Was ist Leben und
wann beginnt es? Das war die Grundsatzfrage beim Bundesgerichtshof. Am Dienstag erging
dort das Urteil zur so genannten Präimplantationsdiagnostik (PID). Konkret: Dürfen
bei künstlichen Befruchtungen die Embryonen vor dem Einsetzen in die Gebärmutter auf
genetische Fehler untersucht werden? Der BGH entschied: sie dürfen. Damit ist der
Weg frei für die PID.
Im europäischen Vergleich hat Deutschland
seit 1991 ein strenges Embryonenschutzgesetz. Demnach ist jede künstliche Befruchtung,
die nicht auf die Herbeiführung einer Schwangerschaft abzielt, verboten. Von der PID
ist in dem Gesetzestext aber nicht explizit die Rede. Das Urteil geht auf die Selbstanzeige
eines Berliner Gynäkologen zurück. Der Arzt hatte die PID angewendet und wollte mit
seiner Selbstanzeige eine Klärung der Rechtslage erreichen. Der Moraltheologe Peter
Schallenberg erläutert, warum das Urteil zwar ethisch gesehen eine Katastrophe ist,
aber nicht dem bestehendem Gesetz widerspricht.
„Wenn
man genau hinguckt, hat der Mediziner in der Tat eine Eizelle künstlich befruchtet,
um eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, aber er hat danach die Präimplantationsdiagnostik
durchgeführt. Und von der ist eben weder im Paragraph 1, noch im Paragraph 2 des Embryonenschutzgesetzes
die Rede.“
Auf dieser Lücke im Gesetz baue das Urteil auf, so Schallenberg.
Jetzt ist es erlaubt, Embryonen vor der Einsetzung auf „schwerwiegende genetische
Schäden“ zu untersuchen. Josef Schuster ist anderer Meinung. Er ist Professor für
Moraltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen und erklärt,
wie für ihn die Pflicht, Embryonen nur für die Herbeiführung einer Schwangerschaft
zu verwenden und das Verbot der PID zusammenhängen: „Es ist richtig, dass in
diesem Gesetz die Präimplantationsdiagnostik nicht ausdrücklich genannt ist. Aber
ich denke, indirekt schon. Es wird gesagt: Es dürfen nicht mehr Embryonen herangezüchtet
werden, als einer Frau im natürlichen Zyklus implantiert werden können. Hier ist nirgends
auch nur die Möglichkeit offen gelassen, dass man erstmal testen könne, welche Embryonen
denn nun tauglich sind – und welche nicht.“ Ist das ein Schritt hin zur Selektion
und zum Wunschkind? Auf jeden Fall sei es eine Entscheidung, die ein bedenkliches
Signal für die Wahrnehmung des ungeborenen Lebens in der Gesellschaft allgemein setze,
meint der Moraltheologe Schallenberg:
„Es ist nicht nur
das Urteil über einen bestimmten, sehr konkreten Fall. Sondern es ist grundsätzlich
eine weitere Abwertung des Status des frühen Embryos. Wir hatten bisher ein sehr strenges
und aus meiner Sicht gutes Embryonenschutzgesetz, und das ist nun durch dieses Urteil
an einer entscheidenden Stelle ausgehebelt worden. Und damit verbunden sind eine Schwächung
des frühen Embryos und eine Güterabwägung, die zu Lasten des Embryos ausfällt. Eine
Güterabwägung, die wir aber beispielsweise in der Abtreibungsgesetzgebung auch schon
haben.“
Das Urteil erntete Kritik von vielen Seiten,
nicht nur von den beiden Kirchen Deutschlands. Die deutsche Bischofskonferenz zeigte
sich bestürzt – das Aussortieren und die Tötung von Embryonen entspräche nicht ihrem
Menschenbild. Der Theologe Schuster erläutert die Position der katholischen Kirche:
„Nach
offizieller Lehre ist die Verschmelzung von Ei und Samenzelle zu einer Zygote der
Beginn menschlichen Lebens, das deshalb dann auch voll zu schützen ist. Also nicht
irgendeine Zelle! Der Mensch wird nicht zum Menschen, sondern er wird als Mensch,
oder er wird nicht zur Person, sondern er wird als Person. Das ist die Position der
katholischen Kirche. Von daher verbietet es sich, selektiv vorzugehen und zu testen,
ob Embryonen denn nun auch tauglich sind, in die Gebärmutter der Frau eingepflanzt
zu werden.“ Auch der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken,
Alois Glück, zeigt sich bestürzt ob der Konsequenzen dieses Urteils: „Wir kommen
auf eine schiefe Ebene, wenn in irgendwelchen Lebensphasen unterschieden wird zwischen
lebenswert und nicht lebenswert, wenn wir zu einer Selektion in dieser Phase kommen.
Wenn das auf Dauer zugelassen ist, macht sich eine Gesinnung nach dem Wunschkind breit.“
Das
Grundlegende und zugleich Erschreckende an diesem Urteil sei aber, dass es der „Anfang
vom Ende“ ist. Das meint der Vorsitzende des ZdK:
„Jeder
Mensch muss sich darüber im Klaren sein: Wenn zu Beginn des Lebens so diskutiert und
entschieden wird, dann haben wir unweigerlich diese Debatte gegen Ende des Lebens
– was sollen wir uns denn dann noch so kostspielige Patienten so lange leisten? Dann
kommen wir in eine Debatte der Lebensverkürzung hinein, weil man es der Gesellschaft
doch eigentlich gar nicht mehr zumuten kann, was das kostet. Das sind die Wege in
eine inhumane Gesellschaft.“