„Wir haben
unseren Kampf für die Unabhängigkeit gewonnen“, beginnt Patrice Lumumba, erster
Ministerpräsident des unabhängigen Kongo, seine Festrede zum Unabhängigkeitstag.
„Ich grüße Sie im Namen der kongolesischen Regierung. Ich bitte euch alle, meine Freunde,
die mit auf unserer Seite ohne Atempause gekämpft haben, diesen 30. Juni 1960 zu einem
glänzenden Tag zu machen, der für immer in unseren Herzen bleibt, von dem wir unseren
Kindern und Kindeskindern erzählen.“ 17 afrikanische Länder feiern in diesem
Sommer 50 Jahre Unabhängigkeit. Zwar versuchten die europäischen Kolonialmächte noch
lange, ihre nach dem zweiten Weltkrieg brüchig gewordenen Kolonialimperien zu retten
- allen voran Frankreich unter Ministerpräsident General de Gaulle: Wirtschaftliche
Unterstützung durch Zusammenschluss der französischen Kolonien in einer „Communauté
française“ und die Hoffnung auf die französische Staatsbürgerschaft sollte den zwölf
französischen Kolonien ihren Verbleib unter den Fittichen der Grande Nation schmackhaft
machen. Doch die Antwort Afrikas war klar: „Wir ziehen die Armut in Freiheit dem Reichtum
in Sklaverei vor“, kommentierte Guineas Präsident Ahmed Sélou Touré den Vorschlag
de Gaulles. So endete vor 50 Jahren, was Mitte des 19. Jahrhunderts begann und als
„Aufteilung der Welt“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Guinea war der erste
Staat in einer Welle von Loslösungen von den europäischen Kolonialherren, es folgten
u.a. die DR Kongo, Somalia, Nigeria und die Elfenbeinküste. Aber wenn man heute in
diese Länder schaut, gibt es dann einen Grund zu feiern? Das fragten wir den Abteilungsleiter
Ausland des katholischen Hilfswerkes missio, Frank Kraus.
„Mit Sicherheit
gibt es etwas zu feiern. Die Kolonialgeschichte ist auch nicht gerade eine Erfolgsgeschichte,
und die Unabhängigkeit von den Kolonialmächten ist ein erster Schritt gewesen, der
mit Sicherheit manchmal nicht glücklich vollzogen wurde, aber insgesamt kann man schon
feiern, dass sich in diesen Ländern bezüglich der Menschenrechte sehr viel verbessert
hat. Bestimmt haben sich nicht alle Hoffnungen erfüllt, aber man sollte die Zeit der
Kolonialmächte nicht als erfolgreich-romantische Zeit ansehen, auch da gab es große
Armut, es gab keine Freiheit für die meisten Afrikaner, insofern ist zumindest das
Potential geschaffen worden. Leider ist in den Jahrzehnten des kalten Krieges von
den westlichen Mächten viel Schindluder getrieben worden, sodass einige Länder es
leider nicht geschafft haben, in Frieden und Stabilität zu leben.“ Es ist
trauriges Bild, das viele der ehemaligen Kolonien abgeben: In der DR Kongo herrscht
zur Zeit der blutigste Konflikt auf dem Kontinent, Somalia gilt heute als gefährlichstes
Land der Welt, auch in Guinea wechselten sich verschiedene Militärdiktaturen ab und
wirtschafteten das Land zugrunde. Sind also alle Hoffungen und Visionen, die die Väter
der Unabhängigkeit hatten, enttäuscht worden? Kommt Afrika nie aus dem Kreislauf der
Gewalt heraus? „Kann“ Afrika überhaupt Demokratie?
„Für Europa sieht es
so aus, als ob sich nichts verändert“, meint der Afrika-Fachmann von Radio Vatikan,
Moisé Malumbu, „auch weil viele europäische Regierungen weiter Afrika beherrschen
wollen. Das ist das, was wir als Neokolonialismus kennen. Für sie wäre es gut, wenn
sich nichts veränderte…Aber es ist nicht so, Afrika verändert sich, und zwar sehr
schnell. Wenn man auf die letzten Jahre schaut, dann sieht es so aus, als ob Afrika
wenig vorangekommen sei, aber Afrika ist weit vorangekommen, vor allem, wenn man betrachtet,
wo Afrika herkommt.“
Es gebe durchaus erfolgreiche demokratische Staaten,
meint auch Frank Kraus von missio, etwa Südafrika. Demokratie brauche allerdings immer
Zeit, um sich durchzusetzen. Das Problem ist immer noch: Als die Europäer Afrika in
Besitz nahmen, haben sie alle bestehenden Herrschaftsstrukturen aufgelöst, Grenzen
willkürlich gezogen und so Konflikte geschürt. Blickt man z.B. nach Nigeria, ein weiteres
der Jubiläumsländer, so haben die Konflikte vor allem eine religiöse Dimension: Im
Norden des Landes herrscht die islamische Scharia, der Süden ist christlich.
„Meiner
Einschätzung nach sind viele afrikanische Staaten und viele Afrikaner auf der Suche
nach Identität. Und natürlich gehört Religion dann mit zur eigenen Identität. Dass
die religiösen Konflikte sehr häufig auch soziale oder ethnische Konflikte überdecken,
ist eigentlich der Hauptgrund, warum sie, wenn sie wirklich gewaltsam werden, eine
große Rolle spielen, gerade im Norden Nigerias. Die Suche nach dem richtigen System
– Scharia oder nicht Scharia, ist eine schwierige Frage, die sich ja nicht nur in
Afrika, sondern auch im ganzen Nahen Osten stellt. Der Weg ist noch nicht zu Ende,
sondern braucht eine Entwicklungszeit. Auf jeden Fall gilt für den Norden Nigerias,
dass eigentlich ethnische Konflikte der Hauptgrund sind. Das Problem ist dabei, dass
die Religionszugehörigkeit an den ethnischen Grenzen entlangläuft und dadurch natürlich
Religion und ethnischer Konflikt vermischt sind.“ Skrupellose Machthaber nutzten
diese ethnischen-religiösen Konflikte aus, meint Malumbu:
„Sie kommen vor
allem von außerhalb. Wenn man vom Islam spricht, es gibt immer diesen radikalen Teil.
Natürlich ist nicht der ganze Islam aggressiv, aber es gibt immer Radikale, die anderen
keine Möglichkeit geben, sich zu anderen Religionen zu bekennen. So missbrauchen
sie ihre Macht. Es gibt immer welche, die die Situation ausnutzen, auch deswegen wird
Afrika zu einem Schauplatz religiöser Konflikte.“ Missio setzt genau da an:
Um Demagogen den Nährboden zu entziehen, setzt das Hilfswerk auf den Dialog, auf ein
Verstehen der Andersartigkeit, um jahrhundertealte Vorurteile zu überwinden. Gemeinsam
mit muslimischen Partnern vor Ort arbeitet missio daran, Toleranz zu lehren. Man brauche
aber Geduld, erzählt Frank Kraus:
„Von Europa aus gibt es vielleicht eine
gewisse Resignation, weil man sich schnelle Erfolge wünscht. Das allerdings halte
ich für unrealistisch. Kontinuierliche Hilfe, kontinuierliche Arbeit mit den Partnern,
Hilfe bei Überwindung von wirtschaftlich Benachteiligungen hin zur Aufklärung über
Vorurteile, damit man über die ethnisch-religiösen Grenzen hinwegkommt – das ist eine
langwierige Arbeit. Und da, glaube ich, kann Afrika trotz all seiner Probleme durchaus
auf das Wachstum der letzten zehn Jahre verweisen, denn den meisten Ländern Afrikas
geht es heute etwas besser. Es geht ihnen immer noch nicht gut genug, aber etwas besser,
es gibt doch ein deutlicheres Ringen um eine ausgewogenere Verfassung, um eine ausgewogenere
Beteiligung aller Gruppen an der Regierungt.“ Offiziell ist ein Großteil Afrikas
seit 50 Jahren unabhängig. Die Einflussnahme geht aber auf anderen Kanälen weiter,
neben den „klassischen“ Mächten ist es seit einigen Jahren China, das Engagement in
Afrika zeigt. Wieder das traurige Beispiel der DR Kongo: Es gibt wohl keinen G8-Staat,
der nicht – wenigstens indirekt – vom Krieg um Bodenschätze und Edelmetalle im Ostkongo
profitiert. Der unstillbare Hunger nach Technik, die Schleuderpreise von Computern
und Handys auf dem Weltmarkt – sie führen zurück in den Ostkongo, zu den Warlords
und Kindersoldaten, zu Zwangsarbeit und brennenden Müllbergen aus Elektronikschrott.
Das macht wütend, so der missio-Helfer:
„Das ist eher die traurige Rolle
der G8 und eventuell der G20, die sich noch nicht nachhaltig dafür eingesetzt haben,
dass man es ähnlich wie bei Diamanten schafft, eine lückenlose Kontrolle aufrechtzuerhalten:
Woher stammen diese wichtigen Mineralien, und kommen sie aus sauberen und nicht aus
Kriegskanälen. Aber dazu hat sich die G8 noch in keiner Weise durchgerungen.“ Natürlich
muss den Menschen wirtschaftlich geholfen werden. Als Christ aber muss man mehr tun,
fordert Kraus:
„Christliche Hilfswerke haben auch immer den Auftrag, Frieden,
eine frohe Botschaft, eine Botschaft der Hoffnung mitzubringen, die aufeinander Zugehen
beinhaltet. Wir als christliches Hilfswerk können weniger wirtschaftliche Infrastruktur
schaffen, aber was auch wesentlich ist und in der Vergangenheit öfter vernachlässigt
wurde, ist, dass man nicht nur eine Straße bauen muss, man muss den Menschen mitnehmen.
Der Mensch muss eine Identität finden, er muss seine eigene Vision finden, auf einem
christlichen Fundament, oder zumindest auf einem Fundament der Menschenrechte.“ Vor
allem könnten christliche Hilfswerke etwas leisten, was andere nicht leisten können,
meint auch Malumbu:
„Die wichtigste Botschaft ist der Frieden. Wo kein Frieden
ist, gibt es keine Entwicklung. Für den Frieden braucht es Gerechtigkeit. Woher kommt
Gerechtigkeit? Durch Evangelisierung. Die Christen und die christlichen Kirchen glauben
an das Evangelium Jesu Christi, das Fundament des christlichen Evangeliums ist der
Frieden, der zusammen mit der Gerechtigkeit Fundament der Entwicklung ist.“ (rv
23.08.2010 tb)