Dem. Rep. Kongo: „Selbstbedienungsladen“ im Herzen Afrikas
Am 30. Juni 2010 beging
der Kongo den 50. Jahrestag seiner Unabhängigkeit. Zu den pompösen Festlichkeiten
war sogar der König Albert II. in die ehemalige belgische Kolonie gereist. Viel zu
feiern hat das afrikanische Land jedoch nicht, unterstreicht Cornelia Füllkrug-Weitzel.
Sie ist Direktorin der Diakonie Katastrophenhilfe und soeben von einer zweiwöchigen
Reise durch den Ostkongo zurückgekehrt, wo die Pfarrerin Hilfsprojekte der Diakonie
und von Brot für die Welt besuchte. Im Interview mit Radio Vatikan schildert sie ihre
Eindrücke:
„Wir haben dort erfahren, dass es zwar keine kriegerische Gewalt
mehr gibt, aber dass das Maß an alltäglicher Gewalt extrem hoch ist. Es gibt außerdem
nach wie vor 1,5 Millionen Binnenvertriebene im Ostkongo, die keinerlei Unterstützung
haben staatlicherseits, die also darauf angewiesen sind, dass die Bevölkerung ihnen
hilft. Und die steht selbst täglich unter einem hohen Maß an Terror, weil sie von
Vergewaltigungen, Soldaten und Rebellen bedroht werden.“
Die Grenzregion
zu den Nachbarländern Sudan, Uganda und Ruanda kommt nicht zur Ruhe. Nach Ende des
Kongokrieges 2003 blüht dort der internationale Waffenhandel weiter. Ethnisch instrumentalisierte
und wirtschaftliche Konflikte brechen im Ostkongo immer wieder auf. Füllkrug-Weitzel:
„Zum einen sind nach wie vor die Hutu-Rebellen aus Ruanda aktiv auf ostkongolesischem
Gebiet. Weiter ist an der Grenze die ugandische Lord Resistance Army aktiv. Es haben
sich inzwischen auch viele Trittbrett fahrende Banden, ich sage mal „ganz normale
Kriminelle“, zusammengetan. Es sind die Soldaten und Milizen, die die Bevölkerung
terrorisieren, weil sie selber keinen Lohn haben und sich nur mit dem über Wasser
halten, was sie der Bevölkerung wegreißen. Das gilt auch für die Rebellen.“
Angesichts
dieser anarchischen Zustände müsse schnellstens für Recht und Ordnung gesorgt werden,
so Füllkrug-Weitzel, wenn nicht von Staatsseite, dann mit Hilfe der internationalen
Gemeinschaft. Ein großes Problem sei jedoch, dass selbst die Exekutive – also Militärs
und Polizei – die Bevölkerung beraubten oder sie gar terrorisierten statt sie zu schützen.
„Nicht
nur die fremden Rebellengruppen, sondern auch die eigenen Militärs vergewaltigen im
Ostkongo Frauen im massiven Umfang. Man geht davon aus, dass 60-70 Prozent aller Frauen
zwischen 10 und 90 Jahren mindestens einmal oder mehrmals in den vergangenen Jahren
vergewaltigt worden sind, entweder von Militärs und Soldaten oder von Rebellen! Solange
das nicht geahndet wird mit aller Entschiedenheit, wird sich daran auch wenig ändern.“
Für
die Befriedung der Region seien nicht nur humanitäre, sondern auch finanzielle Hilfen
unerlässlich. Das gesamte Rechtssystem des Landes müsse neu „befähigt“ werden:
„Entscheidend
ist, dass die Polizei und das Militär einen regulären Lohn bekommen. Wenn sie keinen
Pfennig sehen, obwohl sie den ganzen Tag im Einsatz sind, fallen sie über die Felder
und Viehbestände her, und diese Lösung nimmt die Regierung billigend in Kauf. Sie
bereichern sich gnadenlos auf Kosten der Bevölkerung.“
Der Kongo werde
aber auch von ganz anderer Seite ausgebeutet, erinnert die Direktorin der Diakonie
Katastrophenhilfe. Das Land sei reich an Rohstoffen und Bodenschätzen; ob Tropenholz,
Gold und Diamanten oder Mineralien – die Schätze des Kongo zögen nicht nur afrikanische
Interessenten an:
„Wir profitieren alle mit großer Freude an den Ressourcen
des Kongo, ohne Geld im Land lassen zu wollen. Dazu ist ja die Gewalt so „schön“ –
da muss man keine Regeln finden, wie zumindest ein Teil der Einkünfte im Land bleiben
kann. Auch europäische Firmen sind in massivem Umfang am Waldeinschlag im Kongo beteiligt.
Hier wird behauptet, das würde alles nach guten Regeln geschehen. Wenn man aber vor
Ort ist, hört und sieht man ganz und gar das Gegenteil. Solange das nicht klappt,
solange wir das Land nach wie vor als großen Selbstbedienungsladen betrachten, solange
die Regierung Teil dieser Selbstbedienung ist und noch dazu ermuntert wird statt Verantwortung
für das Gemeinwohl zu übernehmen, ist es natürlich sehr schwierig.“
Die
Diakonie Katastrophenhilfe und das Hilfswerk Brot für die Welt setzen sich im Ostkongo
vor allem für die Binnenflüchtlinge ein. Davon gibt es rund 1,5 Millionen bei einer
Gesamtbevölkerung von 6,5 Millionen. Sie werden, genau wie die lokale Landbevölkerung,
mit Decken, Töpfen, Saatgut und Anbauhilfen für die Landwirtschaft versorgt. Ein weiterer
Schwerpunkt der Hilfswerke ist die psychosoziale und medizinische Betreuung vergewaltigter
Frauen.