Der Vorsitzende der
belgischen Bischofskonferenz hat mit Äußerungen zum Thema Missbrauch eine Kontroverse
ausgelöst. Im belgischen Fernsehen wandte sich der Brüsseler Erzbischof André-Joseph
Léonard dagegen, Kirchenleute, die sich des Missbrauchs von Kindern oder Jugendlichen
schuldig gemacht haben, allzu hart zu bestrafen.
„Wenn es sich um Priester
handelt, die schon pensioniert oder in hohem Alter sind, dann denke ich, muss man
auch berücksichtigen, was die Opfer wünschen, die sich an die Kommission (zum Thema
Missbrauch) oder manchmal auch direkt an uns wenden. Wollen die wirklich, dass ein
85-jähriger Priester jetzt auf einmal an den Pranger gestellt und öffentlich verunglimpft
wird? In der Mehrheit der Fälle wollen sie das wohl nicht, denke ich.“
Natürlich
müssten Missbrauchstäter bestraft werden, so Erzbischof Léonard – vor allem wenn sie
„noch aktiv sind“, damit „zumindest weitere Taten verhindert werden“. Gerechtigkeit
bedeute für ihn vor allem auf die Wünsche der Opfer einzugehen:
„Ich wünsche
mir, dass man immer mit allen menschlich umgeht: als erstes mit den Opfern, indem
man ihnen gut zuhört, und dann auch mit den Tätern – denn auch die Täter sind Menschen.
Sie müssen sich natürlich bewußt machen, was da geschehen ist... aber wenn sie nicht
mehr im Amt sind und keinerlei Verantwortung mehr tragen, weiß ich nicht, ob eine
Art Rache, die kein konkretes Resultat hat, eine menschliche Lösung ist. Und ich glaube,
dass die Mehrheit der Opfer das auch nicht will – alles andere als das!“
Parlamentsmitglieder
der Sozialisten kritisierten am Donnerstag Léonards Äusserungen. Im Radio erklärten
zwei von ihnen, es sei nicht Sache Léonards, über den angemessenen Umgang mit Missbrauch
in der Kirche zu befinden. Die Opfer müssten entscheiden, ob sie den Fall vor Gericht
bringen wollen. Kirche und Staat seien in Belgien getrennt, folglich stehe es nur
der Justiz zu, sich der Fälle anzunehmen. Durch seine Äusserungen setze der Erzbischof
Missbrauchsopfer abermals unter Druck. - Belgien wird seit Ende April von einer heftigen
Debatte über Kindesmissbrauch durch Geistliche erschüttert. Ausgelöst wurde sie durch
den Rücktritt von Bischof Roger Vangheluwe von Brügge, der gestand, einen Neffen missbraucht
zu haben. Nach dem Abschlussbericht einer Untersuchungskommission kamen vor allem
in den 60er bis 80er Jahren sexuelle Übergriffe gegen Jugendliche in allen belgischen
Diözesen und Orden vor. Mehr als 90 Täter im kirchlichen Personal hätten identifiziert
werden können. Mindestens 13 Opfer hätten später Selbstmord begangen. Der aus Belgien
stammende EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy fordert Reformen in seiner katholischen
Kirche. Innerhalb der Kirche seien die alten Strukturen zum Teil noch intakt, kritisierte
er gegenüber der belgischen Tageszeitung "Le Soir" in der Ausgabe von diesem Donnerstag.
Mit Blick auf die Missbrauchsskandale sagte er, das Problem sei nicht die Pädophilie.
Das Problem sei vielmehr, dass die Kirche eine Einrichtung ohne jegliche Demokratie
sei. Verhaltensweisen wie Kindesmissbrauch hätten daher niemals zu einer Debatte geführt,
da die Kirche aus Strukturen absoluter Herrschaft bestehe. Van Rompuy erklärte aber,
durch die Missbrauchsskandale werde sein Glaube nicht in Zweifel gebracht. „Trotz
allem bleibe ich in der Kirche“, so der flämische Politiker. „Mein Leben wird von
meinem Gewissen bestimmt, nicht von Satzungen“.