Die Ärzte, die am
Wochenende im Nordosten Afghanistans überfallen und getötet wurden, mußten sterben,
weil sie Christen waren – das sagt Kurienerzbischof Rino Fisichella zu den Taliban-Morden
an den Mitgliedern eines internationalen christlichen Hilfsverbands. Die acht Toten
stammten aus dem Westen, unter ihnen war auch eine Deutsche. Von einem „abscheulichen
Akt brutaler Gewalt“ spricht US-Außenministerin Hillary Clinton.
„Dieses
Massaker passt zur Logik von Gruppen, die mit den Taliban und al-Quaida zu tun haben“,
sagt der italienische Politiker Mario Mauro, OSZE-Beauftragter gegen Rassismus und
Mitglied des Europaparlaments. „Bei diesen Hinrichtungen wird deutlich, dass Westen
und Christentum gleichgesetzt und bekämpft werden. Ziel dieser extremistischen Gruppen
ist es, in mehreren Ländern an die Macht zu kommen, darunter in Afghanistan.“
Mauro
sieht hinter den Morden auch eine Botschaft an das krisengeschüttelte Pakistan. Dort
sei jetzt gerade ein harter Machtkampf im Gang: „Einige wollen verhindern, dass
Pakistan vollwertiges Mitglied der internationalen Gemeinschaft wird und dann gegen
Gruppen vorgeht, die wichtige Teile seines staatlichen Territoriums kontrollieren.
Hier spielt auch der pakistanische Konflikt mit Indien hinein; die internationale
Gemeinschaft müsste jetzt rechtzeitig Verhandlungen zwischen Pakistan und Indien in
Gang bringen, damit das nicht in den nächsten Jahren das Schlüsselproblem für die
ganze Welt wird.“
Und drittens gebe es derzeit tatsächlich eine Art „Hasskampagne“
gegen das Christentum in Ländern wie Afghanistan oder Pakistan, glaubt Mauro:
„Und
das kann leider Einfluß auf die Bevölkerung und auf eigentlich nicht politisch interessierte
Personen gewinnen – die Vorstellung, dass es einen Krieg gegen das Christentum zu
kämpfen gelte, einen Kreuzzug gegen die Kreuzzügler. Gegen diese perverse Propaganda
müssen sich vor allem die Kirchen engagieren: Sie müssen begreiflich machen, dass
der Dialog zwischen den Religionen und Kulturen das eine ist, die politische Debatte
hingegen etwas anderes. In Sachen Politik zeigt der Fundamentalismus sein wahres Gesicht:
ein Machtprojekt, das den Namen Gottes für die eigenen Ziele mißbraucht.“
Der
Politiker hat gerade ein Buch über Christenverfolgungen unserer Zeit herausgegeben
– darin betont er, am schwierigsten hätten Christen es heute in Nordkorea. Doch auf
der Liste der fünfzig schlimmsten Verfolgerländer seien 35 Länder mit islamischer
Prägung.
„Das ist eine Tatsache, an der wir nicht vorbeisehen dürfen. Wer
für diese Länder Religionsfreiheit fordert, der rührt an die dortige Machtbalance:
Schließlich ist in fast allen diesen Ländern seit ihrer Unabhängigkeit immer dieselbe
Familie oder dasselbe Regime an der Macht. Wenn man dann in diesen Ländern, in denen
außerdem Religion und Politik gleichgesetzt werden, „im Namen Gottes“ spricht, hat
man in Sachen Macht einen klaren Vorteil. Darum sagt die katholische Kirche mit Recht,
dass die Garantie von Religionsfreiheit viel mehr als das ist – nämlich die Garantie
von Freiheit überhaupt. Genau besehen ist Religionsfreiheit die andere Seite der Medaille
aller anderen Freiheiten.“ Die Leichen der sechs US-Amerikaner, zwei Afghanen,
einer Deutschen und einer Engländerin waren am 5. August im Nordwesten Afghanistans
entdeckt worden. Die radikal-islamischen Taliban bekannten sich zu dem Anschlag. Von
einer „sinnlosen Gräueltat“ spricht der Internationale Direktor der „Weltweiten Evangelischen
Allianz“, Geoff Tunnicliffe. Opfer seien nicht nur die Getöteten, sondern unter der
blutigen Gewalt litten auch die Ärmsten der Armen, wenn Einsätze ehrenamtlich tätiger
Mediziner verhindert würden. Die Allianz repräsentiert 420 Millionen Evangelikale
in 128 Ländern. Die Organisation der Ermordeten, die „International Assistance Mission“
(IAM), ist seit 44 Jahren in Afghanistan tätig. Das mobile IAM-Ärzteteam hatte
im Parun-Tal (Provinz Nuristan) vor allem Mütter und Kinder allgemeinmedizinisch sowie
zahn- und augenmedizinisch untersucht und behandelt. Dort leben etwa 50.000 Menschen
ohne ausreichende Gesundheitsversorgung. Die Entwicklungshelfer waren auf dem Rückweg
durch die Provinz Badachschan. Taliban-Sprecher Zabiuzllah Mujahid sagte, die Helfer
hätten sterben müssen, weil sie Spione und christliche Missionare gewesen seien. Man
habe bei ihnen eine Bibel in der Sprache Dari gefunden. Der IAM-Direktor wies die
Behauptung, dass die Ermordeten Missionare gewesen seien, als „Lüge“ zurück. „Wir
predigen nicht das Christentum, wir verteilen keine Bibeln. Das ist nicht unsere Arbeit,
auf die wir uns mit der Regierung geeinigt haben“, sagte Frans am 8. August in Kabul.
Die IAM sei staatlich anerkannt; auch der jüngste Einsatz sei genehmigt gewesen.
Die Organisation wolle ihre Arbeit trotz des Anschlags fortsetzen. Sie betreibt Augenkliniken
in mehreren Städten Afghanistans und leistet auch in anderen Bereichen humanitäre
Hilfe. Das Hilfswerk ist eine Partnerorganisation der Christoffel-Blindenmission
(CBM/Bensheim). Deren Sprecher Wolfgang Jochum erklärte im Blick auf die CBM-Projekte
in Afghanistan: „Ich gehe davon aus, dass die Einsätze erst mal gestoppt werden.“
Insgesamt sind in Afghanistan in diesem Jahr nach Angaben der afghanischen Sicherheitsbehörde
für Nicht-Regierungs-Organisationen 17 Entwicklungshelfer getötet und weitere 19 entführt
worden. Von den 28,4 Millionen Einwohnern Afghanistans sind 99,9 Prozent Muslime.
Hinzu kommen etwa 15.000 Hindus und wenige Sikhs, deren Religionen staatlich anerkannt
sind. Über die Zahl der Christen ist nichts bekannt. (rv/idea 10.08.2010 sk)