Salzburger Hochschulwochen: Von Endzeiterwartungen im Mittelalter bis zu den Innovationen
der Zukunft - Veranstaltung zum Thema "Endlich! Leben und Überleben"
Ungewisse Zukunftsaussichten und Endzeitvorstellungen haben neben manchen zweifelhaften
Prognosemethoden immer auch schon zu seriösen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen
geführt. Unter dem Generalthema "Endlich! Leben und Überleben" haben die "Salzburger
Hochschulwochen 2010" August die wissenschaftliche Produktionskraft einer unbekannten
Zukunft beleuchtet.
Einen Blick auf Zukunftsprognosen des Mittelalters warf
dabei der Historiker Johannes Fried, emerierter Professor in Frankfurt am Main.
Diese hätten unter sehr akuten Endzeiterwartungen gestanden. Ausgehend von den apokalyptischen
Prophezeiungen der Bibel, die "zunächst für bare Münze genommen wurden", habe man
damals versucht, die Zeichen der Zeit zu deuten: "Jesus hatte sie in seinen Abschiedworten
bei Namen genannt. Ihre Zahl schwoll an, und das war Verheißung eines baldigen Endes.
Immer aufs Neue sollten die Gläubigen des drohenden Untergangs gedenken", so Fried.
Die christliche Vorstellung, dass die Welt nicht nur einen Anfang hat, "sondern
auch ein Ende haben" müsse, sei zum "Interpretament der Naturwahrnehmung und der Geschichte"
geworden. Sie grub sich tief ins kollektive Bewusstsein ein, sagt Fried: "Die Erwartung,
ein sozialer Habitus, verfestigt sich tief im kulturellen Gedächtnis, wo er bis heute
sich rührt. Keine Unwetter, keine Flut, kein Beben, kein aus den Tiefen des Meeres
hervorquellendes Öl, kein Hagelschlag, kein Gewittersturm, die nicht als möglicher
Weltuntergang interpretiert werden können."
Die Vorstellung vom nahen Ende
der Welt habe im Mittelalter eine intensive Frömmigkeitspraxis nach sich gezogen.
Sie hatte aber auch enorme Impulse für die Wissenschaften, die, wenn auch in säkularisierter
Gestalt, noch immer wirksam seien, so Fried: "Es war der Himmel, der die Erkenntniskräfte
herausforderte, der Sonnen- und Mondlauf, die Sterne, die Zeit und der Kalender. Ihre
Ordnung galt es zu kennen."
Basis moderner Wissenschaften Gerade
das erwartete nahe Ende forderte zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen heraus,
mit denen seine Zeichen genauer gedeutet werden könnten: "Die Gelehrten und andere
interpretierten, was sie wahrnahmen, als Zeichen der Natur, als Warnungen Gottes.
Aufmerksam registrierten sie dieselben, auch wenn sie deren Bedeutung nicht ohne Weiteres
entzifferten. Es verlangte ein geduldiges Hinsehen und Hinhören und Nachsinnen", sagte
Fried.
Der Versuch, einer unbekannten, aber als erschreckend vorgestellten
Endzeit Herr zu werden, sei so zur Basis der Entwicklung moderner Wissenschaft geworden.
Ihr Erkenntnisfortschritt untergrub laut Fried jedoch die Autorität der Bibel: "Die
Wissenschaft machte sich auf den Weg zur Entmythologisierung bisheriger Glaubensinhalte.
Solches Wissen schob nicht nur die Endzeit auf unabsehbare Zeit hinaus, sondern kratzte
an der Wahrheit des Gotteswortes."
Mit den Jahrhunderten schritt die Säkularisierung
der Wissenschaften immer weiter voran, doch damit, so Fried, seien die Endzeiterwartungen
des Mittelalters auch heute noch nicht Geschichte: "Umfrageergebnisse verdeutlichen
zur Genüge, dass sich die Aufklärung mit ihrer Destruktion apokalyptischer Erwartungen
keineswegs allgemein durchgesetzt hat. Die Untergangsangst hat unsere westliche, christlich
geprägte, doch säkulare Gesellschaft noch immer im Griff. Die Angst hat sich nur gewandelt,
ist technischer, detaillierter, messbarer und umfassender geworden."
Innovationen
"mehr als gute Idee der Technik" An diesen Schlusspunkt des Historikers knüpfte
die Innovationsforscherin und -managerin Marion Weissenberger-Eibl mit einem
praxisnahen Ausblick auf die "Arbeits- und Lebenswelten unserer Zukunft" an. Weissenberger-Eibl
leitet das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe.
Seit mehr als 35 Jahren beschäftigt sich das ISI mit der Frage, wie die Gesellschaft
mit Innovationen umgeht und wie Innovationen von der Politik gefördert werden können.
Damit betreibt es Zukunftsforschung; es arbeitet interdisziplinär mit technischem,
wirtschaftlichem und sozialwissenschaftlichem Know-how und entwickelt wissenschaftlich
fundierte Analyse-, Bewertungs- und Prognosemethoden. Innovationen sind dabei "mehr
als eine gute Idee der Technik", sagte Weissenberger-Eibl. Sie warf eine ganzheitliche
Perspektive auf Innovationen, die die Aspekte Produkt, Service, Technik und Organisation
in den Blick nahm: "Eine Innovation greift erst dann, wenn sie sich am Markt bewährt."
Auch die Innovations- und Zukunftsforschung, so Weissenberger-Eibl, ist eng
mit dem Thema Endlichkeit verknüpft: "Wir leben in einer permanenten Abfolge von Abbrüchen
und neuen Anfängen, sowohl in unserem Privat-, als auch im Arbeitsleben." Für den
Arbeitsmarkt der Zukunft bedeute das, dass "die Erwerbsbiografien, wie wir sie noch
von unseren Eltern kennen, selten geworden sind. Heute gibt es nicht nur die Möglichkeit
zum Neuanfang, vielmehr wird er von uns erwartet." Als Innovationstreiber am künftigen
Arbeitsmarkt beschrieb Weissenberger-Eibl die Internationalisierung der Wirtschaft
und ihre vermehrte Ausrichtung auf Dienstleistungen: "Von Arbeitnehmenden wird in
Zukunft immer mehr eine Flexibilisierung erwartet werden, sowohl was die Arbeitszeit
als auch den Arbeitsort betrifft."