Dokument: Erste Rede des Papstes in Schottland - Volltext
Eure Majestät! Ich
danke Ihnen für Ihre liebenswürdige Einladung zu einem offiziellen Besuch in das Vereinigte
Königreich sowie für Ihre freundlichen Worte der Begrüßung im Namen der britischen
Bevölkerung. Eure Majestät mögen mir gestatten, mit diesem Dank meine persönlichen
Grüße an alle Menschen im Vereinigten Königreich zu richten und ihnen in Freundschaft
die Hand zu reichen. Es ist mir eine große Freude, meine Reise mit
einem Besuch bei den Mitgliedern der Königlichen Familie zu beginnen. Besonders danke
ich Seiner Königlichen Hoheit dem Herzog von Edinburgh, der mich am Flughafen zuvorkommend
willkommen geheißen hat. Ich bringe auch meinen Dank an die jetzige und die vorhergehende
Regierung Eurer Majestät zum Ausdruck wie auch an all jene, die mit ihnen zusammengearbeitet
haben, um dieses Ereignis möglich zu machen. Dazu gehören Lord Patten und der frühere
Minister Murphy. Ebenso gilt meine dankbare Anerkennung der Arbeit der parlamentarischen
All-Parteien-Gruppe über den Heiligen Stuhl, die wesentlich zur Stärkung der bestehenden
freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Vereinigten Königreich
beigetragen hat. Wenn ich nun meinen Besuch im Vereinigten Königreich
in Schottlands historischer Hauptstadt beginne, grüße ich in besonderer Weise den
First Minister Salmond und die Vertreter des Schottischen Parlaments. Wie die Walisische
und die Nordirische Regionalversammlung möge das Schottische Parlament immer mehr
die edlen Traditionen und die charakteristische Kultur der Schotten zum Ausdruck bringen
und danach streben, ihren Anliegen in einem Geist der Solidarität und der Sorge für
das Gemeinwohl zu dienen. Der Name Holyroodhouse des Amtssitzes Eurer
Majestät in Schottland erinnert an das Heilige Kreuz und weist auf die tiefen christlichen
Wurzeln hin, die immer noch in jeder Schicht britischen Lebens vorhanden sind. Die
Monarchen Englands und Schottlands sind seit frühester Zeit Christen gewesen und schließen
herausragende Heilige wie Eduard den Bekenner und Margareta von Schottland ein. Wie
Sie wissen, haben viele von ihnen ihre Pflichten als Souverän bewußt im Geiste des
Evangeliums ausgeübt und auf diese Weise das Land durch und durch zu seinem Wohl geprägt.
Als Ergebnis ist die christliche Botschaft über einen Zeitraum von mehr als tausend
Jahren ein wesentlicher Bestandteil von Sprache, Gedanken und Kultur der Britischen
Inseln geworden. Die Achtung Ihrer Vorfahren für Wahrheit und Gerechtigkeit, für Barmherzigkeit
und Nächstenliebe erben Sie von einem Glauben, der eine starke Kraft zum Guten in
Ihrem Königreich zum Nutzen für Christen ebenso wie für Nichtchristen bleiben wird.
Wir finden viele Beispiele dieser Kraft zum Guten in der langen Geschichte Großbritanniens.
Selbst in vergleichsweise neuerer Zeit hat Großbritannien dank solcher Persönlichkeiten
wie William Wilberforce und David Livingstone direkt eingegriffen, um den internationalen
Sklavenhandel zu beenden. Vom Glauben inspiriert haben Frauen wie Florence Nightingale
den Armen und Kranken geholfen und so neue Standards für die Gesundheitsfürsorge gesetzt,
die in der Folge überall nachgeahmt wurden. John Henry Newman, dessen Seligsprechung
wir in Kürze feiern werden, ist einer von vielen britischen Christen seiner Zeit,
deren Frömmigkeit, Sprachbegabung und Hilfstätigkeit ihren Landsleuten alle Ehre machten.
Diese und viele Menschen ihresgleichen ließen sich von dem tiefen Glauben inspirieren,
der auf diesen Inseln hervorgegangen und genährt worden ist. Selbst
aus unserer Zeit können wir uns in Erinnerung rufen, wie Großbritannien und seine
Verantwortlichen der Nazityrannei widerstanden haben, die Gott aus der Gesellschaft
entfernen wollte und vielen das allgemeine Menschsein absprachen, besonders den Juden,
die als „lebensunwert“ betrachtet wurden. Ebenso möchte ich an die Haltung jenes Regimes
gegenüber christlichen Pastoren und Ordensleuten erinnern, welche die Wahrheit in
Liebe sagten, sich den Nazis entgegenstellten und diesen Widerstand mit ihrem Leben
bezahlten. Wenn wir über die nüchternen Lektionen des atheistischen Extremismus des
20. Jahrhunderts nachdenken, wollen wir nicht vergessen, wie der Ausschluß von Gott,
Religion und Tugend aus dem öffentlichen Leben uns letztlich zu einer verkürzten Vision
des Menschen und der Gesellschaft führt und damit zu einer „herabwürdigenden Sicht
des Menschen und seiner Bestimmung“ (Caritas in veritate, 29). Vor
65 Jahren spielte Großbritannien eine wesentliche Rolle bei der Erarbeitung des internationalen
Konsenses nach dem Krieg, der die Errichtung der Vereinten Nationen befürwortete und
eine bislang ungekannte Phase des Friedens und des Wohlstands in Europa einleitete.
In neuerer Zeit hat die internationale Gemeinschaft die Ereignisse in Nordirland genau
verfolgt, die zur Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens und die Übertragung von
Zuständigkeiten an die Nordirische Regionalversammlung geführt haben. Die Regierung
Eurer Majestät und die Regierung Irlands haben gemeinsam mit den politischen, religiösen
und zivilen Verantwortungsträgern Nordirlands dazu beigetragen, eine Friedensresolution
für den dortigen Konflikt auf den Weg zu bringen. Ich ermuntere alle Beteiligten,
auf dem für sie vorgesehenen Weg zu einem gerechten und dauerhaften Frieden gemeinsam
weiter mutig voranzuschreiten. Wenn wir ins Ausland schauen, bleibt
das Vereinigte Königreich politisch und wirtschaftlich eine Schlüsselfigur auf der
internationalen Bühne. Ihre Regierung und Ihr Volk bringen Ideen ein, die nach wie
vor weit über die britischen Inseln hinaus Wirkung zeigen. Dies legt ihnen eine besondere
Verpflichtung auf, klug für das Gemeinwohl zu arbeiten. Entsprechend haben auch die
britischen Medien, deren Meinungen ein so breites Publikum erreichen, eine schwerwiegendere
Verantwortung als die meisten anderen Medien und eine größere Gelegenheit, den Frieden
der Nationen, die ganzheitliche Entwicklung der Völker und die Ausbreitung authentischer
Menschenrechte zu fördern. Mögen alle Briten weiterhin ihr Leben nach den Werten der
Aufrichtigkeit, des Respekts und der redlichen Gesinnung führen, die ihnen die Wertschätzung
und Bewunderung vieler Menschen eingebracht haben. Heute strebt das
Vereinigte Königreich danach, eine moderne und multikulturelle Gesellschaft zu sein.
Bei diesem interessanten Unternehmen möge es stets seinen Respekt vor jenen traditionellen
Werten und kulturellen Ausdrucksformen bewahren, die von aggressiveren Formen des
Säkularismus nicht länger für wichtig erachtet oder nicht einmal mehr toleriert werden.
Lassen Sie ihn den christlichen Grund nicht verdunkeln, der seine Freiheit untermauert.
Und möge jenes Erbe, das Ihrem Land immer gut gedient hat, stets das Beispiel prägen,
das Ihre Regierung und Ihr Volk den zwei Milliarden Mitgliedern des Commonwealth und
der großen Familie englisch sprechender Nationen auf der ganzen Welt geben.
Gott segne Eure Majestät und die Menschen Ihres Königreichs. Danke!