Der Papst in der Westminster Hall: Kernsätze aus seiner Rede
In der traditionsreichen
„Westminster Hall“ unmittelbar neben dem Londoner Parlament hat sich Papst Benedikt
am Freitag Abend mit dem Diplomatischen Corps, Politikern, Wissenschaftlern und Wirtschaftsführern
getroffen. Hier finden Sie die Kernsätze aus seiner Grundsatzrede.
„An diesem
historischen Ort denke ich an den heiligen Thomas Morus, den großen englischen Gelehrten
und Staatsmann, der von Gläubigen wie von Nichtglaubenden wegen seiner Rechtschaffenheit
bewundert wird, mit der er seinem Gewissen folgte. Das Dilemma, vor dem Thomas Morus
in diesen schwierigen Zeiten stand, war die stets aktuelle Frage nach dem Verhältnis
zwischen dem, was dem Kaiser gebührt, und dem, was Gott gebührt.
Wenn die den
demokratischen Abläufen zugrundeliegenden moralischen Prinzipien auf nichts Soliderem
als dem gesellschaftlichen Konsens beruhen, dann wird die Schwäche dieser Abläufe
allzu offensichtlich; darin liegt die wahre Herausforderung der Demokratie. Es geht
um folgende zentrale Frage: Wo finden wir die ethische Grundlage für politische Entscheidungen?
Die katholische Lehrtradition sagt, daß die objektiven Normen für rechtes Handeln
der Vernunft zugänglich sind, ohne daß dazu ein Rückgriff auf die Inhalte der Offenbarung
nötig wäre. Dementsprechend besteht die Rolle der Religion in der politischen Debatte
nicht so sehr darin, diese Normen zu liefern, als ob sie von Nichtgläubigen nicht
erkannt werden könnten. Noch weniger geht es darum, konkrete politische Lösungen vorzuschlagen,
was gänzlich außerhalb der Kompetenz der Religion liegt. Es geht vielmehr darum, auf
der Suche nach objektiven moralischen Prinzipien zur Reinigung und zur Erhellung der
Vernunftanstrengung beizutragen... Ohne die Korrekturfunktion der Religion kann die
Vernunft den Gefahren einer Verzerrung anheimfallen, wenn sie zum Beispiel von Ideologien
manipuliert wird.
Die Religion ist, anders gesagt, für die Gesetzgeber nicht
ein Problem, das gelöst werden muß, sondern ein äußerst wichtiger Gesprächspartner
im nationalen Diskurs. In diesem Zusammenhang komme ich nicht umhin, meine Besorgnis
zu äußern, daß die Religion und besonders das Christentum in einigen Bereichen zunehmend
an den Rand gedrängt werden, auch in Ländern, die großen Wert auf Toleranz legen.
Das sind besorgniserregende Zeichen einer Mißachtung nicht nur der Rechte gläubiger
Menschen auf Gewissens- und Religionsfreiheit, sondern auch der legitimen Rolle der
Religion im öffentlichen Leben.
Ich möchte auch besonders erwähnen, daß die
gegenwärtige Regierung die Verpflichtung übernommen hat, daß Großbritannien ab 2013
0,7 Prozent seines nationalen Einkommens für Entwicklungshilfe ausgeben wird. Die
Welt wurde Zeuge der enormen Mittel, die Regierungen zur Rettung von Finanzinstitutionen
aufbringen konnten, von denen man geglaubt hat, sie seien „zu groß zum Scheitern“.
Die ganzheitliche Entwicklung der Völker dieser Welt ist gewiß nicht weniger wichtig:
Das ist eine Aufgabe, die die Aufmerksamkeit der Welt verdient und die fürwahr „zu
groß zum Scheitern“ ist.