Experte: „Probleme des Kosovo sind heute wirtschaftlich, nicht inter-ethnisch“
Ist die einseitige
Unabhängigkeitserklärung des Kosovo aus völkerrechtlicher Perspektive gerechtfertigt?
Zu dieser Frage nimmt der Internationale Gerichtshof (IGH) an diesem Donnerstag Stellung.
Die Einschätzung der Den Haager Richter hat – egal wie sie ausfällt – für die mittlerweile
von 69 Staaten anerkannte kosovarische Unabhängigkeit keine realpolitischen Konsequenzen.
Daran erinnert Kristof Bender, leitender Analyst der „Europäischen Stabilitätsinitiative“
(Esi).
„Das Gutachten ist ja nicht rechtlich bindend. Selbst wenn der IGH
die Unabhängigkeit anzweifeln würde, gehe ich nicht davon aus, dass Länder, die den
Kosovo anerkannt haben, dies rückgängig machen würden. Es würde natürlich die Position
Serbiens moralisch stärken, aber ich glaube nicht, dass es realpolitisch zu großen
Veränderungen kommt…“
…und ebenso wenig im Alltag der Kosovo-Albaner und
Serben, meint der Beobachter. Schließlich habe sich die Sicherheitslage und politische
Situation seit 1999 deutlich verbessert. Und auch wenn es immer wieder vereinzelt
zu Konflikten zwischen den Bevölkerungsgruppen käme – Bender glaubt nicht, dass die
UNO-Einschätzung das ethnische Zusammenleben in der Region erneut auf den Prüfstand
stellt.
„Die großen Probleme im Kosovo sind eher wirtschaftliche Probleme.
Wir haben dort eine äußert schwierige Wirtschaftslage, mit extrem hoher Arbeitslosigkeit,
mit sehr vielen jungen Menschen, die auf den Arbeitsmarkt strömen, aber keine Jobs
finden. Also wenn wir von Instabilität auf mittel- oder längere Frist sprechen, dann
sehe ich eher sozialwirtschaftliches Probleme, nicht interethnische Probleme.“
Hinsichtlich
der EU-Beitrittsbemühungen der Balkan-Staaten sei der Streit um den Status des Kosovo
hinderlich, meint der Experte. Da auch die EU hinsichtlich der Kosovo-Frage gespalten
ist, stelle sich folgende Frage:
„Längerfristig stellt sich die Frage, ob
es Möglichkeiten gibt, eine Art statusneutralen Beitrittsprozess mit Kosovo zu initiieren.
Drei, vier der Länder, die Kosovo nicht anerkennen, sind ja an sich Länder, die erweiterungsfreundlich
sind, die ein Interesse an Prosperität und Stabilität am Balkan haben. Es liegt nicht
im Interesse dieser Länder, ein isoliertes Ghetto am Balkan aufzubauen, wo die EU,
wenn wir nichts anbieten, weiter an Einfluss verlieren wird und wo wir wenig in der
Hand haben, um Reformen und Wirtschaftsentwicklung anzustreben. Weil es im Interesse
dieser Länder ist, die Kosovo nicht anerkennen, könnte man sich vorstellen, dass sich
da in diese Richtung irgendwann einmal etwas tun wird.“
Anders als die
meisten großen EU-Länder erkennen Spanien, Rumänien und Zypern den Kosovo nicht als
unabhängigen Staat an. Sie stimmen darin mit Serbien, China, Russland und dem Vatikan
überein. Auch die serbisch-orthodoxe Kirche erkennt die deklarierte Unabhängigkeit
nicht an, spricht aber von einer Fortsetzung des interreligiösen Dialoges. Bender
sieht hier Potential für die Zukunft:
„Ich glaube in der serbisch-orthodoxen
Kirche gibt es viele Kräfte, die immer für Toleranz und das Miteinader eingetreten
sind, obwohl es natürlich auch gegenteilige Kräfte gab und man kein pauschales Bild
abgeben kann. Aber ich denke sicher, dass auf lokalem Niveau und auf Basis der Glaubensgemeinschaften
Dialog eine Rolle spielt und weiter spielen wird.“
In der seit 1999
bestehenden „Europäischen Stabilitätsinitiative“ haben sich Südosteuropa-Experten
zusammengeschlossen, die politischen Entscheidungsträgern mit praxisorientierten Analysen
beratend zur Seite stehen.