2010-10-30 10:49:51

Kommunikation in neun Monaten Krise: „Ein stürmisches Geschäft“


RealAudioMP3 Neun Monate ist es her, seitdem die deutschsprachigen Kirchen sich mit ihrer dunklen Vergangenheit, mit Missbrauch, Duldung und mit Wegschauen befassen müssen. Viel wurde gelernt, unter anderem auch in Sachen Kommunikation und Umgang der Medien mit der Kirche. Im Mittelpunkt der Debatte stand unter anderem die Deutsche Bischofskonferenz. Mit deren Sprecher Matthias Kopp (unserem früheren Redakteur) hat sich Radio Vatikan über die Erfahrungen der letzten Monate unterhalten:

 
Herr Kopp, neun Monate lang befassen wir uns jetzt mit Missbrauch und der Aufklärung von Missbrauch, und wir haben dabei einiges gelernt. Was haben wir in Sachen Kommunikation gelernt? Was hat die katholische Kirche in Sachen Kommunikation und Umgang mit Öffentlichkeit gelernt?

 
„Wir haben, glaube ich, deutlich gemacht, dass wir es geschafft haben, als katholische Kirche in Deutschland eine gute und vernetzte Kommunikation zwischen den Bistümern durchzuführen. Wir waren ja als Kirche insgesamt gefragt, wir waren als Bischofskonferenz gefragt, als Bistum X oder Y; die Krise hat uns zusammengeführt, dass wir besser vernetzt denken. Das ist ein ganz wichtiger Punkt gewesen. Ein zweiter Punkt ist, dass uns deutlich geworden ist, dass wir manchmal noch schneller reagieren müssen. Die Schnellebigkeit der Medien ist das Eine, aber die schnelle und transparente Information ist das Andere! Da ist vieles gut gelaufen, aber anderes kann noch besser laufen. Der dritte Punkt, den wir gelernt haben, ist, Kommunikation in besonders komplexen Zusammenhängen so zu verpacken, dass sie auch nach draußen verstanden wird.
Die Debatte, die wir vor allem im April und Mai hatten, war ja plötzlich nicht mehr eine Debatte über Missbrauch, sondern über Zölibat. Der Zölibat wurde mit Missbrauch in Verbindung gebracht – und wir mussten sehr genau hinschauen, wie man eigentlich den Zölibat noch positiv erklären kann. Diese Frage von Sprache und von Erklärstücken ist ein Gebiet, wo wir in diesem Jahr noch einmal eine Menge gelernt haben.“

 
Als Sprecher haben Sie in der Mitte des Sturms gestanden, zumindest was die Öffentlichkeit anging. Was haben Sie persönlich in ihrem Job gelernt?

 
„Ich habe gelernt, dass wir nach wir vor am Vertrauen den Medien gegenüber weiterarbeiten müssen. Es gibt ein vertrauensvolles Verhältnis zu vielen Medien in Deutschland, auch in Italien, in Österreich und der Schweiz und in Frankreich - aber das muss durch persönliche Kontakte immer weiter ausgebaut werden. Ich habe erlebt, dass natürlich die schnelle Nachricht, die schnelle Schlagzeile, die flotte Formulierung in einzelnem Medien gut und quotenträchtig sind. Aber es ist besser, wenn ich mich mit einem Journalisten persönlich treffe, mit ihm spreche oder Hintergrundkreise eingeladen habe, um Dinge zu erklären... und gewisse Dinge auch nicht zur Veröffentlichung bestimmt erkläre. Im persönlichen Gespräch kann man vieles genauer erklären, als wenn ich jetzt nur eine Pressemeldung herausschicke. Der persönliche Kontakt ist wichtig!
Das zweite, was ich gelernt habe, ist, dass es ein stürmisches Geschäft ist, nach wie vor. Ich war ja lange Jahre in der Politik tätig, wo es auch stürmisch war; der Sturm in diesem Jahr war schon auf hoher See. Das Schiff ist nicht gekentert, aber es hat die eine oder andere Blessur abbekommen. Aus diesem Lernprozess ist für mich wichtig: persönlicher Umgang, Offenheit - und: Jeder Journalist, der anruft, bekommt eine Antwort, und zwar möglichst schnell.“

 
Was interessiert ‚die Medien’ im deutschsprachigen Raum heute an der Kirche?

 
„Natürlich war das Thema Missbrauch von Ende Januar bis in den Sommer hinein das Thema Nummer eins. Es gab quasi keine Chance, ein anderes Thema zu platzieren. Eine Ausnahme und ein echter Leuchtturm war da der Ökumenische Kirchentag in München. Plötzlich war es möglich, mehrere Tage lang etwas ganz anderes zu machen als Missbrauch - auch medial. Und dann habe ich im Sommer gefragt, ob wir nicht jetzt in der Situation sind, neben der Aufarbeitung des ganzen Missbrauchs auch andere Themen zu setzen. Wir haben uns dann zu den Hartz-IV-Regelssätzen geäußert, und plötzlich waren wir als Kirche mit unserem sozialkaritativen Auftrag wieder in den Medien präsent. Ich nehme jetzt wahr, dass wir immer noch zu Missbrauch gefragt werden, dass wir aber als Kirche auch wieder zu wichtigen gesellschaftspolitsichen Fragen befragt werden, etwa zum Sparprogramm der Bundesregierung, oder zu wichtigen ethischen Fragen, etwa zur Präimplantationsdiagnostik. Die Krise ist nicht überwunden, wir müssen sie noch aufarbeiten - aber wir haben wieder die Chance auf andere Themen. Es gibt wieder ein Interesse an anderen Themen!“

 
In den letzten Wochen ist viel reflektiert und kommentiert worden, wie die Medien mit der Krise umgegangen sind, ein Stichwort: Sensationslust vor Informationslust, weil das besser Zeitungen und Sendungen verkauft. Wie kommuniziert man in einer solchen Atmosphäre?

 
„Nehmen Sie das Beispiel, wenn ich – wie sehr häufig der Fall – gefragt wurde, wie viele Missbrauchsfälle es eigentlich in Deutschland gab. Da gab es Statistiken, die man sich aus Bistumsverlautbarungen zusammengerechtnet hatte, andere Bistümer haben wie die Bischofskonferenz nichts gesagt. Da habe ich einfach den Journalisten erklärt: Ich mauere hier nicht, ich schweige hier nicht, ich kann es einfach nicht! Wenn wir eine seriöse Zahl aller Missbrauchfälle in einem Zeitraum darstellen wollen, müssen wir das vernünftig aufarbeiten. Das Journalisten zu erklären, war nicht immer ganz einfach, weil Journalisten dann fragen: ‚Haben Sie das nicht auf Knopfdruck gespeichert?’ Ein anderes Beispiel ist für mich die Englandreise des Papstes, die ja im Vorfeld auch in deutschen Medien äußerst kritisch beäugt wurde. ‚Kann das überhaupt gut gehen, da oben auf der kalten Insel?’ und so weiter. Ich fand es einen überaus spannenden und von den Medien außerordentlich positiv begleiteten Prozess, wie sich die Medien eingelassen haben auf die Reise, auf die Stimmung, auf die Inhalte. Die Meinung war nachher eine völlig andere. So etwas kann sich positiv entwickeln, ohne dass wir als Pressesprecher etwas positiv dazu beitragen müssen.
Mein drittes Beispiel: Ich erwarte von den Medien einen seriösen Umgang auch mit uns. Ich habe keinen Grund, eine Medienkritik zu betreiben oder eine Medienschelte - es gab zwischendurch einige Momente, wo ich mir dachte, dass man auch anders mit uns umgehen kann. Aber es gibt auch Beispiele, wo ich sagen muss: ‚So geht es nicht’! Zum Beispiel in einer Talkshow im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wo wir von uns aus einen Bischof hin vermittelt haben. Am Ende macht der Moderator auf Kosten dieses Bischofs einen Witz über den Zölibat. Das sind einfach Grenzen. Wenn jemand in einer Talkshow lächerlich gemacht wird, ist das unseriös! Oder als Prälat Georg Ratzinger von einem privaten Fernsehsender am Rande einer Fronleichnahmsprozession in Regensburg plötzlich zum Thema ‚Staatsleistung – Kirchenfinanzierung’ befragt wurde. Am Rande eines liturgischen Aktes – das ist nicht nur unseriös, das ist unschicklich. Hier muss auch fair mit uns umgegangen werden!“

 
Was würden Sie im Rückblick gerne anders gemacht haben?

 
„Ich zögere ein wenig mit der Antwort, denn nachher ist man immer schlauer als vorher. Dieses schlimme Problem ist ja in einer Wucht über uns hergefallen... Ende Januar, als die Geschichte am Canisiuskolleg in Berlin losging, musste schnell reagiert werden. Manchmal wurde auch in meiner persönlichen Entscheidung zu langsam reagiert, weil ich gesagt habe, dass wir warten müssen, wie sich die Lage entwickelt. Ich würde rückblickend anders machen, dass wir uns in der Krisenkommunikation noch etwas anders aufstellen. Man kann das alles am Handbuch abarbeiten, aber sind wir wirklich auf künftige Krisen richtig vorbereitet? Dass wir nicht von der Hand in den Mund leben, dass wir nicht nur reagieren, sondern auch agieren, also selbst den aktiven Part übernehmen und nicht gejagt werden! Wir sind durchaus heftig gejagt worden, etwas zu sagen. Da würde ich rückblickend sagen, dass ich in der Krisenkommunikation einiges anders machen würde. Daraus habe ich wirklich gelernt, uns auf künftige Krisen in der katholischen Kirche anders einzustellen.“

 
Das gehört also zu den Lernerfolgen, die noch ausstehen. Was würden Sie sich selbst noch wünschen - als Maximalforderung an sich selbst, damit die Dinge noch runder laufen?

 
„Wir müssen weiterhin schnell, ehrlich und transparent operieren. Diese drei Komponenten sind absolut wichtig. Es gibt Momente, wo ich als Pressesprecher etwas nicht sagen kann: Dann muss ich sagen ‚Dazu kann ich gerade nichts sagen’. Aber die Grundessenz wäre: Schnell, transparent und ehrlich muss weiterhin unsere Hauptarbeitsmaxime bleiben – was sie generell auch ist. Der zweite Aspekt ist sicherlich, dass wir schauen müssen, dass die Stimmen, die wir haben, auch wirklich zu Wort kommen. Damit will ich deutlich machen, dass wir Pressesprecher viel reden können, aber auch unsere Bischöfe sollen reden! Ich erlebe das bei meinen Kolleginnen und Kollegen in den Pressestellen der 27 Bistümer, dass es eine unglaublich große Bereitschaft gibt, die Bischöfe zu bitten, jetzt etwas zu sagen. Ich glaube, dass wir da noch etwas dran tun können, dass die Bischöfe von sich aus etwas sagen. Das erlebe ich bei den Vollversammlungen, das erlebe ich bei Einzelthemen, dass sich die Bischöfe da zu Wort melden... Ich glaube, unsere Bischöfe haben etwas zu sagen - und sie werden auch künftig etwas sagen.“

 
Was uns beim Radio natürlich ganz besonders freut. Herr Kopp, herzlichen Dank für das Gespräch!

(rv 30.10.2010 ord)
 







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