2010-10-19 10:39:19

Türkei: Wulff fordert Religionsfreiheit für Minderheiten


RealAudioMP3 Der deutsche Bundespräsident Christian Wulff hält sich zu seinem ersten offiziellen Besuch in der Türkei auf; in den nächsten fünf Tagen trifft er sich dort auch mit Vertretern der christlichen Kirchen. An diesem Dienstag Mittag konnte Wulff als erster deutscher Präsident vor dem türkischen Parlament in Ankara sprechen. Dabei erinnerte er daran, dass in der Türkei auch das Christentum „eine lange Tradition“ habe. „Das Christentum gehört zweifelsfrei zur Türkei“, so Wulff wörtlich. Er freue sich, „an diesem Donnerstag in Tarsus einen ökumenischen Gottesdienst mitfeiern zu können“. Wörtlich meinte der Präsident, der zu einem Staatsbesuch in der Türkei ist: „Ich höre mit großer Begeisterung, dass in der Türkei Stimmen zu hören sind, die mehr Kirchen für Gottesdienste öffnen wollen. Zu dieser Entwicklung möchte ich Sie nachhaltig ermutigen: Die Religionsfreiheit ist Teil unseres Verständnisses von Europa als Wertegemeinschaft. Wir müssen religiösen Minderheiten die freie Ausübung ihres Glaubens ermöglichen. Das ist nicht unumstritten, aber es ist notwendig.“ Am Freitag will sich Wulff mit dem griechisch-orthodoxen Patriarchen Bartholomaios I. von Konstantinopel treffen.

Die christlichen Kirchen sehen im Moment Hoffnungszeichen für sich, wie der Lazaristenpater Franz Kangler aus Istanbul dem Kölner Domradio erklärt.

„Ich sehe, dass jetzt im Gegensatz zu früher zum ersten Mal bewusst Maßnahmen getroffen werden, die die Christen ermutigen sollen. Es hat vor einer Woche erst die Entscheidung gegeben, dass mehreren ausländischen Metropoliten des ökumenischen Patriarchats die türkische Staatsbürgerschaft verliehen wird. Das ist ganz wichtig für das Patriarchat, denn der Patriarch braucht ja für seine Tätigkeit eine Synode von 12 Erzbischöfen, und die hat er einfach nicht mehr, wenn er sie aus türkischen Staatsbürgern zusammenstellen soll, denn alle sind alt geworden. Und bei einer Kirche von 2.000 bis 4.000 griechisch-orthodoxen Christen- man hört hier sehr verschiedene Zahlen, aber selbst die größere Zahl ist ja minimal - ist es ja klar zu sehen, dass es hier kaum so viele geistliche Berufe geben wird, um eine tragbare Zukunft zu gewährleisten.“

Allerdings sei jetzt der orthodoxe Patriarch Bartholomaios I. „wieder hoffnungsvoll“ und erwarte „eine aktive Unterstützung der Türkei, dass hier etwas besser werden könnte“, so Pater Kangler. Und „auch mit den Armeniern gibt es jetzt einfach Gespräche und Zeichen“.

„Es ist noch nicht einfach: Es gibt noch immer viele Dinge der Vergangenheit zu überwinden, aber wenn man z.B. auf der Insel Akdamar ganz in der Osttürkei in der Nähe von Van eine lange Zeit verfallende Kirche von großer Bedeutung für die Armenier wieder renoviert hat und zumindest einmal im Jahr dort einen Gottesdienst feiert, ist das ein Hoffnungszeichen für diese Gruppen. Und ähnlich geht es auch den anderen Kirchen.“

Das größte Problem der Christen in der Türkei sei ihre geringe Zahl, so Kangler, der lange Zeit das Österreichisch St.-Georgs-Kolleg in Istanbul geleitet hat.

„Christen in der Türkei sind zurzeit nicht mehr in einer Prozentzahl vorhanden, sondern in einer Promillezahl. Das Problem entsteht dadurch, dass es drei einheimische Kirchen gibt: Die Griechen, die Armenier und die Syrer. Und gerade bei zwei Gruppen ist das immer wieder auch mit politischen Fragen verbunden, sei es mit dem Zypernkonflikt und Griechenland oder auch bei den Armeniern zurzeit mit Spannungen über Aserbaidschan und noch immer unaufgearbeiteten alten Fragen der Geschichte, wie man mit den Armeniern hier umgegangen ist. Also, alle drei einheimischen Kirchen sind sehr klein geworden, während die anderen - Katholiken, evangelische Christen etc. - im Grunde genommen noch immer Ausländerkirchen sind. Es gibt zwar auch bei ihnen eine kleinere Zahl von türkischen Staatsbürgern, aber die sind wieder in einer anderen Rechtssituation.“

Immer mehr Rechte also für immer weniger Christen? Das hört sich bei Ruggero Franceschini anders an: Der Vorsitzende der türkischen Bischofskonferenz und Bischof von Smirna sagt uns:

„Ich würde nicht von einer winzigen christlichen Präsenz sprechen – man muss schließlich auch berücksichtigen, dass es in der Türkei viele Menschen gibt, die Krypto-Christen oder heimliche Christen sind. Sie bleiben in der Deckung, weil sie ihre Familie nicht kompromittieren wollen, ihre Arbeit, ihre soziale Position; wenn sie sich zum Christentum bekennen würden, wäre das ein enormes Risiko. Die christliche Gemeinschaft ist also etwas größer, als sie wirkt.“

Doch der aus Italien stammende Bischof, der seit etwa dreißig Jahren in der Türkei lebt, ist sich mit Pater Kangler darin einig, dass es immer weniger Schikanen gegen Christen gibt.

„Vor allem in meiner Region rund um Smirna gibt es eine positive Laizität, die die Werte der anderen anerkennt und versucht, mit ihnen zum Erreichen gemeinsamer Ziele zusammenzuarbeiten. Unsere Caritas zum Beispiel arbeitet mit Muslimen zusammen für autistische Kinder und ältere Menschen – da sind wir uns sehr einig. Was den Respekt der Religion des anderen betrifft, sind wir meilenweit von den Zuständen in der Türkei vor dreißig Jahren entfernt. Heute gibt es sicher größeren Respekt – aber gleichzeitig auch, ganz im Gegenteil, größeren Krieg.“

(rv/domradio 19.10.2010 sk)








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