Auf 200 Seiten die
Schilderung von 465 Missbrauchs-Fällen aus den Jahren 1950 bis 1990: Dieses erschütternde
Dokument hat die belgische Bischofskonferenz Ende der Woche auf ihre Homepage gestellt.
Es ist der Bericht der unabhängigen Untersuchungskommission zu Missbrauchs-Fällen
im kirchlichen Raum. Der Bericht spricht von Klerikern, aber auch Religionslehrern
oder Mitarbeitern katholischer Jugendgruppen, die zu Tätern wurden. Der Missbrauchs-Verantwortliche
der belgischen Kirche, Bischof Guy Harpigny von Tournai, kommentiert:
„Der
Bericht zeigt deutlich, dass wir nicht versucht haben, irgendetwas zu vertuschen,
und dass die Mitglieder der Kommission wirklich völlig unabhängig arbeiten konnten.
Was die Verantwortlichen für Missbrauchsfälle betrifft, wird die Kirche völlig mit
den Behörden zusammenarbeiten. Man muss sagen, dass jetzt immer mehr Fakten ans Licht
kommen, weil das Dutroux-Drama von 1996 und der Rücktritt von Bischof Vangeheluwe
dazu geführt haben, dass mehr Menschen zum Reden bereit sind – vorher war das so nicht
möglich.“
Roger Vangheluwe – das war der Erzbischof
von Brügge. Er trat im Frühjahr zurück, als bekannt wurde, dass er über einen längeren
Zeitraum seinen Neffen sexuell missbraucht hat. In einer Erklärung von diesem Samstag
entschuldigt sich Vangheluwe noch einmal bei seinem Opfer und dessen Familie; er bittet
auch die Kirche und die Gesellschaft um Verzeihung. Er werde sich, nachdem er eine
Weile in einem Kloster seines früheren Bistums Obdach gefunden habe, nun an einen
Ort außerhalb der Bistumsgrenzen zurückziehen. Bischof Harpigny:
„Für
uns ist es jetzt das Wichtigste, dass wir mit den Opfern ins Gespräch kommen und dass
sie uns sagen, was sie in diesem Moment von uns erwarten. Uns wird jetzt immer deutlicher,
wie schwer die Missbrauchsfälle waren, wie sehr die missbrauchten Personen zerstört
und für immer verletzt sind; leider haben einige von ihnen sich das Leben genommen
bzw. den Selbstmord versucht.“
Von dreizehn Selbstmorden
von Menschen, die als Kinder oder Jugendliche von Kirchenleuten sexuell missbraucht
wurden, spricht der Bericht der Kommission unter Leitung eines Kinderpsychologen.
Allerdings: Diese Kommission gibt es nicht mehr – sie war nämlich aus Protest gegen
eine Razzia zurückgetreten. Gegen diese Razzia vom 24. Juni, bei der die Brüsseler
Ermittler etwas weit gegangen waren, hatte sogar der Papst protestiert. Fernando Keuleneer
ist der Anwalt des Erzbistums Malines-Brüssel, dessen Hauptsitz damals unter etwas
rüden Umständen durchsucht wurde:
„Wir sind zufrieden
damit, dass jetzt das zuständige Gericht entschieden hat, die beschlagnahmten Dokumente
seien im Prozess nicht zu verwerten. Immerhin hatten wir von Anfang an Zweifel abn
der Legalität der Operation, angesichts ihrer Methoden und ihrer spektakulären Umstände.
Das Gericht war da ganz klar: Sowohl die Durchsuchungen als auch die Beschlagnahmungen
waren illegal! Alle Dokumente müssen zurückerstattet werden, und nichts davon kann
vor Gericht verwertet werden.“
Allerdings habe die belgische
Kirche auch nichts zu verbergen, beteuert der Anwalt:
„Absolut
nicht! Wir als Erzbistum Brüssel und belgische Kirche widersetzen uns keineswegs einem
Verfahren und einer entsprechenden Untersuchung. Wir bitten nur darum, dass diese
Untersuchung auch korrekt und legal durchgeführt wird; darum sind wir sehr zufrieden
mit der Gerichtsentscheidung. Jetzt kennen alle die Prinzipien, die es zu respektieren
gilt, wenn eine Untersuchung durchgeführt wird. Wir sind zufrieden, aber ohne Triumphalismus,
denn die Schäden, die diese illegalen Operationen angerichtet haben, sind beachtlich,
und es wird sehr, sehr schwer werden, sie zu reparieren...“
Alles
auf Anfang also im Erzbistum Brüssel: Erzbischof Joseph Léonard hofft, die Aufmerksamkeit
jetzt wieder auf die Opfer von Missbrauch lenken zu können.
„Es
wird am Montag eine Pressekonferenz am Sitz des Erzbistums geben; dort wollen Erzbischof
Léonard und die anderen Bischöfe eine neue Initiative vorstellen. Sie ersetzt die
unabhängige Untersuchungskommission, weil deren Arbeit mittlerweile durch diese spektakuläre
und illegale Razzia unmöglich gemacht worden ist. Ich will nochmals betonen: Die Kirche
hat nichts zu verbergen und ist vollkommen dazu bereit, loyal mit der Justiz zusammenzuarbeiten.“