Das Thema Einigkeit
gibt in diesen Tagen nicht nur in Deutschland Grund zu Staatsfeierlichkeiten. Auch
die ehemals britische Kolonie Nigeria begeht am 1. Oktober eine Jubiläumsfeier: für
50 Jahre Unabhängigkeit. Papst Benedikt XVI. hatte die nigerianische Bevölkerung vor
diesem Hintergrund zum Einsatz für Demokratie und Frieden aufgerufen. In seinem Schreiben
an den nigerianischen Präsidenten Goodluck Jonathan heißt es, das Ziel müsse eine
gerechte Gesetzgebung und eine umfassende Entwicklung des Landes sein. Der Papst weist
damit auf die prekäre Lage hin, die besonders die arme Bevölkerung im parlamentarisch
unabhängigen Nigeria betrifft. Ernst Sagemüller ist Berater der nigerianischen Bischofskonferenz.
50 Jahre Unabhängigkeit - das ist für ihn eine Paradoxie.
„Nigeria ist theoretisch
unabhängig, aber de facto natürlich noch nicht, weil Fremdgelder hier vieles bestimmen.
Ein Beispiel: Das gesamte Elektrizitätsnetz funktioniert nicht. Täglich haben wir
bis zu sieben Stunden Stromsperren, dann muss der Generator angeworfen werden. Dieser
aber gehört einer starken Lobby, die von England und über China gesteuert wird.“ Wirtschaftsmächte aus aller Welt haben in Nigeria großen Einfluss. Das liegt
vor allem daran, dass die Regierung korrupt ist. Was wo und warum in Nigeria politisch
vorgeht, weiß keiner so genau, meint Sagemüller. Im Februar 2011 stehen in dem westafrikanischen
Land wieder Wahlen an. Neben dem amtierenden Präsidenten bewerben sich auch zwei ehemalige
Diktatoren. Zu regeln gäbe es viel. Den alten Konflikt zwischen dem Norden und Süden
des Landes, zwischen der jeweils christlichen und islamischen Mehrheit etwa. Bis heute
sind die Kämpfe nicht ausgetragen und auch nicht immer richtig verstanden worden,
sagt Ernst Sagemüller.
"Viele von den Medien als religiös gekennzeichnete
Konflikte sind in Wirklichkeit keine religiösen Konflikte, sondern Rassen- oder Landkonflikte.
Die Engländer haben keine Urkunden darüber ausgestellt, wem welche Parzelle Land gehört.
Die Viehherdentreiber lassen ihre Herden einfach quer über die Äcker stampfen. Die
Äcker gehören nämlich meistens den Christen, welcher Schattierung auch immer, und
die Herdenmänner sind meistens Muslime."
Und so entsteht ein Kreislauf
der Vergeltung. Die Zahl der religiösen Gruppen in Nigeria ist so hoch, dass man sie
einzeln gar nicht mehr definieren kann. Neben den christlichen Kirchen und dem Islam
gibt es unzählige Neugründungen wie die afrikanischen Pfingstkirchen, die regelmäßig
zum Kreuzzug aufrufen. Besonders Sekten machen die religiöse Unruhe bis heute komplett.
"Die bestorganisierte Struktur im kirchlichen Bereich ist in der Tat die
katholische Kirche, weil sie einfach ein übergreifendes Werk hat, und die tun da gute
und versöhnliche Dinge. Die Priester können ohne Bodyguards in jeden Teil des Landes
fahren, weil die sagen "Father, thank you for making peace last year here". Allen
anderen traut man nicht."
50 Jahre Unabhängigkeit in Nigeria - das ist
ein Prozess, der in Zukunft noch zu Ende gebracht werden muss. Bis heute fehlt den
Nigerianern noch das Bewusstsein, dass Freiheit auch einheitlich gelebt werden muss.
"Das
erste was sie brauchen ist politische Stabilität, die demokratische Strukturen entwickelt
und garantiert. Das zweite ist eine Reduzierung der mafiösen und korrupten Strukturen.
Drittens die gerechtere Verteilung der unendlichen Ressourcen . Das Vierte wäre vielleicht
eine spirituelle Filterung." (rv 02.10.2010 jv)