Migrationsforscher: „Deutschland muss sich endlich als Einwanderungsland begreifen“
Deutschland muss sich
endlich als Einwanderungsland begreifen. Und es braucht dementsprechend endlich ein
Einwanderungsgesetz, dass Migranten von vornherein einbindet – mit allen Rechten und
Pflichten. Das unterstreicht Ralph Ghadban im Gespräch mit Radio Vatikan. Der gebürtige
Libanese hat in Deutschland jahrelang mit Einwanderern gearbeitet; als Migrationsforscher
war er bei der Islamkonferenz politischer Berater. Er urteilt hart über die deutsche
Integrationspolitik:
„Bis 1998 hieß es: Deutschland ist kein Einwanderungsland.
Sie haben fest damit gerechnet, dass die Ausländer wieder nach Hause gehen. Nachher,
als sie mit Rot-Grün ein Einwanderungsgesetz verabschieden wollten, da kam am Ende
so ein magres Gesetzt dabei heraus, was sich hauptsächlich auf die Sprache konzentriert
und das das Problem nicht gelöst hat. Deutschland muss sich wie andere Länder als
Einwanderungsland erklären und eine Einwanderungspolitik betreiben wie in den USA
oder Australien.“
Das deutsche Einwanderungsgesetz sei immer noch zu schwammig,
was Rechte und Pflichten der Einwanderer betreffe, so Ghadban. Das diene weder Deutschland
noch den Migranten.
„Das heißt, wenn man sich entscheidet, jemanden aufzunehmen,
dann ist er gleichberechtigt. Was wir aber haben: Wir verzögern die Aufnahme und regulieren
sie nicht. Und wenn die Leute kommen, dann ziehen wir die Sache in die Länge, unternehmen
keine Integration und Ähnliches. Also wir stehen zwischen allen Stühlen, wir müssen
uns entscheiden.“
Probleme sieht Ghadban auch beim Asylantragsverfahren.
Es sei richtig, politischen Flüchtlingen und Notleidenden Asyl zu gewähren, das müsse
auch erhalten bleiben. Die Mehrzahl der in den letzten Jahren aufgenommenen Asylanten
seien jedoch aus anderen Gründen nach Deutschland gekommen. Hier sei mehr Selektion
sinnvoll, meint Ghadban, der auch in diesem Punkt in den USA ein Vorbild sieht.
„Das bedeutet, dass sie die Leute holen, die sie brauchen und nicht wie jetzt.
Jetzt kommen die meisten über den Asylweg nach Deutschland. Da hat man keine Wahl
in diesem Prozess. Und es sind nicht diejenigen, die eine bessere Ausbildung haben.
Der Hauptgrund für den Asylweg ist seit Jahren nicht mehr politisch, das ist ein rein
ökonomischer Weg. Zum Beispiel kommen Menschen aus dem Libanon heute aus rein ökonomischen
Gründen, seit über 20 Jahren.“
Doch Ghadban bemängelt nicht nur die deutsche
Integrationspolitik. Auch der Integrationswillen mancher Migranten lässt für ihn zu
wünschen übrig. Dabei gehe es nicht darum, Thilo Sarrazin mit seinen Thesen zur „Integrationsunfähigkeit
der Muslime“ nach dem Mund zu reden; der Politiker sei in rassistische Formulierungen
abgerutscht und argumentiere biologistisch, stellt Ghadban klar. Zudem gebe es zahlreiche
positive Beispiele von Integration in Deutschland, über die gar nicht geredet würde.
Allerdings gelte es, einigen Fakten ins Auge zu sehen: „Die letzte Berliner
Untersuchung hat gezeigt, dass sich die Migranten aus dem Ostblock schnell integriert
haben. Die einzigen, bei denen die Integration rückgängig ist, ist bei den Türken
und Arabern. Diese Untersuchung wurde zum ersten Mal nach Nationalitäten geführt.“
Für
eine sachliche Debatte müsse man differenzieren und Kritik zulassen, betont der Experte
weiter – sowohl am Integrationsunwillen mancher Migranten, als auch an Fehlentscheidungen
der Politik.