Wie bei Auslandsreisen üblich, hat Papst Benedikt XVI. im Flugzeug eine improvisierte
Pressekonferenz gehalten. Er antwortete auf Fragen von Journalisten, die Vatikansprecher
P. Federico Lombardi exemplarisch ausgewählt hatte. Hier eine Übersetzung von Radio
Vatikan der Fragen und Antworten.
Heiliger Vater, sind Sie darüber in Sorge,
wie Sie in Großbritannien aufgenommen werden?
„Ich mache mir keine Sorgen,
denn als ich nach Frankreich ging, wurde gesagt, das sei das antiklerikalste Land
überhaupt mit sehr wenigen Gläubigen. Als ich in die tschechische Republik reiste,
hieß es, das sei das antireligiöste Land Europas. Die westlichen Länder haben alle,
jedes auf seine Weise, starke antiklerikale oder antikatholische Strömungen. Aber
es gibt auch immer eine starke Präsenz des Glaubens. So haben mir die Katholiken in
Frankreich und der Tschechischen Republik einen warmen Empfang beschert. Es gab auch
viel Aufmerksamkeit von Agnostikern, die doch immerhin auf der Suche sind und die
Werte kennenlernen möchten, die die Menschheit voranbringen. Und sie waren aufmerksam,
ob sie von mir etwas in diese Richtung hören könnten. Es gab auch Toleranz und Respekt
jener, die antikatholisch sind. Natürlich hat Großbritannien seine eigene antikatholische
Tradition. Aber es ist auch ein Land mit einer großen Geschichte der Toleranz. Deshalb
bin ich überzeugt, dass es einerseits einen schönen Empfang durch die Katholiken geben
wird, Aufmerksamkeit von den Suchenden, und Respekt und gegenseitige Toleranz dort,
wo es Antikatholizismus gibt. Ich reise mit großem Mut und mit Freude.“
Großbritannien
ist ein säkulares Land. Aber es gibt auch Anzeichen, dass der Glaube auf individueller
Ebene sehr lebendig ist. Was kann das für Katholiken und Anglikaner bedeuten? Kann
man etwas tun, um die Kirche als Institution glaubwürdiger und attraktiver für alle
zu machen?
„Ich würde sagen, dass eine Kirche, die vor allem versucht attraktiver
zu werden, schon auf dem falschen Weg wäre. Denn die Kirche arbeitet nicht für sich,
sie arbeitet nicht daran ihre Mitgliederzahlen und ihre Macht zu vergrößern. Die Kirche
steht im Dienst eines anderen. Sie dient dazu, die Verkündigung Christi zugänglich
zu machen, die großen Wahrheiten und die große Kraft der Liebe und der Versöhnung,
die in seiner Gestalt aufscheinen. Die Kirche muss durchlässig für Jesus Christus
sein. In dem Maß, wie sie nicht für sich selbst steht, als mächtiger Körper in der
Welt, wird sie Stimme für Christus. Die Kirche darf sich nicht selbst betrachten,
sondern muss helfen, den anderen in den Blick zu nehmen, sie muss zum und für den
anderen sprechen. In diesem Punkt, scheint mir, haben die Anglikaner und die Katholiken
den selben Weg: Wenn sie beide einsehen, dass sie nicht für sich selber stehen, sondern
dass sie Instrumente Christi sind, kommen sie zusammen. Denn in dieser Zeit vereint
sie die Präsenz Christi und sie sind nicht mehr Konkurrentinnen, die beide versuchen
ihre Zahlen zu steigern, sondern sie sind vereint im Engagement für die Wahrheit Christi,
die in die Welt kommt, und so finden sie sich gegenseitig in einer wahren und tiefen
Ökumene.“
Der Missbrauchsskandal hat die Gläubigen erschüttert. Auf welche
Weise meinen Sie beitragen zu können, dass dieses Vertrauen wieder wächst?
„Vor
allem muss ich sagen, dass diese Enthüllungen für mich ein Schock waren. Sie sind
tief traurig. Es ist schwer zu verstehen, wie diese Perversion des Priesteramtes möglich
war. Der Priester ist im Moment seiner Weihe seit Jahren auf dieses Amt vorbereitet.
Er sagt Ja zu Christus, Ja dazu, seine Stimme zu werden, sein Mund und seine Hand.
Er sagt Ja dazu, zu dienen mit seiner ganzen Existenz, damit der Gute Hirte, der liebt
und hilft und hinführt zur Wahrheit, in der Welt anwesend ist. Wie ein Mann, der so
etwas gelobt hat, in diese Perversion fallen kann, ist schwer zu verstehen. Es ist
auch traurig, dass die Autorität der Kirche nicht wachsam genug war, nicht schnell
und entschieden genug, die notwendigen Maßnahmen zu treffen. Wir müssen jetzt, so
scheint mir, eine Zeit der Buße und der Demut einhalten und eine absolute Aufrichtigkeit
wiederfinden bzw. neu erlernen. Was die Opfer betrifft, sind, denke ich, drei
Dinge wichtig. Zunächst, im Vordergrund müssen die Opfer stehen. Wie können wir reparieren,
was können wir tun, um diesen Menschen zu helfen, dieses Trauma zu heilen, das Leben
wiederzufinden, und auch das Vertrauen in die Botschaft Christi wiederzufinden? Heilung
und Engagement für die Opfer ist die erste Priorität, mit der Hilfe von Psychologen
und geistlicher Anleitung. Zweitens, das Problem der Schuldigen. Die gerechte
Strafe ist, sie auszuschließen von jeder Möglichkeit, mit Jugendlichen in Kontakt
zu kommen. Denn wir wissen, das das eine Krankheit ist, und der freie Willen funktioniert
nicht, wo diese Krankheit ist. Wir müssen also diese Personen auch vor sich selbst
schützen und ihnen jede Möglichkeit des Kontakts mit Jugendlichen nehmen. Drittens,
die Prävention. In der Auswahl und der Heranbildung der Kandidaten zum Priesteramt
müssen wir aufmerksam sein, um allfällige zukünftige Fälle auszuschließen. Ich möchte
auch in diesem Moment dem britischen Episkopat danken für seine Aufmerksamkeit für
die Opfer, seine Zusammenarbeit mit dem Heiligen Stuhl und den öffentlichen Instanzen.
Der britische Episkopat hat da große Arbeit getan und ich bin sehr dankbar dafür.“
Sie werden für Kardinal Newman eine Ausnahme machen und ihn persönlich selig
sprechen. Denken Sie, dass die Erinnerung an diese Gestalt dazu beitragen kann, die
Spannungen zwischen Anglikanern und Katholiken zu überwinden?
„Kardinal Newman
ist einerseits vor allem ein moderner Mann, der das ganze Problem der Modernität erlebte,
einschließlich des Problems des Agnostizismus, der Unmöglichkeit, Gott zu kennen und
an ihn zu glauben. Ein Mann, der sein ganzes Leben lang unterwegs war, um sich verwandeln
zu lassen von der Wahrheit, einer der Aufrichtigkeit suchte und die Bereitschaft lebte,
den Weg zum wahren Leben besser zu erkennen, zu finden und zu akzeptieren. Diese innere
Modernität seines Lebens bedingt die Modernität seines Glaubens. Das war kein Glaube
in Formeln einer vergangenen Zeit, sondern ein ganz persönlicher, erlebter, erlittener
Glaube, erstritten über einen langen Weg der Erneuerung und der Bekehrungen. Ein Mann
von großer Kultur, der einerseits teilhat an unserer skeptischen Kultur von heute,
in der Frage: Können wir etwas Gesichertes verstehen über die Wahrheit des Menschen
und des Seins, oder können wir das nicht? Andererseits war er ein Mann mit einer großen
Kultur der Kenntnis der Kirchenväter, die er studierte, und er erneuerte die innere
Entstehung des Glaubens. Ein Mann von großer Spiritualität, von großer Menschlichkeit
auch, ein Mann des Gebets, einer tiefen Verbindung mit Gott, und einer tiefen Verbidnung
deshalb auch mit den Menschen seiner und unserer Zeit. Diese drei Elemente: Modernität
seiner Existenz mit aller Zweifeln und Problemen unseres Seins von heute, große Kultur,
Kenntnis der großen Schätze der menschlichen Kultur, Disponibilität der andauernden
Suche, der andauernden Erneuerung, und Spiritualität, Leben mit Gott, geben diesem
Mann eine außerordentliche Bedeutung für unsere Zeit. Daher ist er ein Kirchenlehrer
für uns alle, und eine Brücke zwischen Anglikanern und Katholiken.“
Dieser
Besuch ist ein Staatsbesuch. Was heißt das für die Beziehungen zwischen dem Heiligen
Stuhl und Großbritannien? Gibt es wichtige Punkte der Übereinstimmung, besonders in
bezug auf die großen Herausforderungen der aktuellen Welt?
„Ich bin Ihrer Majestät
Königin Elizabeth II. sehr dankbar, dass sie diesem Besuch den Rang eines Staatsbesuchs
geben wollte, um den öffentlichen Charakter dieser Visite zu betonen und die gemeinsame
Verantwortung zwischen Politik und Religion für die Zkunft des Kontinents und die
Zukunft des Menschheit. Die große gemeinsame Verantwortung liegt darin, dass jene
Werte, die Gerechtigkeit und Politik schaffen, und die aus der Religion stammen, zusammen
den Weg unserer Zeit bestimmen. Natürlich macht diese Definition als Staatsbesuch
aus meiner Visite keinen politischen Akt. Der Papst ist Staatsoberhaupt, aber das
ist nur ein Instrument, um die Unabhängigkeit seiner Botschaft zu sichern und den
öffentlichen Charakter seiner Arbeit als Hirte. In diesem Sinn bleibt der Staatsbesuch
wesentlich ein Pastoralbesuch, also ein Besuch in der Verantwortung des Glaubens,
für den der Papst existiert. Der „Staatsbesuch“ unterstreicht aber auch die Übereinstimmung
zwischen dem Interesse der Politik und der Religion. Politik ist dazu da, Gerechtigkeit
zu garantieren, und mit der Gerechtigkeit Freiheit. Aber die Gerechtigkeit hat einen
moralischen, religiösen Wert. An diesem Punkt hakt sich auch der Glaube, die Verkündigung
des Evangeliums, in die Politik ein. So enstehen auch gemeinsame Interessen. Großbritannien
hat eine lange Erfahrung im Kampf gegen die Übel der Zeit, gegen Armut, Krankheit,
Droge, Sklaverei und Missbrauch des Menschen, und dieser Kampf ist auch Ziel des Glaubens,
damit gegen all diese Zerstörung das Bild Gottes wiederhergestellt werde. Ein zweites
gemeinsames Anliegen ist der Einsatz für Frieden auf der Welt, die Erziehung zum Frieden,
die Tugenden schafft, die den Menschen fähig zum Frieden machen. Der Dialog der Religionen,
die Toleranz, die Öffnung des einen für den anderen, ist ein Ziel sowohl Großbritanniens
als auch des katholischen Glaubens - das Wiederfinden der werte, die Fundamente unseres
Menschseins sind.“ (rv 16.09.2010 gs)