Mit Augen der Unschuld können einen Kinder anblicken, aber auch Tiere. Wer will Hase
oder Reh schon unter lebenslanger Haft Vergeltung absitzen sehen. Tiere passen einfach
nicht zum Thema Schuld und Strafe. Ein Grund: Wissenschaftlich hängen immer noch zu
viele Fragen in der Luft, zum Beispiel was die Willensfreiheit der Tiere betrifft.
In der Auslegung der Schöpfungshierarchie liegen die Tiere jedenfalls meistens weit
hinter den Menschen. Anders ist das in der Lehre des heiligen Franz von Assisi, an
dessen Gedenktag, dem 4. Oktober, jedes Jahr der Welttierschutztag begangen wird.
Für den heiligen Franziskus waren Tiere und Menschen verbrüdert. Wie steht es da um
die Sünde? Können auch Tiere Sünder sein – ein katholischer Theologe und ein evangelischer
Pfarrer haben den anderen Lebewesen mal aufs „Gewissen“ geschaut. „Wenn jetzt
ein Schakal sich ein Beutetier holt, dann handelt der Schakal entsprechend seinen
instinktiven Vorgaben. Also, er könnte nicht sagen, ich werde zum Vegetarier. Als
ein solcher würde er wahrscheinlich sterben. Also - natürlich ist das keine Schuld.“
Ulrich
Lüke ist ein katholischer Priester, Theologe und Biologe von der Technischen Hochschule
in Aachen. Das Tier zum Sünder zu erklären, hält er für gewagt. Denn zum Sündigen
brauche das Tier erstmal eine Einsichtsfähigkeit, also: ein Bewusstsein dafür, was
falsch und was richtig sei. Und das sei schon unter den Tierarten sehr unterschiedlich
vorhanden.
„ Wir können nicht einfach nur Mensch gegen Tier setzen. Es
ist etwas anderes, ob ich frage, ob ein Hund schuldig werden kann. Das ist ja anders
zu beurteilen, als wenn ich eine Stabschrecke vor mir habe. Und ich glaube, da ist
der Unterschied zwischen den Tieren, also meinetwegen zwischen dem Schimpansen und
einem Regenwurm weit größer als der zwischen einem Schimpansen und einem Menschen.“
Die
Rede vom moralisch korrekten Handeln gelte zwar speziell für den Menschen. Aber das
Tier handle Moral-analog, so Lüke. Denn bei den intelligenten Arten sei einiges nachzuweisen,
was sonst typisch Mensch ist: Trauern können Hunde um ihr Herrchen, sie können sich
schämen, freuen, und was entscheidend ist, viele Tiere können mitfühlen. „Wenn
zum Beispiel ein Schimpanse ein Schimpansenjunges ins Wasser fallen sieht, das noch
nicht schwimmen kann, springt der hinterher und holt das raus – normalerweise. Das
heisst, der ist offensichtlich empathiefähig und handelt, wie ein menschlicher Lebensretter
auch handeln würde. Ein menschlicher Retter springt also selber instinktiv. Und wenn
er dann hinterher aus dem Wasser kommt und das Kind gerettet hat, und ihm auf die
Schulter geklopft wird und man ihm sagte, er habe doch großartig moralisch gehandelt,
dann wird es ihn wahrscheinlich irritieren, wenn er hört, dass jeder Schimpanse in
analoger Lage genauso gehandelt hätte.“
Auch Menschen handeln instinktiv.
Denn bis der Mensch über die Wasser-Rettung nachgedacht habe, sei das Kind längst
ertrunken, sagt Lüke. Beide, Mensch und Tier, können sich also irgendwie heldenhaft
verhalten. Damit müssten doch auch beide gegenüber dem richtigen und guten Handeln
versagen können. Scheinbar. Denn bevor man ein Verhalten gut oder schlecht nennt,
erwartet man doch meist, dass es aus freier Entscheidung heraus passiert. Überlegt
sollte es sein. Ganz so, wie beim Menschen. Aber tut der es wirklich alles so, sinnvoll
und gut überdacht. Oder ist das nicht alles viel zu hoch gegriffen, das fragt sich
auch der evangelische Pfarrer und Vorsitzende der „Aktion Kirche und Tier“, Ulrich
Seidel. Für ihn ist der Mensch nicht der einzige, der denkt.
„Konrad Lorenz
sprach auch davon, dass ein Hund durchaus ein schlechtes Gewissen hat und weiss, was
er tut, wenn er gegen die Regeln des Rudels verstösst. Wenn man das Sünde nennen möchte...
Das ist nichts, verglichen mit dem, was der Mensch tut: Völkermord, Massenmord, Zerstörung
der Lebensgrundlagen. Das ist allein das Privileg des Homo sapiens, der sich nun Ebenbild
Gottes betitelt.“
Wer ein Sünder ist, darüber entscheidet Gott. Darin sind
sich der Priester Ulrich Lüke und Pfarrer Ulrich Seidel einig. Ob Tiere eine Vorstellung
von Gott haben, geschweige denn von der Strafe durch das jüngste Gericht, bezweifeln
beide. Aber die Tiere seien umgekehrt – so wie sie sind – Teil des Gottesplans. In
der biblischen Erzählung vom Paradies waren die Tiere ja schließlich da und sie sind
– anders als der Mensch – da geblieben, meint Ulrich Seidel. „In der Vision
vom künftigen Gottesreich, wenn Wolf und Lamm beieinander liegen, sind die Tiere auch
da. Oder landen sie vielleicht auf dem Abfallhaufen der Heilsgeschichte? Das wäre
doch schwer vorstellbar. Der Theologe Karl Barth hat mal so gesprochen: Der Mensch
ist ein Gegenüber Gottes und das Tier ist irgendwo IN Gott. Ich glaube, dass Tiere
von ihrem Schöpfer auch nicht getrennt werden können.“