Attacke auf Ratzinger
– das ist der Titel eines Buches, das in diesen Wochen in Italien viel von sich reden
macht. Wir haben einen der beiden Autoren, Paolo Rodari, der für Italiens rechtskonservative
Intellektuellenpostille „Il Foglio“ den Vatikan beobachtet, vors Mikrofon gebeten
und fragen ihn zunächst, was die These seines Buches ist. Die Fragen stellte Gudrun
Sailer.
„Unsere These ist, dass die fünf Jahre des Pontifikates von Benedikt
XVI. charakterisiert waren von Attacken auf seine Person. Attacken, die unter diversen
Vorwänden von Medien vorgebracht wurden, ohne dass man auf den Grund dessen gegangen
wäre, was der Papst sagte oder tat. In diesen fünf Jahren ist der Papst sehr oft auf
den Titelseiten gelandet, meist mit sensationsheischenden Schlagzeilen. Der Grund
ist, dass seine Botschaften für den heutigen Menschen derart antikonformistisch und
antimodern sind, dass das, was der Papst sagt, skandalös wirkt.“
Um nur
ein Beispiel zu nennen: Kondome ändern nichts am Problem HIV/Aids, sondern verschlimmern
das Problem. Das Buch zeichnet chronologisch die „Medienskandale“ des Pontifikates
nach. Welche sind die Hauptstationen?
„Wir beginnen mit der ersten großen
Medienkrise, der Rede Papst Benedikts an der Universität Regensburg, in der er jenes
folgenschwere Zitat eines byzantinischen Kaisers verwendete, der den Islam als gewalttätig
bezeichnete. Dann die afrikanische Reise mit der Aussage über Kondome, die die Präsidentschaftskanzleien
der halben Welt zu Reaktionen veranlasste. Einige lokalere Skandale wie die Berufung
des Weihbischofs von Linz, Wagner, der den Papst nach wenigen Tagen um eine Rücknahme
seiner Ernennung bitten musste. Klarerweise das Motu Proprio Summorum Pontificum mit
der breiten Wiederzulassung der alten Messe, sowie die Aufhebung der Exkommunikation
der vier Traditionalistenbischöfe. Bis hin zu den letzten schweren Anschuldigungen,
der Vatikan habe die Fälle sexuellen Missbrauchs durch pädophile Priester in der Ära
Wojtyla verschleiert.“
Der Papst ist auf gewisse Weise radikal in seiner
Botschaft – deshalb kommt er schlecht an, so Ihre Hypothese. Dazu kommen interne Kommunikationspannen.
Nun ist die Kirche die Verkünderin der Frohen Botschaft, sie hat 2000 Jahre Erfahrung
mit Kommunikationsarbeit. Wie kommt es, dass ihr Kommunikationsfehler passieren?
„Eine
gewisse vatikanische Ineffizienz ist auch der Struktur geschuldet, die unangemessen
für die heutige Zeit ist. Paul VI. machte eine Kurienreform, in der er alles rund
um das Staatssekretariat anordnete. Er schuf also die direkten Beziehungen ab, die
es vorher zwischen den einzelnen Dikasterien, also Ministerien, und dem Papst gab.
Bis heute geht alles wie durch einen Flaschenhals über das Staatssekretariat. Und
das ist ein Problem. Denn die anderen Ministerien wissen nicht alles, ihre Chefs sehen
den Papst seltener. An dieser Distanz leider auch, denke ich, der vatikanische Pressesaal,
also jenes Organ, das die Medien informiert. Das ist aber nicht die Schuld des Pressesaales,
sondern ein strukturelles Problem. Vielleicht wäre eine neuerliche Kurienreform hilfreich:
Weniger Information von oben nach unten, mehr Information zwischen den einzelnen Ebenen.“
Welche Vorschläge haben Sie aus Ihrer Sicht als Vatikan-Berichterstatter?
„Nun,
die Schlussfolgerungen müssen andere ziehen. Aber ich meine, die großen professionellen
Figuren der vatikanischen Pressearbeit, etwa P. Federico Lombardi, sollten einen direkteren
Kontakt zu den entscheidenden Stellen haben. Ein Beispiel: Der Papst reist nach Afrika,
und man möchte, dass in den Medien ankommt, was er zu sagen hat. Nämlich, dass man
Aids nicht einfach mit Kondomen bekämpfen kann, sondern mit einer anderen Sexualerziehung,
weil Kondome eine libertinäre Sexualität fördern, die wiederum zu mehr Ansteckungen
führt. Dann müsste man diese Botschaft mit dem Papst absprechen, oder zumindest mit
seinem direkten Umfeld. Auf diese Weise könnte die vatikanische Pressearbeit schon
im Flugzeug wirken, und die Medien wären besser vorbereitet. Die Dinge könnten von
vornherein besser erklärt werden, und viele Skandale kämen gar nicht erst auf.“
Zeigt
sich der Vatikan der Aufgabe, gut zu kommunizieren, heute eher gewachsen als vor fünf
Jahren? Hat man im laufenden Pontifikat dazugelernt?
„Ich glaube ja. Regensburg
war eine Erschütterung, aus medientechnischer Sicht. Man fiel aus allen Wolken, keiner
hätte sich eine so starke Reaktion aus der muslimischen Welt erwartet, eine Reaktion
auf einen kleinen Satz, denn mehr war es nicht. Ich beobachte aber seither ernsthafte
Anstrengungen der vatikanischen Pressearbeit, besser vorzubauen. So arbeitet man jetzt
mit einer skandinavischen Agentur zusammen, die Internet durchforstet und Presseschauen
von online erschienenen Artikeln und Blogs zusammenstellt. Denn viele Kommunikationspannen
sind entstanden, obwohl man im Internet zuvor schon entsprechende Infornationen hätte
finden können. Internet nimmt oft vorweg, was später in die Zeitung und ins Fernsehen
kommt. Beispiel: der Fall Williamson. Seine Negierung des Holocaust war schon lange
vorher online nachzulesen. Über Internet-Lektüre kann der Vatikan also vorbeugen.“
In der Tat hat ja auch Papst Benedikt in seinem Brief an die Bischöfe
nach der Affäre Williamson angemahnt, man solle Internet mehr nutzen. Kann es sein,
dass hier nicht nur ein strukturelles, sondern auch ein Generationenproblem besteht?
Die junge Generation kommt ohne Internet nicht aus, während die ältere, die im Vatikan
nun einmal stark vertreten ist, damit nichts anfangen kann …
„Das Problem
reicht noch weiter: Ich weiß nicht, wie viele Büros im Vatikan überhaupt einen Internetanschluss
haben. Nicht alle Kurienleute haben Zugang. Andererseits: Hätten alle Internet auf
dem Computer, dann kämen vertrauliche Dokumente viel eher an die Öffentlichkeit.“
Ein kurzer Ausblick auf die Weltkirche: Die Attacken auf Papst Benedikt
kommen ausschließlich aus dem westlichen Teil der Welt. In Lateinamerika, Afrika und
Asien, wo die Kirche wächst, wird dieser Papst sehr geschätzt. Welche Schlussfolgerung
kann man daraus ziehen?
„Der Papst ist eine Ikone auf der ganzen Welt,
um so mehr aber für den Westen, wo oft das Schicksal der Welt entschieden wird. Es
mag stimmen, dass er auf den anderen Kontinenten eine bessere Presse hat. Es stimmt
aber auch, dass er sich auseinandersetzen muss mit unserer westlichen Welt. Das ist
unerlässlich. Johannes Paul II. gelang es noch, mit seinem speziellen Charisma
ein Vakuum zu überdecken. Nach dieser Ära sind dann unter Benedikt manche Mängel ans
Licht gekommen. Ich denke aber nicht, dass die Attacken gegen den Papst konzertierte
Aktionen sind. Es sind tatsächlich seine unkonventionellen Botschaften, seine Worte,
die viele verschrecken.“
"Attacco a Ratzinger. Accuse e scandali, profezie
e complotti contro Benedetto XVI." von Paolo Rodari und Andrea Tornielli ist im Verlag
Piemme erschienen.