USA: „Katholische Kirche hat zu Muslimen guten Draht“
In wenigen Tagen gedenkt
die Welt den Opfern der New Yorker Terroranschläge. Am 11. September 2001 steuerten
islamistische Terroristen zwei Flugzeuge in die Zwillingstürme des World Trade Centers
und rissen bis zu 2000 Menschen mit in den Tod. Ground Zero bleibt eine offene Wunde
im Herzen der Amerikaner. Sie stellt die Frage nach der Religionsfreiheit in den USA
erneut auf den Prüfstand.
Während Vorbehalte gegenüber Muslimen in den USA
seit den Terroranschlägen zugenommen haben, bemühen sich katholische Kirche und muslimische
Verbände verstärkt um interreligiösen Dialog. Das berichtet Ferdinand Oertel, katholischer
Journalist und USA-Experte, im Gespräch mit Radio Vatikan.
„Nach dem Terrorangriff
sind die muslimischen Gruppierungen in Amerika, es gibt glaube ich vier verteilt über
das ganze Land, dazu übergegangen, sich selbst einmal vorzustellen, in den Vereinigten
Staaten als Muslime friedliche Bürger sein zu wollen. Das ist sehr schwer gewesen,
hat aber vor allem auch im Bereich der Kirchen, besonders im Verhältnis der katholischen
Kirche und der Muslime, zu engen Kontakten geführt.“
Von 300 Millionen
Einwohnern in den Vereinigten Staaten sind zwischen ein und fünf Prozent Muslime,
davon haben die Hälfte die amerikanische Staatsbürgerschaft. Diese Gruppe identifiziere
sich voll und ganz mit der amerikanischen Nation, so Oertel. Doch erst mit den Terroranschlägen
seien die Muslime überhaupt ins amerikanische Bewusstsein gerückt. Und zwar hauptsächlich
negativ. Das lasse sich aktuell an der Kritik am Bau eines muslimischen Kulturzentrums
in Manhattan ablesen.
„Bei den Anschlägen ist eine dortige Moschee auch
zerstört worden. Die Stadt hat mehrfach angeboten, die wieder aufzubauen, doch da
gab es nie eine Reaktion. Das Ganze ist jetzt nur durch die Nähe des 11. September
medial aufgebauscht worden an diesem einen Projekt, das im Übrigen nicht einmal in
Sichtweite der beiden Türme liegt.“
In den Medien wurde aus dem muslimischen
Kulturzentrum, in dem neben einer Moschee auch ein Kindergarten, Schwimmbad, Theater
etc. untergebracht sind, schnell „die Moschee auf Ground Zero“. Die Betroffenheit
der muslimischen Gemeinschaft von New York über die Anschläge sei dagegen kaum wahrgenommen
worden:
„Bei der offiziellen Gedenkfeier in New York hat der Chairman der
muslimischen Organisation in Amerika zusammen mit vier Vorsitzenden anderer Regionen
die terroristischen Angriffe stark verurteilt und um Kooperation mit den christlichen
Kirchen zur Wahrung von Frieden und Gerechtigkeit aufgerufen – das ist einfach untergegangen!“
40 Prozent der Amerikaner hätten Vorbehalte gegen Muslime, und zwar aus
Angst vor Terrorismus, berichtet der USA-Experte mit Bezug auf aktuelle Studien. Immerhin
sehe ein Drittel der US-Bürger die Muslime mit Wohlwollen und wolle, dass sie sich
„wohlfühlen“. Aber: In der aktuellen Diskussion um das muslimische Kulturzentrum lehne
die Mehrheit der Amerikaner einen Moscheebau ab. Präsident Barack Obama hatte sich
für den Bau ausgesprochen und damit die Religionsfreiheit hochgehalten. Die katholische
Kirche trat in der Diskussion bisher als Vermittler auf, so Oertel:
„Und
deshalb hat sich auch Kardinal Egen dazu bereit erklärt, an einem Gespräch über eine
Lösung zum Moscheebau teilzunehmen.“
Die US-amerikanische Bischofskonferenz
habe guten Kontakt zur den vier islamischen Gruppierungen in der Staatengemeinschaft.
Im Laufe der letzten zehn Jahre hätten sich immer wieder Zusammenarbeiten ergeben,
und zwar ganz praxisorientiert, erzählt der USA-Kenner. Warum gerade die katholische
Kirche zu den Muslimen einen guten Draht hat, erklärt sich für Oertel aus der schweren
Geschichte der Katholiken in den USA. Auch sie waren in der Vergangenheit Misstrauen
ausgesetzt – Oertel denkt an das 18. und 19. Jahrhundert:
„Auch damals
sind katholische Kirchen zerstört worden, Ordenshäuser, Schulen. Denken wir an den
Ku-Klux-Klan oder an die Liga gegen Unamerikanismus, die sehr stark die katholische
Kirche bekämpft haben. Das ist ja seit Kennedy vorbei. Jetzt stehen die Muslime im
Blickpunkt vieler, die fürchten, dass sie die amerikanische Demokratie angreifen wollen.“
Katholiken
wurden vor allem aufgrund ihrer Verbundenheit mit dem Papst abgelehnt. Der Pontifex
wurde in den Vereinigten Staaten, in denen Kirche und Staat von Anfang an säuberlich
getrennt wurden, als Macht „von außen“ wahrgenommen. Zumindest bis zur Wahl J. F.
Kennedys zum Präsidenten – er war der erste Katholik an der Spitze der Staatengemeinschaft.
„Bedrohlich waren vor allem Katholiken – die katholischen Iren, Italiener
– weil den Katholiken unterstellt wurde, sie können keine guten Demokraten sein. Sie
können nicht unabhängig vom Papst sein, sie wären also Papstanhänger. Das ging sogar
so weit, dass in Kämpfen um die Präsidentschaft den Katholiken vorgeworfen wurde,
sie wollten die amerikanische Demokratie untergraben und eine Art päpstliches Regime
einführen.“
Der historische Vorwurf an Katholiken und jetzt Muslime, die
amerikanische Demokratie zu gefährden, schweiße die beiden Glaubensgemeinschaften
also besonders zusammen, erklärt Oertel. Das sei freilich eine andere Ausgangssituation
als in Europa, wo der Islam primär als Konkurrenz zum „christlichen Abendland“ wahrgenommen
würde.
„Während viele Europäer das Vordringen des Islam als bedrohlich
für die christliche Kultur ansehen, fühlen viele Amerikaner durch die Moslems ihre
Demokratie bedroht. Unterschiedlich ist auch die Frage der Integration der Muslime.
Fast alle Einwanderer in Amerika wollen dort Amerikaner werden, während Muslime in
europäischen Ländern eigentlich ihre Religionskultur und ihr Leben bis hin zur eigenen
Gesetzgebung beibehalten wollen.“
Ground Zero bleibt eine offene Wunde
im Herzen der Amerikaner. Sie stellt die Frage nach der Religionsfreiheit in den USA
erneut auf den Prüfstand.