Afghanistan: Die meisten Opfer sind Frauen und Kinder
Die meisten Opfer
des Krieges in Afghanistan sind Frauen und Kinder. Das geht aus einem neuen UNO-Bericht
hervor. In den ersten sechs Monaten 2010 sind über 1.200 Afghanen gewaltsam ums Leben
gekommen: Das ist ein Anstieg um ein Viertel um Vergleich zum gleichen Zeitraum im
Vorjahr. Der Schwede Staffan de Mistura ist seit März UNO-Sondergesandter in Afghanistan.
Er sagt im Gespräch mit uns:
„Es ist schwindelerregend zu sehen, wie dieser
Konflikt immer mehr zivile Todesopfer fordert. Wir sprechen von 3.268 getöteten oder
verletzten Zivilisten im letzten halben Jahr. 71 Prozent von ihnen wurden von den
Taliban verletzt oder aber umgebracht. Dass die meisten Opfer Frauen und Kinder sind
– mit diesem Befund hatten wir nicht gerechnet. In den letzten sechs Monaten gab es
55 Prozent mehr getötete oder verletzte Kinder – meist ging das auf das Konto der
Taliban, aber in einigen Fällen auch auf das der Nato-Luftangriffe. Man muss sagen,
dass die Nato wirklich viel tut, um die so genannten Kollateralschäden einzudämmen.
Die Zahl der Opfer von Luftschlägen ist um ca. 64 Prozent gesunken. Das zeigt, dass
unser Druck und der Druck der öffentlichen Meinung Wirkung gezeigt hat.“
Aber
warum richtet sich der Taliban-Terror immer mehr gegen die afghanische Zivilbevölkerung?
Haben die Extremisten ihre Strategie geändert?
„Es gibt verschiedene Analysen
dazu. Wahrscheinlich wollen die Aufständischen, darunter vor allem die Taliban, der
afghanischen Bevölkerung und der internationalen öffentlichen Meinung indirekt eine
Botschaft zukommen lassen: Auch wenn Nato und reguläre afghanische Truppen den Druck
auf die Taliban erhöhen (etwa indem bis zu 100.000 neue Soldaten aus dem Ausland hier
ankommen), wollen sie mit spektakulären Aktionen zeigen, dass sie das Land in der
Hand haben. Das sind isolierte, aber erschreckende Terrorakte.“
In diesen
Zusammenhang zeichnet der UNO-Sondergesandte auch die Ermordung von acht christlichen
Ärzten in Afghanistan am letzten Wochenende ein. Unter den Getöteten ist auch eine
Deutsche.
„Das war eine kaltblütige Hinrichtung von Ärzten, die eine vorbildliche
Arbeit leisteten: Einer von ihnen war der Vater einer Kollegin von mir. Er war seit
dreißig Jahren hier im Land und führte bei Menschen, die zu erblinden drohten, Augenoperationen
durch; oft ritt er auf einem Maultier, um die Dörfer zu erreichen. Das hat die Taliban
nicht davon abgehalten, ihn zu erschiessen. Sie scheinen derzeit wirklich eine Tendenz
zu haben, die Leute mit Terrorakten zu schockieren...“
Staffan de Mistura
ist Nachfolger des umstrittenen norwegischen Diplomaten Kai Eide in Kabul. Er arbeitet
seit fast vierzig Jahren bei der UNO, u.a. leitete er bis vor kurzem das Büro der
Vereinten Nationen im Irak.