2010-09-12 09:26:18

Belgien: Neue Initiative


RealAudioMP3 Auf 200 Seiten die Schilderung von 465 Missbrauchs-Fällen aus den Jahren 1950 bis 1990: Dieses erschütternde Dokument hat die belgische Bischofskonferenz Ende der Woche auf ihre Homepage gestellt. Es ist der Bericht der unabhängigen Untersuchungskommission zu Missbrauchs-Fällen im kirchlichen Raum. Der Bericht spricht von Klerikern, aber auch Religionslehrern oder Mitarbeitern katholischer Jugendgruppen, die zu Tätern wurden. Der Missbrauchs-Verantwortliche der belgischen Kirche, Bischof Guy Harpigny von Tournai, kommentiert:

 
„Der Bericht zeigt deutlich, dass wir nicht versucht haben, irgendetwas zu vertuschen, und dass die Mitglieder der Kommission wirklich völlig unabhängig arbeiten konnten. Was die Verantwortlichen für Missbrauchsfälle betrifft, wird die Kirche völlig mit den Behörden zusammenarbeiten. Man muss sagen, dass jetzt immer mehr Fakten ans Licht kommen, weil das Dutroux-Drama von 1996 und der Rücktritt von Bischof Vangeheluwe dazu geführt haben, dass mehr Menschen zum Reden bereit sind – vorher war das so nicht möglich.“

 
Roger Vangheluwe – das war der Erzbischof von Brügge. Er trat im Frühjahr zurück, als bekannt wurde, dass er über einen längeren Zeitraum seinen Neffen sexuell missbraucht hat. In einer Erklärung von diesem Samstag entschuldigt sich Vangheluwe noch einmal bei seinem Opfer und dessen Familie; er bittet auch die Kirche und die Gesellschaft um Verzeihung. Er werde sich, nachdem er eine Weile in einem Kloster seines früheren Bistums Obdach gefunden habe, nun an einen Ort außerhalb der Bistumsgrenzen zurückziehen. Bischof Harpigny:

 
„Für uns ist es jetzt das Wichtigste, dass wir mit den Opfern ins Gespräch kommen und dass sie uns sagen, was sie in diesem Moment von uns erwarten. Uns wird jetzt immer deutlicher, wie schwer die Missbrauchsfälle waren, wie sehr die missbrauchten Personen zerstört und für immer verletzt sind; leider haben einige von ihnen sich das Leben genommen bzw. den Selbstmord versucht.“

 
Von dreizehn Selbstmorden von Menschen, die als Kinder oder Jugendliche von Kirchenleuten sexuell missbraucht wurden, spricht der Bericht der Kommission unter Leitung eines Kinderpsychologen. Allerdings: Diese Kommission gibt es nicht mehr – sie war nämlich aus Protest gegen eine Razzia zurückgetreten. Gegen diese Razzia vom 24. Juni, bei der die Brüsseler Ermittler etwas weit gegangen waren, hatte sogar der Papst protestiert. Fernando Keuleneer ist der Anwalt des Erzbistums Malines-Brüssel, dessen Hauptsitz damals unter etwas rüden Umständen durchsucht wurde:

 
„Wir sind zufrieden damit, dass jetzt das zuständige Gericht entschieden hat, die beschlagnahmten Dokumente seien im Prozess nicht zu verwerten. Immerhin hatten wir von Anfang an Zweifel abn der Legalität der Operation, angesichts ihrer Methoden und ihrer spektakulären Umstände. Das Gericht war da ganz klar: Sowohl die Durchsuchungen als auch die Beschlagnahmungen waren illegal! Alle Dokumente müssen zurückerstattet werden, und nichts davon kann vor Gericht verwertet werden.“

 
Allerdings habe die belgische Kirche auch nichts zu verbergen, beteuert der Anwalt:

 
„Absolut nicht! Wir als Erzbistum Brüssel und belgische Kirche widersetzen uns keineswegs einem Verfahren und einer entsprechenden Untersuchung. Wir bitten nur darum, dass diese Untersuchung auch korrekt und legal durchgeführt wird; darum sind wir sehr zufrieden mit der Gerichtsentscheidung. Jetzt kennen alle die Prinzipien, die es zu respektieren gilt, wenn eine Untersuchung durchgeführt wird. Wir sind zufrieden, aber ohne Triumphalismus, denn die Schäden, die diese illegalen Operationen angerichtet haben, sind beachtlich, und es wird sehr, sehr schwer werden, sie zu reparieren...“

 
Alles auf Anfang also im Erzbistum Brüssel: Erzbischof Joseph Léonard hofft, die Aufmerksamkeit jetzt wieder auf die Opfer von Missbrauch lenken zu können.

 
„Es wird am Montag eine Pressekonferenz am Sitz des Erzbistums geben; dort wollen Erzbischof Léonard und die anderen Bischöfe eine neue Initiative vorstellen. Sie ersetzt die unabhängige Untersuchungskommission, weil deren Arbeit mittlerweile durch diese spektakuläre und illegale Razzia unmöglich gemacht worden ist. Ich will nochmals betonen: Die Kirche hat nichts zu verbergen und ist vollkommen dazu bereit, loyal mit der Justiz zusammenzuarbeiten.“

 
(rv 12.09.2010 sk)
 







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