Türkei: Wulff fordert Religionsfreiheit für Minderheiten
Der deutsche Bundespräsident
Christian Wulff hält sich zu seinem ersten offiziellen Besuch in der Türkei auf; in
den nächsten fünf Tagen trifft er sich dort auch mit Vertretern der christlichen Kirchen.
An diesem Dienstag Mittag konnte Wulff als erster deutscher Präsident vor dem türkischen
Parlament in Ankara sprechen. Dabei erinnerte er daran, dass in der Türkei auch das
Christentum „eine lange Tradition“ habe. „Das Christentum gehört zweifelsfrei zur
Türkei“, so Wulff wörtlich. Er freue sich, „an diesem Donnerstag in Tarsus einen ökumenischen
Gottesdienst mitfeiern zu können“. Wörtlich meinte der Präsident, der zu einem Staatsbesuch
in der Türkei ist: „Ich höre mit großer Begeisterung, dass in der Türkei Stimmen zu
hören sind, die mehr Kirchen für Gottesdienste öffnen wollen. Zu dieser Entwicklung
möchte ich Sie nachhaltig ermutigen: Die Religionsfreiheit ist Teil unseres Verständnisses
von Europa als Wertegemeinschaft. Wir müssen religiösen Minderheiten die freie Ausübung
ihres Glaubens ermöglichen. Das ist nicht unumstritten, aber es ist notwendig.“ Am
Freitag will sich Wulff mit dem griechisch-orthodoxen Patriarchen Bartholomaios I.
von Konstantinopel treffen.
Die christlichen Kirchen sehen im Moment Hoffnungszeichen
für sich, wie der Lazaristenpater Franz Kangler aus Istanbul dem Kölner Domradio erklärt.
„Ich
sehe, dass jetzt im Gegensatz zu früher zum ersten Mal bewusst Maßnahmen getroffen
werden, die die Christen ermutigen sollen. Es hat vor einer Woche erst die Entscheidung
gegeben, dass mehreren ausländischen Metropoliten des ökumenischen Patriarchats die
türkische Staatsbürgerschaft verliehen wird. Das ist ganz wichtig für das Patriarchat,
denn der Patriarch braucht ja für seine Tätigkeit eine Synode von 12 Erzbischöfen,
und die hat er einfach nicht mehr, wenn er sie aus türkischen Staatsbürgern zusammenstellen
soll, denn alle sind alt geworden. Und bei einer Kirche von 2.000 bis 4.000 griechisch-orthodoxen
Christen- man hört hier sehr verschiedene Zahlen, aber selbst die größere Zahl ist
ja minimal - ist es ja klar zu sehen, dass es hier kaum so viele geistliche Berufe
geben wird, um eine tragbare Zukunft zu gewährleisten.“
Allerdings sei
jetzt der orthodoxe Patriarch Bartholomaios I. „wieder hoffnungsvoll“ und erwarte
„eine aktive Unterstützung der Türkei, dass hier etwas besser werden könnte“, so Pater
Kangler. Und „auch mit den Armeniern gibt es jetzt einfach Gespräche und Zeichen“.
„Es
ist noch nicht einfach: Es gibt noch immer viele Dinge der Vergangenheit zu überwinden,
aber wenn man z.B. auf der Insel Akdamar ganz in der Osttürkei in der Nähe von Van
eine lange Zeit verfallende Kirche von großer Bedeutung für die Armenier wieder renoviert
hat und zumindest einmal im Jahr dort einen Gottesdienst feiert, ist das ein Hoffnungszeichen
für diese Gruppen. Und ähnlich geht es auch den anderen Kirchen.“
Das größte
Problem der Christen in der Türkei sei ihre geringe Zahl, so Kangler, der lange Zeit
das Österreichisch St.-Georgs-Kolleg in Istanbul geleitet hat.
„Christen
in der Türkei sind zurzeit nicht mehr in einer Prozentzahl vorhanden, sondern in einer
Promillezahl. Das Problem entsteht dadurch, dass es drei einheimische Kirchen gibt:
Die Griechen, die Armenier und die Syrer. Und gerade bei zwei Gruppen ist das immer
wieder auch mit politischen Fragen verbunden, sei es mit dem Zypernkonflikt und Griechenland
oder auch bei den Armeniern zurzeit mit Spannungen über Aserbaidschan und noch immer
unaufgearbeiteten alten Fragen der Geschichte, wie man mit den Armeniern hier umgegangen
ist. Also, alle drei einheimischen Kirchen sind sehr klein geworden, während die anderen
- Katholiken, evangelische Christen etc. - im Grunde genommen noch immer Ausländerkirchen
sind. Es gibt zwar auch bei ihnen eine kleinere Zahl von türkischen Staatsbürgern,
aber die sind wieder in einer anderen Rechtssituation.“
Immer mehr Rechte
also für immer weniger Christen? Das hört sich bei Ruggero Franceschini anders an:
Der Vorsitzende der türkischen Bischofskonferenz und Bischof von Smirna sagt uns:
„Ich
würde nicht von einer winzigen christlichen Präsenz sprechen – man muss schließlich
auch berücksichtigen, dass es in der Türkei viele Menschen gibt, die Krypto-Christen
oder heimliche Christen sind. Sie bleiben in der Deckung, weil sie ihre Familie nicht
kompromittieren wollen, ihre Arbeit, ihre soziale Position; wenn sie sich zum Christentum
bekennen würden, wäre das ein enormes Risiko. Die christliche Gemeinschaft ist also
etwas größer, als sie wirkt.“
Doch der aus Italien stammende Bischof, der
seit etwa dreißig Jahren in der Türkei lebt, ist sich mit Pater Kangler darin einig,
dass es immer weniger Schikanen gegen Christen gibt.
„Vor allem in meiner
Region rund um Smirna gibt es eine positive Laizität, die die Werte der anderen anerkennt
und versucht, mit ihnen zum Erreichen gemeinsamer Ziele zusammenzuarbeiten. Unsere
Caritas zum Beispiel arbeitet mit Muslimen zusammen für autistische Kinder und ältere
Menschen – da sind wir uns sehr einig. Was den Respekt der Religion des anderen betrifft,
sind wir meilenweit von den Zuständen in der Türkei vor dreißig Jahren entfernt. Heute
gibt es sicher größeren Respekt – aber gleichzeitig auch, ganz im Gegenteil, größeren
Krieg.“