2010-09-16 16:26:26

Der Papst im Flugzeug, Wort für Wort


Wie bei Auslandsreisen üblich, hat Papst Benedikt XVI. im Flugzeug eine improvisierte Pressekonferenz gehalten. Er antwortete auf Fragen von Journalisten, die Vatikansprecher P. Federico Lombardi exemplarisch ausgewählt hatte. Hier eine Übersetzung von Radio Vatikan der Fragen und Antworten.

Heiliger Vater, sind Sie darüber in Sorge, wie Sie in Großbritannien aufgenommen werden?

„Ich mache mir keine Sorgen, denn als ich nach Frankreich ging, wurde gesagt, das sei das antiklerikalste Land überhaupt mit sehr wenigen Gläubigen. Als ich in die tschechische Republik reiste, hieß es, das sei das antireligiöste Land Europas. Die westlichen Länder haben alle, jedes auf seine Weise, starke antiklerikale oder antikatholische Strömungen. Aber es gibt auch immer eine starke Präsenz des Glaubens. So haben mir die Katholiken in Frankreich und der Tschechischen Republik einen warmen Empfang beschert. Es gab auch viel Aufmerksamkeit von Agnostikern, die doch immerhin auf der Suche sind und die Werte kennenlernen möchten, die die Menschheit voranbringen. Und sie waren aufmerksam, ob sie von mir etwas in diese Richtung hören könnten. Es gab auch Toleranz und Respekt jener, die antikatholisch sind. Natürlich hat Großbritannien seine eigene antikatholische Tradition. Aber es ist auch ein Land mit einer großen Geschichte der Toleranz. Deshalb bin ich überzeugt, dass es einerseits einen schönen Empfang durch die Katholiken geben wird, Aufmerksamkeit von den Suchenden, und Respekt und gegenseitige Toleranz dort, wo es Antikatholizismus gibt. Ich reise mit großem Mut und mit Freude.“

Großbritannien ist ein säkulares Land. Aber es gibt auch Anzeichen, dass der Glaube auf individueller Ebene sehr lebendig ist. Was kann das für Katholiken und Anglikaner bedeuten? Kann man etwas tun, um die Kirche als Institution glaubwürdiger und attraktiver für alle zu machen?

„Ich würde sagen, dass eine Kirche, die vor allem versucht attraktiver zu werden, schon auf dem falschen Weg wäre. Denn die Kirche arbeitet nicht für sich, sie arbeitet nicht daran ihre Mitgliederzahlen und ihre Macht zu vergrößern. Die Kirche steht im Dienst eines anderen. Sie dient dazu, die Verkündigung Christi zugänglich zu machen, die großen Wahrheiten und die große Kraft der Liebe und der Versöhnung, die in seiner Gestalt aufscheinen. Die Kirche muss durchlässig für Jesus Christus sein. In dem Maß, wie sie nicht für sich selbst steht, als mächtiger Körper in der Welt, wird sie Stimme für Christus. Die Kirche darf sich nicht selbst betrachten, sondern muss helfen, den anderen in den Blick zu nehmen, sie muss zum und für den anderen sprechen. In diesem Punkt, scheint mir, haben die Anglikaner und die Katholiken den selben Weg: Wenn sie beide einsehen, dass sie nicht für sich selber stehen, sondern dass sie Instrumente Christi sind, kommen sie zusammen. Denn in dieser Zeit vereint sie die Präsenz Christi und sie sind nicht mehr Konkurrentinnen, die beide versuchen ihre Zahlen zu steigern, sondern sie sind vereint im Engagement für die Wahrheit Christi, die in die Welt kommt, und so finden sie sich gegenseitig in einer wahren und tiefen Ökumene.“

Der Missbrauchsskandal hat die Gläubigen erschüttert. Auf welche Weise meinen Sie beitragen zu können, dass dieses Vertrauen wieder wächst?

„Vor allem muss ich sagen, dass diese Enthüllungen für mich ein Schock waren. Sie sind tief traurig. Es ist schwer zu verstehen, wie diese Perversion des Priesteramtes möglich war. Der Priester ist im Moment seiner Weihe seit Jahren auf dieses Amt vorbereitet. Er sagt Ja zu Christus, Ja dazu, seine Stimme zu werden, sein Mund und seine Hand. Er sagt Ja dazu, zu dienen mit seiner ganzen Existenz, damit der Gute Hirte, der liebt und hilft und hinführt zur Wahrheit, in der Welt anwesend ist. Wie ein Mann, der so etwas gelobt hat, in diese Perversion fallen kann, ist schwer zu verstehen. Es ist auch traurig, dass die Autorität der Kirche nicht wachsam genug war, nicht schnell und entschieden genug, die notwendigen Maßnahmen zu treffen. Wir müssen jetzt, so scheint mir, eine Zeit der Buße und der Demut einhalten und eine absolute Aufrichtigkeit wiederfinden bzw. neu erlernen.
Was die Opfer betrifft, sind, denke ich, drei Dinge wichtig. Zunächst, im Vordergrund müssen die Opfer stehen. Wie können wir reparieren, was können wir tun, um diesen Menschen zu helfen, dieses Trauma zu heilen, das Leben wiederzufinden, und auch das Vertrauen in die Botschaft Christi wiederzufinden? Heilung und Engagement für die Opfer ist die erste Priorität, mit der Hilfe von Psychologen und geistlicher Anleitung.
Zweitens, das Problem der Schuldigen. Die gerechte Strafe ist, sie auszuschließen von jeder Möglichkeit, mit Jugendlichen in Kontakt zu kommen. Denn wir wissen, das das eine Krankheit ist, und der freie Willen funktioniert nicht, wo diese Krankheit ist. Wir müssen also diese Personen auch vor sich selbst schützen und ihnen jede Möglichkeit des Kontakts mit Jugendlichen nehmen.
Drittens, die Prävention. In der Auswahl und der Heranbildung der Kandidaten zum Priesteramt müssen wir aufmerksam sein, um allfällige zukünftige Fälle auszuschließen. Ich möchte auch in diesem Moment dem britischen Episkopat danken für seine Aufmerksamkeit für die Opfer, seine Zusammenarbeit mit dem Heiligen Stuhl und den öffentlichen Instanzen. Der britische Episkopat hat da große Arbeit getan und ich bin sehr dankbar dafür.“

Sie werden für Kardinal Newman eine Ausnahme machen und ihn persönlich selig sprechen. Denken Sie, dass die Erinnerung an diese Gestalt dazu beitragen kann, die Spannungen zwischen Anglikanern und Katholiken zu überwinden?

„Kardinal Newman ist einerseits vor allem ein moderner Mann, der das ganze Problem der Modernität erlebte, einschließlich des Problems des Agnostizismus, der Unmöglichkeit, Gott zu kennen und an ihn zu glauben. Ein Mann, der sein ganzes Leben lang unterwegs war, um sich verwandeln zu lassen von der Wahrheit, einer der Aufrichtigkeit suchte und die Bereitschaft lebte, den Weg zum wahren Leben besser zu erkennen, zu finden und zu akzeptieren. Diese innere Modernität seines Lebens bedingt die Modernität seines Glaubens. Das war kein Glaube in Formeln einer vergangenen Zeit, sondern ein ganz persönlicher, erlebter, erlittener Glaube, erstritten über einen langen Weg der Erneuerung und der Bekehrungen. Ein Mann von großer Kultur, der einerseits teilhat an unserer skeptischen Kultur von heute, in der Frage: Können wir etwas Gesichertes verstehen über die Wahrheit des Menschen und des Seins, oder können wir das nicht? Andererseits war er ein Mann mit einer großen Kultur der Kenntnis der Kirchenväter, die er studierte, und er erneuerte die innere Entstehung des Glaubens. Ein Mann von großer Spiritualität, von großer Menschlichkeit auch, ein Mann des Gebets, einer tiefen Verbindung mit Gott, und einer tiefen Verbidnung deshalb auch mit den Menschen seiner und unserer Zeit. Diese drei Elemente: Modernität seiner Existenz mit aller Zweifeln und Problemen unseres Seins von heute, große Kultur, Kenntnis der großen Schätze der menschlichen Kultur, Disponibilität der andauernden Suche, der andauernden Erneuerung, und Spiritualität, Leben mit Gott, geben diesem Mann eine außerordentliche Bedeutung für unsere Zeit. Daher ist er ein Kirchenlehrer für uns alle, und eine Brücke zwischen Anglikanern und Katholiken.“

Dieser Besuch ist ein Staatsbesuch. Was heißt das für die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Großbritannien? Gibt es wichtige Punkte der Übereinstimmung, besonders in bezug auf die großen Herausforderungen der aktuellen Welt?

„Ich bin Ihrer Majestät Königin Elizabeth II. sehr dankbar, dass sie diesem Besuch den Rang eines Staatsbesuchs geben wollte, um den öffentlichen Charakter dieser Visite zu betonen und die gemeinsame Verantwortung zwischen Politik und Religion für die Zkunft des Kontinents und die Zukunft des Menschheit. Die große gemeinsame Verantwortung liegt darin, dass jene Werte, die Gerechtigkeit und Politik schaffen, und die aus der Religion stammen, zusammen den Weg unserer Zeit bestimmen. Natürlich macht diese Definition als Staatsbesuch aus meiner Visite keinen politischen Akt. Der Papst ist Staatsoberhaupt, aber das ist nur ein Instrument, um die Unabhängigkeit seiner Botschaft zu sichern und den öffentlichen Charakter seiner Arbeit als Hirte. In diesem Sinn bleibt der Staatsbesuch wesentlich ein Pastoralbesuch, also ein Besuch in der Verantwortung des Glaubens, für den der Papst existiert. Der „Staatsbesuch“ unterstreicht aber auch die Übereinstimmung zwischen dem Interesse der Politik und der Religion. Politik ist dazu da, Gerechtigkeit zu garantieren, und mit der Gerechtigkeit Freiheit. Aber die Gerechtigkeit hat einen moralischen, religiösen Wert. An diesem Punkt hakt sich auch der Glaube, die Verkündigung des Evangeliums, in die Politik ein. So enstehen auch gemeinsame Interessen. Großbritannien hat eine lange Erfahrung im Kampf gegen die Übel der Zeit, gegen Armut, Krankheit, Droge, Sklaverei und Missbrauch des Menschen, und dieser Kampf ist auch Ziel des Glaubens, damit gegen all diese Zerstörung das Bild Gottes wiederhergestellt werde. Ein zweites gemeinsames Anliegen ist der Einsatz für Frieden auf der Welt, die Erziehung zum Frieden, die Tugenden schafft, die den Menschen fähig zum Frieden machen. Der Dialog der Religionen, die Toleranz, die Öffnung des einen für den anderen, ist ein Ziel sowohl Großbritanniens als auch des katholischen Glaubens - das Wiederfinden der werte, die Fundamente unseres Menschseins sind.“
(rv 16.09.2010 gs)








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