2010-10-14 08:18:48

Rabbiner spricht vor Nahost-Synode im Vatikan


RealAudioMP3 Schütterer Beifall, ausdruckslose Gesichter: Die Spannung war mit Händen zu greifen, als am Mittwoch Abend ein Rabbiner vor den Bischöfen der Nahost-Sondersynode im Vatikan das Wort ergriff. Es war Papst Benedikt, der den israelischen Rabbiner David Rosen eingeladen hatte und der ihn in der vatikanischen Synodenaula persönlich begrüßte. Für manchen Kirchenmann aus dem Nahen Osten war es sichtlich gewöhnungsbedürftig, einem Israeli zuzuhören. Stefan Kempis war für uns dabei.
Nein, es war nicht der erste Auftritt eines Rabbiners auf einer Bischofssynode im Vatikan: Schon zur Bibelsynode hatte der Papst vor zwei Jahren den Oberrabbiner von Tel Aviv als Referenten gewonnen. Diesmal aber bat Benedikt einen israelisch-britischen Rabbiner vor ein mehrheitlich arabisch-christliches Auditorium. Rosen, ein alter Hase im christlich-jüdischen Dialog, sprach engagiert, fast beschwörend, und die Teilnehmer der Nahostsynode hörten ihm höflich zu. Der Gast, der u.a. die interreligiöse Abteilung des US-„Jewish Committee“ leitet und die israelischen Oberrabbiner berät, lobte die rasanten Fortschritte, die die Kirche seit dem Konzil in ihrer Haltung zum Judentum gemacht habe. Aber:
„Ich gebe zu, dass ich überrascht war, als ich feststellte, dass der katholische Klerus und manchmal sogar die Hierarchie in bestimmten Ländern nicht nur nichts vom heutigen Judentum wissen, sondern auch nicht vom Konzilsdokument Nostra Aetate, von den Dokumenten des Vatikans und von der Haltung des Lehramtes zu den Juden und dem Judentum. Gleichzeitig gibt es allerdings auch viel Ignoranz bei Juden, was das Christentum betrifft, besonders dort, wo es kaum oder gar keine Kontakte zu Christen gibt.“
Bis vor kurzem hätten auch in Israel die meisten Juden nichts vom Christentum gewusst, so der Rabbiner; doch in den letzten zehn Jahren habe sich das deutlich geändert – und zwar wegen der Reise von Papst Johannes Paul II. nach Israel im Jahr 2000 und „wegen des Zustroms neuer Christen nach Israel, die die demographische Stärke des Christentums in Israel verdoppelt haben“.
„Die Christen in Israel sind natürlich in einer sehr anderen Lage als ihre Glaubensbrüder, die zu einer palästinensischen Gesellschaft gehören, welche für ihre Unabhängigkeit kämpft. Diese Christen sind unvermeidlicherweise Teil des israelisch- palästinensischen Konflikts und finden sich manchmal zwischen den Fronten wieder; oft sind sie von israelischen Maßnahmen gegen Gewalt besonders betroffen. Es ist absolut richtig und angemessen, dass diese palästinensischen Christen ihre Frustration zum Ausdruck bringen, aber man muss mit Bedauern feststellen, dass dieser Ausdruck nicht immer im Einklang ist mit Buchstaben und Geist des Lehramts, was die Beziehungen zu den Juden und dem Judentum betrifft.“
Vielen Christen im Nahen Osten sei es offenbar „peinlich, dass die Kirche ihre jüdischen Wurzeln wiederentdeckt“, so David Rosen. Dennoch: „Das Leiden der Palästinenser und auch der Christen unter ihnen sollte alle Juden, ob in Israel oder in der Diaspora, tief verstören“ – selbst wenn dieses Leid von einigen „ausgenutzt“ werde, „um verschiedene Spannungen noch zu verschärfen“, und auch wenn Israel kontinuierlich „mit der Auslöschung bedroht“ werde. 
„Als Minderheit haben die Christen sowohl in jüdischem als auch in islamischem Umfeld eine spezielle Rolle für unsere Gesellschaften an sich. Die Lage der Minderheiten ist immer der tiefe Widerschein des sozio-moralischen Zustandes einer Gesellschaft; das Wohlergehen der christlichen Gemeinschaften im Nahen Osten ist nichts anderes als eine Art Barometer des moralischen Zustandes unserer Länder. Der Grad, in dem Christen zivile und religiöse Rechte und Freiheiten genießen, zeugt von der Gesundheit oder Krankheit unserer Gesellschaften im Nahen Osten.“
Sind die Christen in Nahost also „die neuen bedrohten Juden“, wie Regis Debray kürzlich einmal formulierte? Soweit ging der Rabbiner im Vatikan nicht. Stattdessen lobte er erste Ansätze zu einem christlich-jüdisch-islamischen Trialog im letzten Jahr, wies – sicher zum Unmut einiger Zuhörer – die Vorstellung zurück, dass die israelische Besatzung der Westbank der Grund für den Nahost-Konflikt sei („ein völliger Irrtum“), und sah Juden und Christen gewissermaßen in ihrer Haltung zum Islam Seite an Seite:
„Die kritische Frage für die Zukunft unserer beiden Gemeinschaften ist die, ob unsere muslimischen Brüder wirklich die Anwesenheit von Christen und Juden als völligen, integralen und legitimen Bestandteil der Region akzeptieren können. Wirklich, diese Frage anzugehen, ist eine Lebensnotwendigkeit, von der unsere Zukunft abhängt!“
Papst Benedikt hörte dem Rabbiner aufmerksam zu, äußerte sich anschließend aber nicht. Die interne Debatte der Synodenväter dauerte wegen des Auftritts von Rabbiner Rosen nur eine halbe, nicht wie gewohnt eine ganze Stunde; sie kam am Mittwoch Abend auch nicht richtig in Gang. Einige Teilnehmer kritisierten, was im Grundlagendokument der Synode zum kontemplativen Leben, zur Laizität oder zur kirchlichen Soziallehre steht; ein ostkirchlicher Bischof rief die Kirche des Westens dazu auf, „die Traditionen der Ostkirchen stärker zu respektieren und zu kennen“: „Die Kirche des Westens ist doch offen für alle, sogar für Atheisten – warum nicht auch für die Ostkirchen? Warum können keine verheirateten Priester in der Westkirche arbeiten? Das würde ihre Zahl erhöhen und die Westkirche den anderen christlichen Kirchen annähern.“
(rv 13.10.2010 sk)







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