D: „Das Evangelium hat etwas mit dir zu tun“ – Gespräch mit Bischof Wanke (Erfurt)
Eltern kennen das:
Soll ich mein widerspenstiges Kind zwingen, am Sonntag in die Kirche zu gehen? Oder
soll ich mich auf einen Handel einlassen, nach dem Motto: Wenn du mit zur Kirche kommst,
kriegst du hinterher ein Eis? Joachim Wanke würde einem Zwölfjährigen Folgendes sagen:
„Dort
findest du deine Kameraden, dort findest du Gemeinschaft, dort lernst du Christus
kennen... Und wenn er einmal schon gute Erfahrungen gemacht hat in einer kirchlichen
Gemeinschaft, in einem Jugendverband, in der Pfarrjugend – dann ist in dieser schwierigen,
pubertären Phase die Chance gegeben, dass er dann auch hineinwächst in einen reifen
und mündigen, selbstverantworteten Glauben.“
Joachim Wanke hat allerdings
gar keine Kinder, die er überreden muss: Er ist nämlich Bischof. Und zwar in Erfurt
im mitteldeutschen Thüringen, dem Lande Luthers, Goethes und der heiligen Elisabeth.
Wanke selbst kennt die Diaspora gut: Kleine katholische Pfarreien, verstreut in einem
mehrheitlich protestantischen oder gar glaubenslosen Umfeld. Zwingen würde er ein
Kind (oder einen Heranwachsenden) nicht, sonntags mit zum Gottesdienst zu geh`n:
„In
der Religion ist Zwang nie von Segen begleitet. Es gibt natürlich ein Hinführen zu
guten Gewohnheiten, so ähnlich wie man auch Höflichkeit lernt und bestimmte Tischsitten
– das will ich durchaus zugestehen. Aber man muss werben mit den guten Erfahrungen,
die man machen kann. Und da ist für junge Menschen ohne Zweifel der Gemeinschaftsaspekt
wichtig und die Erfahrungen, dass man reicher wird, wenn man nicht nur viele Dinge
hat, sondern dass man einander hat.“
Bischof Wanke nennt das „Beziehungsebene“
– sie helfe einem jungen Christen dabei, seine „Glaubensentscheidung“ wachsen zu lassen.
Übrigens: Dieser Begriff „Beziehungsebene“ ist dem Bischof auch wichtig, wenn er erklärt,
wie die Kirche und das Glauben generell heute wieder attraktiv gemacht werden können.
„Man
kann heute viele Dinge kaufen (wenn man Geld hat), aber man kann sich nicht gelingende
Partnerschaften, Beziehungen, Freundschaften kaufen; oder dass man sich auf einen
anderen verlassen kann. Diese Erfahrung kann Kirche bieten in ihrer Gemeinschaft,
aber auch – das haben wir speziell auch in der DDR-Zeit erfahren – in einem viel tieferen,
größeren Sinne: dass man sich auf Gott verlassen kann und bei ihm aufgehoben ist,
im Leben und im Sterben.“
Damit diese Botschaft die Menschen von heute
wieder erreicht, muss die Kirche ihre Nabelschau beenden und wieder mehr nach vorn
schauen statt nach rückwärts. „Was wir aus der Tradition kennen und schätzen“, so
Wanke, „muss im Blick auf das Morgen aktualisiert werden“. Das Phänomen Wallfahrten
zum Beispiel. Die Leitfrage laute:
„Was trägt heute? Was sind Erfahrungen,
die uns die Gegenwart Gottes ein wenig aufleuchten lassen und auch die Bedeutung,
die Gott im eigenen Leben haben kann?“
Seit einem halben Jahr gibt es in
Erfurt eine Arbeitsstelle der Deutschen Bischofskonferenz für Missionspastoral – die
einzige Außenstelle der Bischofskonferenz in den neuen Bundesländern überhaupt. Die
Glaubensweitergabe liegt Bischof Wanke sehr am Herzen:
„Ich gebrauche das
Wort missionarisch nicht so gern, weil es heute keinen guten Klang hat, aber in der
Sache geht es in der Tat darum, den Menschen, mit denen man zu tun hat, das Evangelium
weiterzugeben. Und das soll methodisch und von der instrumentellen Begleitung her
durch diese Arbeitsstelle unterstützt werden. Ich freue mich, dass wir in Erfurt noch
vor der Weltkirche eine solche Arbeitsstelle eingerichtet haben! Jetzt gibt es ja
im Weltmaßstab ein Sekretariat für die Evangelisierung.“
Eine neue Evangelisierung
in Mittel- und Ostdeutschland – dafür hat Bischof Wanke mal den Satz geprägt: Das
Evangelium auf mitteldeutsch neuformulieren. Sowas wie: Luther auf der Wartburg, re-loaded.
„Unsere
Bevölkerung gerade hier im ehemals mitteldeutschen Raum, der früheren DDR, ist geprägt
durch zwei Diktaturen. Da sind noch Reste der alten DDR-Mentalität vorhanden – da,
meine ich, muss man anknüpfen. Die alte Herausforderung war weltanschaulich-ideologischer
Art: Glaube verdirbt das Denken, die alte marxistische Religionskritik, die noch in
den Köpfen geistert. Jetzt ist es die offene, liberale Gesellschaft, die sagt: Jeder
kann nach seiner Facon selig werden; tu, was du willst, stör bloß keinen anderen.“
In
dieser „offenen Atmosphäre“ gelte es, „neue Wege zu finden“ und „die Botschaft so
zu formulieren, dass deutlich wird: Das Evangelium hat etwas mit deinem Leben zu tun.“
Der alten Gesellschaft, also der DDR, trauert Bischof Wanke nicht hinterher: Sie war
– das sagt er ganz deutlich – eine Diktatur. „Unrechtsstaat“ will er die DDR aber
nicht so einfach nennen.
„Ohne Zweifel war es ein Staat, der auf einer unrechtmäßigen
Regierungsform beruhte: Es war keine demokratische Legitimation da. Aber auch in einem
solchen Staat muss man die Verkehrsordnung beachten und gibt es bestimmte Grundregeln.
Wir haben uns beteiligt etwa im sozialen Bereich, auch in der Versorgung der Alten
und Kranken – insofern ist das eine sehr dialektische Angelegenheit... Aber wir sind
froh, dass wir nun in einem legitimen demokratischen Rechtsstaat leben können!“
Mit
Blick auf die Missbrauchsskandale sagt Joachim Wanke, die Kirche sei immer „Teil der
Gesellschaft“: Insofern seien Schuld und Sühne „natürlich auch Wirklichkeit in unseren
eigenen Reihen“. Was die Kirche jetzt aber nicht brauche, seien hektische Reformen,
nach denen der Zeitgeist ruft – etwa in Sachen Zölibat. Dazu sagt der Erfurter Bischof:
„Meine
Position ist die der Kirche: Wir haben über tausend Jahre Erfahrungen mit der Ehelosigkeit
des Priesters gesammelt; es ist ein geistliches Zeichen. Es gehört, wie bekannt ist,
nicht notwendig zum Evangelium, aber es gibt auch andere kulturelle Zeichen, die deutlich
machen, dass Verfügbarkeit und ein Dasein für andere auch in dieser Lebensform gelingen
kann. Ich denke, es bedarf einer inneren Entschiedenheit – einer Klarheit in der eigenen
sexuellen Bestimmtheit. Dann kann auch diese Lebensform ein Zeichen sein, das für
das Evangelium spricht.“
Zu den Rufen nach einer stärkeren Rolle von Frauen
in der Kirche sagt der Bischof: „Ohne den Einsatz von Frauen und Mädchen kann Gemeindeleben
nicht gelingen. Frauen müssen mitsprechen können, mitentscheiden können, mitverantworten
können.“ Das Letzere geschehe mehr und mehr „bis in die höchsten Gremien der Diözesen
hinein“.
„Ich denke schon, dass die überhitzte Gender-Debatte, die wir im
Augenblick haben, auch wieder abklingen wird – aber es ist völlig klar, dass es eine
grundsätzliche Gleichheit von Männern und Frauen schon allein von der Taufe her in
der Kirche gibt. Das muss auch gesellschaftlich und kirchlich Ausdruck finden!“
Ein
Gespräch mit dem Erfurter Bischof Joachim Wanke.