2010-07-27 12:06:34

VR China: Seelsorge und Sinnsuche


RealAudioMP3 Handlesen nicht nur im Hinterhof – in China nimmt der Trend zur Wahrsagung zu. Nach Jahren der Verbannung mantischer Praktiken blicken die Chinesen heute immer öfter und öffentlicher in die eigene Zukunft – auch das ist religiöse Praxis und Teil einer allgemeinen Sinnsuche, erklärt der Sinologie-Professor Michael Lackner im Gespräch mit Radio Vatikan. So hätten auch etwa christliche Kirchen in der Volksrepublik immer stärkeren Zulauf.

„Zum einen fallen Kontrollen der kommunistischen Partei weg, das heißt insgesamt ist ja die Religionspolitik etwas toleranter geworden, und die Wahrsagung gehört im weitesten Sinne zu dem, was die Partei über Jahrzehnte als Aberglauben verdammte inklusive der Religion. Und zum anderen besinnen sich die Leute auf ihre seelsorgerlich-therapeutischen Wurzeln sozusagen. Und die verfassten Religionen Chinas, außer im Islam und Christentum, kennen eben keine wirkliche Seelsorge. Wir haben Ansätze dazu im Buddhismus, aber die sind wahrscheinlich von protestantischen Missionaren eingebracht worden.“

Die traditionellste und in China am stärksten verbreitete Wahrsagung ist die anhand des Geburtshoroskops, bei welcher Stunde, Monat und Jahr der Geburt bestimmte Qualitäten zugeordnet würden. Eine andere Methode ist das so genannte „Buch der Wandlungen“, das als Entscheidungshilfe dient. Es gebe aber noch viel mehr, so Chinakenner Lackner, und dies seien alles Praktiken, die China derzeit „wiederentdecke“. Was sind die tieferen Ursachen dafür?

„Es gibt natürlich eine allgemeine Sinnkrise: Die Werte der kommunistischen Partei sind Lippenbekenntnis, aber man hat nicht den Eindruck, dass die Leute noch wirklich daran glauben. Christliche Kirchen haben großen Zulauf, gar keine Frage, sie haben immer stärkeren Zulauf. Aber diese traditionellen Praktiken haben eben auch sehr starken Zulauf wie der Buddhismus natürlich auch auf seine Weise. Der Verfall der Disziplin, der oktruierten Werte von oben… Und gut, dazu kommt natürlich auch, dass die Leute insgesamt sehr unzufrieden sind mit dem reinen Konsum. Der reine Konsumismus mag sehr viele Menschen befriedigen – das ist ja auch catching up, die müssen aufholen in vielerlei Hinsicht, müssen sich Luxuswaren kaufen oder einfach auch nur Artikel zur Deckung des täglichen Bedarfes. Aber das ist jetzt so möglich, dass viele Leute schon saturiert sind. Und die brauchen dann wieder – würden wir ganz konservativ sagen – Werte.“

Es gebe auch Gerüchte, dass selbst Mao Tse Tung sich Wahrsagern bedient habe, so Lackner. Und auch die heutigen chinesischen Politiker könnten sich vom Interesse am Blick in die Zukunft nicht frei sprechen, weiß der China-Kenner.
Lackner lehrt an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und ist Leiter des internationalen Forschungsprojektes „Schicksal, Freiheit und Prognose. Bewältigungsstrategien in Ostasien und Europa".
(rv 26.07.2010 pr)








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