Hier im Volltext die Predigt Papst Benedikts bei der Messe zur Seligsprechung Kardinal
John Henry Newmans: Liebe Brüder und Schwestern in Christus! Dieser Tag, der
uns hier in Birmingham zusammengeführt hat, ist ein äußerst verheißungsvoller Tag.
An erster Stelle ist es der Tag des Herrn, der Sonntag, der Tag, an dem unser Herr
Jesus Christus vom Tod erstand und den Lauf der menschlichen Geschichte für immer
veränderte, indem er allen, die in Finsternis und im Schatten des Todes leben, neues
Leben und neue Hoffnung schenkte. Das ist der Grund, warum sich Christen in aller
Welt an diesem Tag versammeln, um Gott zu loben und zu danken für die großen Wunder,
die er für uns vollbracht hat. Dieser besondere Sonntag markiert auch einen bedeutsamen
Moment im Leben der Britischen Nation, weil er als der Tag gewählt wurde, der dem
Gedenken der Luftschlacht um Großbritannien vor genau siebzig Jahren gewidmet ist.
Für mich als jemanden, der in den dunklen Tagen des Nazi-Regimes in Deutschland gelebt
und gelitten hat, ist es sehr bewegend, bei diesem Anlaß hier mit euch zusammenzusein
und daran zu erinnern, wie viele eurer Mitbürger ihr Leben hingegeben haben, indem
sie sich mutig den Kräften jener üblen Ideologie widersetzten. Meine Gedanken gehen
besonders zum nahe gelegenen Coventry, das im November 1940 ein so schweres Bombardement
erlitt und einen enormen Verlust an Menschenleben zu beklagen hatte. Siebzig Jahre
danach erinnern wir uns beschämt und entsetzt an den furchtbaren Preis von Tod und
Zerstörung, den der Krieg fordert, und wir erneuern unseren Entschluß, für Frieden
und Versöhnung zu arbeiten, wo immer die Gefahr eines Krieges sich bedrohlich abzeichnet.
Aber es gibt noch einen anderen, erfreulicheren Grund, warum dies ein verheißungsvoller
Tag für Großbritannien, für Mittelengland, für Birmingham ist. Es ist der Tag, an
dem Kardinal John Henry Newman offiziell zur Ehre der Altäre erhoben und selig gesprochen
wird. Ich danke Erzbischof Bernard Longley für seinen liebenswürdigen Willkommensgruß
zu Beginn der Messe an diesem Morgen. Ich spreche allen, die jahrelang hart an der
Förderung der Causa von Kardinal Newman gearbeitet haben, meine Anerkennung
aus, einschließlich der Väter des Oratoriums von Birmingham und der Mitglieder der
geistlichen Familie Das Werk. Und ich begrüße alle hier aus Großbritannien,
aus Irland und alle, die von weiter her gekommen sind; ich danke euch für eure Anwesenheit
bei dieser Feier, in der wir Gott verherrlichen und preisen für die heroischen Tugenden
eines heiligen Engländers. England hat eine lange Tradition heiliger Märtyrer,
deren mutiges Zeugnis der katholischen Gemeinschaft hier über Jahrhunderte hin Halt
und Ansporn gewesen ist. Doch es ist recht und angemessen, daß wir heute die Heiligkeit
eines Bekenners anerkennen, eines Sohnes dieser Nation, der zwar nicht berufen war,
sein Blut für den Herrn zu vergießen, der aber trotzdem im Laufe eines langen, dem
priesterlichen Dienst und besonders der Verkündigung, der Lehre und dem Schreiben
gewidmeten Lebens ein beredtes Zeugnis für ihn abgelegt hat. Er ist würdig, in einer
langen Reihe von Heiligen und Gelehrten dieser Inseln seinen Platz einzunehmen – neben
dem heiligen Beda, der heiligen Hilda, dem heiligen Aelred, dem seligen Duns Scotus,
um nur einige wenige zu nennen. Im seligen John Henry hat diese Tradition einer edlen
Gelehrsamkeit, einer tiefgründigen menschlichen Weisheit und einer tiefempfundenen
Liebe zum Herrn reiche Frucht getragen als ein Zeichen der beständigen Gegenwart des
Heiligen Geistes zuinnerst im Herzen des Volkes Gottes, eine Gegenwart, die ein Übermaß
an Gaben der Heiligkeit hervorbringt. Das Motto von Kardinal Newman „cor ad
cor loquitur – das Herz spricht zum Herzen“ gibt uns einen Einblick in sein Verständnis
des christlichen Lebens als Berufung zur Heiligkeit, die als der sehnliche Wunsch
des menschlichen Herzens erfahren wird, in innige Gemeinschaft mit dem Herzen Gottes
zu gelangen. Der Kardinal erinnert uns daran, daß die Treue zum Gebet uns allmählich
verwandelt und Gott ähnlich werden läßt. In einer seiner vielen schönen Predigten
schrieb er: „So hat die Gewohnheit des Betens, die Übung, sich Gott und der unsichtbaren
Welt zu jeder Zeit, an jedem Ort und bei jedem Anlaß zuzuwenden, … sozusagen eine
natürliche Wirkung, indem es die Seele vergeistigt und emporhebt. Der Mensch ist dann
nicht mehr, was er zuvor war; allmählich … hat er eine neue Ideenwelt eingesogen und
ist von neuen Grundsätzen durchdrungen“ (Parochial and Plain Sermons, IV, 230-231).
Das heutige Evangelium sagt uns, daß niemand zwei Herren dienen kann (vgl. Lk
16,13), und die Lehre des seligen John Henry über das Gebet erklärt, wie der treue
Christ endgültig in den Dienst des einen wahren Meisters genommen wird, der allein
Anspruch auf unsere bedingungslose Hingabe hat (vgl. Mt 23,10). Newman hilft
uns zu verstehen, was das für unser tägliches Leben bedeutet: Er sagt uns, daß unser
göttlicher Lehrer jedem von uns eine spezielle Aufgabe zugewiesen hat, einen „bestimmten
Dienst“, der jedem einzelnen Menschen ganz persönlich anvertraut ist: „Ich habe meine
Sendung“, schrieb er, „ich bin ein Glied in einer Kette, ein verbindendes Element
zwischen Personen. Gott hat mich nicht umsonst erschaffen. Ich soll Gutes tun und
sein Werk vollbringen. Ich soll auf meinem Posten ein Engel des Friedens, ein Prediger
der Wahrheit sein … wenn ich nur seine Gebote halte und ihm in meiner Berufung diene“
(Meditations and Devotions, 301-302). Der bestimmte Dienst, zu dem der selige
John Henry berufen war, beanspruchte seinen scharfen Verstand und seine produktive
Feder und lenkte sie auf viele der dringenden „Tagesthemen“. Seine Einsichten in die
Beziehung von Glaube und Vernunft, in den wichtigen Stellenwert der Offenbarungsreligion
in der Zivilgesellschaft und in die Notwendigkeit einer breit fundierten und weit
gefächerten Ausrichtung der Erziehung waren nicht nur bedeutend für das viktorianische
England, sondern inspirieren und erleuchten heute noch viele Menschen in aller Welt.
Ich möchte besonders seine Sicht der Erziehung würdigen, die so sehr dazu beigetragen
hat, den Ethos zu prägen, der heute als treibende Kraft hinter den katholischen Schulen
und Colleges steht. Als ein entschiedener Gegner jedes reduktiven und utilitaristischen
Ansatzes suchte er ein pädagogisches Umfeld zu schaffen, in dem intellektuelle Übung,
moralische Disziplin und religiöses Engagement miteinander verbunden sein sollten.
Der Plan, in Irland eine katholische Universität zu gründen, gab ihm die Gelegenheit,
seine Ideen zu dem Thema zu entwickeln, und die Sammlung der Reden, die er unter dem
Titel The Idea of a University veröffentlichte, stellt ein Ideal auf, von dem
alle in der akademischen Bildung Beschäftigten weiterhin lernen können. Und in der
Tat: Welches Ziel könnten Religionslehrer sich setzen, das besser wäre als der berühmte
Appell des seligen John Henry für einen intelligenten, gut unterrichteten Laien: „Ich
wünsche mir Laien, nicht arrogant, nicht vorlaut, nicht streitsüchtig, sondern Menschen,
die ihre Religion kennen, die sich auf sie einlassen, die ihren eigenen Standpunkt
kennen, die wissen, woran sie festhalten und was sie unterlassen, die ihr Glaubensbekenntnis
so gut kennen, daß sie darüber Rechenschaft ablegen können, die über so viel geschichtliches
Wissen verfügen, daß sie ihre Religion zu verteidigen wissen“ (The Present Position
of Catholics in England, IX, 390). An diesem Tag, da der Autor jener Worte zur
Ehre der Altäre erhoben worden ist, bete ich darum, daß auf seine Fürsprache hin und
durch sein Vorbild alle, die in Unterricht und Katechese beschäftigt sind, von der
Sicht, die er uns so klar vor Augen hält, zu größerem Einsatz angespornt werden. Während
es verständlicherweise das intellektuelle Vermächtnis von John Henry Newman ist, das
in der umfangreichen, seinem Leben und seinem Werk gewidmeten Literatur die meiste
Aufmerksamkeit erhalten hat, ziehe ich es bei dieser Gelegenheit vor, mit ein paar
kurzen Gedanken über sein Leben als Priester und Seelsorger zu schließen. Die Wärme
und Menschlichkeit, die seinem Verständnis des pastoralen Dienstes zugrunde liegt,
ist wundervoll ausgedrückt in einer anderen seiner berühmten Predigten: „Wären Engel
eure Priester gewesen, meine Brüder, dann hätten sie nicht trauern können mit euch,
keine Sympathie für euch und kein Mitleid mit euch empfinden, nicht herzlich mitfühlen
und Nachsicht haben mit euch, wie wir es können. Sie hätten nicht eure Vorbilder und
Führer sein können, noch euch aus dem alten Sein ins neue Leben geleiten können, wie
die es vermögen, die aus eurer Mitte kommen“ („Men, not Angels: the Priests of the
Gospel“, Discourses to Mixed Congregations, 3). Er lebte diese zutiefst menschliche
Sicht des priesterlichen Dienstes in seiner treuen Fürsorge für die Menschen von Birmingham
während der Jahre, die er in dem von ihm gegründeten Oratorium verbrachte, indem er
die Kranken und die Armen besuchte, die Hinterbliebenen tröstete und sich um die Gefangenen
kümmerte. Kein Wunder, daß nach seinem Tode so viele Tausend Menschen die örtlichen
Straßen säumten, als sein Leichnam zu seiner Begräbnisstätte gebracht wurde, die weniger
als eine halbe Meile von hier entfernt ist. Einhundertundzwanzig Jahre danach haben
sich wieder große Menschenmengen versammelt, um in Freude die feierliche kirchliche
Anerkennung der außergewöhnlichen Heiligkeit dieses vielgeliebten Seelenvaters zu
begehen. Wie könnten wir die Freude dieses Augenblicks besser ausdrücken als indem
wir uns in herzlichem Dank an unseren himmlischen Vater wenden und mit den Worten
beten, die der selige John Henry den Chören der Engel im Himmel in den Mund legte: Preis
sei dem Heil’gen in der Höh’ Und Tiefe ewiglich, In Wort und Handeln wunderbar, Und
unerschütterlich! (The Dream of Gerontius)