Papst Benedikt XVI.
hat die Christen in Sizilien zum Kampf gegen die Mafia aufgerufen. Bei einem Treffen
mit Priestern im Zentrum von Palermo und bei einem Jugendtreffen meinte der Papst,
die Christen sollten sich vom organisierten Verbrechen nicht einschüchtern lassen.
Am Ort eines Mafia-Attentats auf einen Richter legte er Blumen nieder.
Sonntag
Nachmittag, immer noch in Palermo: Benedikt XVI. hat im Zentrum der Stadt mit den
Bischöfen von ganz Sizilien zu Mittag gegessen und sich dann ein bisschen ausgeruht.
Jetzt geht er zu Fuss zur Kathedrale, in der u.a. Kaiser Friedrich II. begraben liegt.
In dem Bau im gotisch-katalanischen Stil trifft sich der Papst mit Priestern, Ordensleuten
und Priesteramtskandidaten. Eigentlich ist das ein Moment der Besinnung, mit eucharistischer
Anbetung – aber auch hier drängt sich das Thema Mafia ins Papstprogramm. Die Kathedrale
liegt im Viertel der bröckelnden Paläste, in dem die Kleinkriminalität regiert, in
dem immer wieder mal Schüsse fallen und Mafiabosse, die jahrzehntelang gesucht wurden,
festgenommen werden. Es ist Erzbischof Romeo, der an das Mafia-Opfer Pater Pino Puglisi
erinnert, unter dem Beifall der Anwesenden:
„Gerade hier in dieser Kathedrale
will ich Don Pinos leuchtendes Beispiel nennen: Dieser Priester bildete als Priester
die Züge Christi ab, des Guten Hirten. Am Tag seiner barbarischen Hinrichtung durch
die Mafia legte er Zeugnis für Christus ab und gab das Leben für seine Schafe: ein
gleichsam eucharistisches Opfer!“
Auf diesen Ton lässt sich Papst Benedikt
ein: „Reißt die Türen eurer Kirchen auf“, rät er den Priestern mit einem Zitat seines
Vorgängers Johannes Paul, „lasst eure Kirchen wirklich Häuser Gottes sein.“
„Der
Priester darf sich nicht von den täglichen Sorgen des Volkes Gottes entfernen – im
Gegenteil, er muss da ganz nah dran sein. Aber als Priester, also immer in der Perspektive
des Heiles und des Reiches Gottes“.
Mitte September habe Palermos Kirche
an die Ermordung von Don Pino vor 17 Jahren erinnert; der Papst würdigte ihn vor allem
als Seelsorger:
„Sein Herz brannte vor authentischer pastoraler Liebe; eifrig
kümmerte er sich um die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, und er setzte sich
dafür ein, dass jede christliche Familie sich um die Erziehung ihrer Kinder im Glauben
kümmerte. Das Seligsprechungsverfahren für diesen guten Hirten ist im Gang; bewahrt
sein heroisches Beispiel im Gedächtnis!“
Sonntag Abend: Piazza Politeama.
Der Papst trifft Jugendliche und Familien aus ganz Sizilien – es ist der Höhepunkt
eines inselweiten Jugend- und Familientreffens. Die Stimmung ist, wie schon am Morgen
bei der Messe, ausgelassen: „Benedetto“, rufen die jungen Leute; einige dürfen hoch
aufs Podium und ein Grußwort sprechen.
„Wir erleben in Sizilien einen außerordentlichen
historischen Moment“, sagt einer der Jugendlichen: „Noch nie ist die Kriminalität
so stark wie heute verfolgt und in die Defensive gedrängt worden. Darum ist das der
richtige Moment, um unseren Einsatz für die christlichen und sozialen Werte neu hochzufahren!“
Tatsächlich kommt es ausgerechnet unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi, dem Gegner
eine gewisse Nähe zur Mafia vorwerfen, in diesen Monaten zu zahlreichen Verhaftungen
von lange gesuchten Mafia-Paten. Oft werden übrigens in den Verstecken der Bosse auch
Bibeln gefunden –zerlesene Exemplare mit vielen Anstreichungen. So dass sich die Ermittler
schon fragen, ob das organisierte Verbrechen nicht Bibelstellen als Codeworte benutzt.
Es wäre nicht das einzige absurde Element in dieser unheiligen Melange von Tradition
und Verbrechen.
„Liebe Jugendlichen und liebe Familien von Sizilien, ich grüße
euch voller Liebe und Freude – danke für eure Freude und euren Glauben!“ Der Papst
ist spürbar aufgekratzt am Abend dieses anstrengenden, aber schönen Sizilien-Abstechers.
Er stellt seinen Zuhörern das Beispiel der Heiligen vor Augen.
„Habt keine
Angst, gegen das Böse anzugehen! Seid wie ein Wald, der langsam und kaum spürbar wächst,
aber imstande ist, Frucht zu geben, Leben zu tragen und eure Erde auf tiefgehende
Weise zu erneuern! Gebt den Einflüsterungen der Mafia nicht nach – sie ist ein Weg
des Todes und mit dem Evangelium nicht zu vereinbaren, wie unsere Bischöfe es so oft
gesagt haben und sagen!“
Eindeutige Worte, für die es fast eine Minute
lang Applaus gibt. Benedikt XVI. spricht auch noch von der hohen Jugendarbeitslosigkeit
auf der Insel, von den vielen Widrigkeiten des Alltags dort, aber in Sätzen mit vielen
Ausrufezeichen drängt er die Jugendlichen und Familien, sich in allem an die Kirche
zu halten – und an die Freude am Glauben, die eine starke Kraftquelle sei.
„Niemand
kann uns diese Freude nehmen! Niemand kann uns diese Kraft nehmen! Nur Mut, liebe
Jugendliche und Familien von Sizilien! Werdet Heilige! Seid Salz und Licht eurer Erde!”
Während
die Jugendlichen in Palermo weiterfeiern, ist der Papst schon auf dem Rückweg zum
Flughafen – einem Flughafen übrigens, der nach zwei Opfern der Mafia benannt ist,
den Richtern Falcone und Borsellino. Benedikt XVI. bittet um einen kurzen Halt auf
der Höhe der Ortschaft Capaci – dort, wo Falcone und seine Eskorte umgebracht wurden.
Der Papst steigt aus dem Auto und legt Blumen an einer Stele nieder, die an die Toten
erinnert. Dann fährt er weiter. Vor ein paar Jahren war ihm noch, nach einem Besuch
im Marienwallfahrtsort Pompeji bei Neapel, vorgeworfen worden, er habe dort nicht
zu starken Worten gegen das Verbrechen gefunden. Diesen Vorwurf kann man Benedikt
nach diesem Sonntag in Palermo nicht mehr machen. In seiner Klarheit erinnern die
Appelle Benedikts daran, wie sein Vorgänger Johannes Paul 1993 im sizilianischen Agrigent
die Fäuste schüttelte:
„Gott hat gesagt: Du sollst nicht töten! Die Mafia
hat kein Recht, dieses heilige Recht Gottes mit Füßen zu treten! Ich sage den Verantwortlichen:
Kehrt um! Eines Tages kommt das Gericht Gottes!“
Ziemlich genau vier Monate
nach dieser Rede Johannes Pauls knallte die Mafia Don Pino Puglisi ab.