Jesus Christus endgültig zugesprochen und auch gegeben worden, so dass du nicht einfach meinst, du kannst das Leben und die Kirche einfach machen, sondern man hat es geschenkt bekommen. Und man erfährt im Glauben, dass letztlich alles Gnade ist. Das ist etwas, was unserem Leistungsdenken doch sehr fremd ist, aber unser Leistungsdenken auch erlöst, denn dieser Leistungsfanatismus überfordert uns ja. Wir merken ja immer wieder, dass es uns nicht gelingt und dass wir auch schwache Menschen sind, sündige Menschen sind. Ich muss es letztlich nicht machen, sondern Gott schenkt es mir und er nimmt mich unbedingt an. Insofern ist das schon auch eine Botschaft für den heutigen Menschen.“

 
Eines der Standard-Vorurteile ist, dass die Basis in Sachen Ökumene schon viel weiter sei als die Theologie und die Kirche. Woher kommt das und – stimmt es?

 
„Zunächst einmal gibt es ja nicht: eine Basis, sondern die Basis ist da im Augenblick in der Frage der Ökumene sogar sehr gespalten. Es gibt welche, die meinen, sie seien da sehr viel weiter und sie hätten praktisch alles schon gelöst, aber es gibt auch andere, die da sehr am bremsen sind und die die Unterschiede sehr betonen. Die eine Basis gibt es nicht. Es gibt auch nicht: Die Theologie. Insofern stehen wir in diesem Päpstlichen Einheitsrat also irgendwie dazwischen. Wir können sagen, dass wir schon viel erreicht haben, aber wir müssen auch noch sehr viel tun. Woher das Vorurteil kommt? Ich meine, dass es auch eine gewisse Gleichgültigkeit im Glauben, was der Papst immer mit ‚Relativismus’ bezeichnet: ‚Es ist doch alles egal, wir haben alle den gleichen Gott und nur darauf kommt es an’. Das ist natürlich eine sehr oberflächliche Auskunft, die den Ernst der Glaubens und die Unterschiede im Glauben nicht mehr sieht. Man kann nicht einfach davon ausgehen, dass wir heute so viel gescheiter sind als alle Jahrhunderte vorher. Wofür diese Menschen gestritten und gekämpft haben und zum Teil auch gestorben sind, das sei für uns heute alles gleichgültig: Das ist ein oberflächlicher Standpunkt. Wir müssen schon die Wahrheitsfrage ernst nehmen und die Wahrheit dann in der Liebe tun.“

 
Ist dieses Nicht-ernst-nehmen ein Zeichen für das, was im Augenblick gerne die „schwache Vernunft“ genannt wird?

 
„Schwache Vernunft, das sagt man ja über die heutige Postmodernität, dass man im Grunde über Gott nichts sagen kann und dass man das alles offen lassen muss, dass jeder so ein bisschen was hat von der Transzendenz und dass man dann auch alle Religionen als gleich gültig – im ursprünglichen Sinn des Wortes – behandelt. Aber das ist schwache Vernunft, und es ist auch schwacher Glaube. Wir müssen schon die Botschaft Jesu Christi ernst nehmen und können die Wahrheitsfrage nicht einfach so übergehen und relativieren.“

 
Sie haben immer davon gesprochen, dass man den Dialog der Ökumene nicht planen könne. Wie meinen Sie das?

 
„Dialog ist ein Verhältnis von Mensch zu Mensch, und das Verhältnis zwischen Menschen kann man überhaupt nie planen. Weil es von freien Entscheidungen des Anderen abhängig ist, ob der Andere sich öffnet, ob ich mich für den Anderen öffne. So ist jeder Dialog ein offenes Geschehen, das man nicht vorherplanen kann. Ich verfüge nicht über das Herz des Anderen und der verfügt nicht über mein Herz. So ist jeder Dialog ein Abenteuer, in das man sich hinein begibt und hineinbegeben muss und dann sehen muss, wie weit man mit dem Anderen jeweils kommt. Aber es ist ein Abenteuer, in dem man auch immer wieder Enttäuschungen erlebt, wenn etwas plötzlich nicht geht und man das nicht erzwingen kann und auch nicht erzwingen darf. Man muss den Anderen in seiner Überzeugung schätzen, respektieren – nicht nur tolerieren, sondern auch respektieren. Insofern weiß man das vorher nie, was dabei herauskommt, wenn man sich in ein echtes Gespräch hineinbegibt.“

 
Sie haben vor einem Jahr in einer Festrede zur Gemeinsamen Erklärung das „gottlose Gejammer“ vom vermeintlichen Stillstand in der Ökumene beklagt. Das Wort ‚gottlos’ darin fand ich hochinteressant. Warum ist das Gejammer gottlos?

 
„Gottlos ist es, weil es gottvergessen ist und man vergisst, dass Gott mit im Spiel ist. Jesus hat ja mehrfach gesagt: Um alles, was ihr in meinem Namen bittet, das wird euch gegeben werden. Um was kann ich mehr bitten, als dass alle eins sind? Da stimme ich ja in Jesu eigenes Gebet ein und darf überzeugt sein, dass die Ökumene nicht vom Geist des Liberalismus angestoßen ist, sondern vom Heiligen Geist. Das sagt das Konzil ausdrücklich. Also darf ich darauf vertrauen, dass er das, was er angefangen hat, auch zur Vollendung führt.
Darüber zu jammern, dass es Schwierigkeiten gibt, das ist keine vernünftige Einstellung. Es sind Probleme da, auch Blockaden von der einen oder anderen Seite, aber zu jammern und einander Schuld zuzuweisen, das ist der falsche Weg. Wir sollen in der Zusage Jesu und des Heiligen Geistes uns darauf einlassen und eben die Schritte tun, die wir im Augenblick verantwortlich tun können. Mehr können wir nicht machen. Wir können die Einheit nicht einfach machen, man kann sie nicht mit dem Brecheisen einfach erzwingen. Das sind völlig unsachgemäße Vorstellungen. Am Ende ist es ein Geschenk, das uns gegeben werden muss. Wir sollen tun, was wir können, aber dann auch wieder warten, bis die Zeit reif ist.“

 
Was steht nun für Sie als Nächstes an? Schreiben Sie ein weiteres Buch, ernten Sie weiter Früchte ihrer Arbeit? Sie werden sicherlich etwas tun wollen und nicht ganz in den Ruhestand gehen?

 
„Ich bin jetzt wieder etwas zu meinen Handwerk zurückgekehrt, zur Theologie. Und das macht mir ganz große Freude nach diesen Jahren mit einer sehr vielfältigen Aktivität, mit den vielen Reisen und vielen Gesprächen, jetzt wieder in Ruhe am Schreibtisch arbeiten zu können. Ich möchte mir noch einen Wunsch erfüllen, den ich am Schluss meiner akademischen Zeit hatte. Ich wollte nach dem Christusbuch und nach dem Gottesbuch ein Buch über die Kirche schreiben. Das habe ich damals schon angefangen, das will ich jetzt zu Ende führen. Aber nach den Erfahrungen von zehn Jahren Bischof einer großen Diözese und nach zehn Jahren hier in Rom mit weltweiter Erfahrung auch mit vielen anderen Kirchen, das hat die Erfahrung komplett verändert. Das ist ja auch normal. Dieses Buch über die Kirche möchte ich jetzt zu Ende führen.“

 
Kardinal Kasper, herzlichen Dank für das Gespräch.

(rv 30.10.2010 ord)
 







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