2010-07-09 12:11:50

D: Auf dem Weg zum Wunschkind?


RealAudioMP3 Was ist Leben und wann beginnt es? Das war die Grundsatzfrage beim Bundesgerichtshof. Am Dienstag erging dort das Urteil zur so genannten Präimplantationsdiagnostik (PID). Konkret: Dürfen bei künstlichen Befruchtungen die Embryonen vor dem Einsetzen in die Gebärmutter auf genetische Fehler untersucht werden? Der BGH entschied: sie dürfen. Damit ist der Weg frei für die PID.

 
Im europäischen Vergleich hat Deutschland seit 1991 ein strenges Embryonenschutzgesetz. Demnach ist jede künstliche Befruchtung, die nicht auf die Herbeiführung einer Schwangerschaft abzielt, verboten. Von der PID ist in dem Gesetzestext aber nicht explizit die Rede. Das Urteil geht auf die Selbstanzeige eines Berliner Gynäkologen zurück. Der Arzt hatte die PID angewendet und wollte mit seiner Selbstanzeige eine Klärung der Rechtslage erreichen. Der Moraltheologe Peter Schallenberg erläutert, warum das Urteil zwar ethisch gesehen eine Katastrophe ist, aber nicht dem bestehendem Gesetz widerspricht.

 
„Wenn man genau hinguckt, hat der Mediziner in der Tat eine Eizelle künstlich befruchtet, um eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, aber er hat danach die Präimplantationsdiagnostik durchgeführt. Und von der ist eben weder im Paragraph 1, noch im Paragraph 2 des Embryonenschutzgesetzes die Rede.“

Auf dieser Lücke im Gesetz baue das Urteil auf, so Schallenberg. Jetzt ist es erlaubt, Embryonen vor der Einsetzung auf „schwerwiegende genetische Schäden“ zu untersuchen. Josef Schuster ist anderer Meinung. Er ist Professor für Moraltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen und erklärt, wie für ihn die Pflicht, Embryonen nur für die Herbeiführung einer Schwangerschaft zu verwenden und das Verbot der PID zusammenhängen:
„Es ist richtig, dass in diesem Gesetz die Präimplantationsdiagnostik nicht ausdrücklich genannt ist. Aber ich denke, indirekt schon. Es wird gesagt: Es dürfen nicht mehr Embryonen herangezüchtet werden, als einer Frau im natürlichen Zyklus implantiert werden können. Hier ist nirgends auch nur die Möglichkeit offen gelassen, dass man erstmal testen könne, welche Embryonen denn nun tauglich sind – und welche nicht.“
Ist das ein Schritt hin zur Selektion und zum Wunschkind? Auf jeden Fall sei es eine Entscheidung, die ein bedenkliches Signal für die Wahrnehmung des ungeborenen Lebens in der Gesellschaft allgemein setze, meint der Moraltheologe Schallenberg:

 
„Es ist nicht nur das Urteil über einen bestimmten, sehr konkreten Fall. Sondern es ist grundsätzlich eine weitere Abwertung des Status des frühen Embryos. Wir hatten bisher ein sehr strenges und aus meiner Sicht gutes Embryonenschutzgesetz, und das ist nun durch dieses Urteil an einer entscheidenden Stelle ausgehebelt worden. Und damit verbunden sind eine Schwächung des frühen Embryos und eine Güterabwägung, die zu Lasten des Embryos ausfällt. Eine Güterabwägung, die wir aber beispielsweise in der Abtreibungsgesetzgebung auch schon haben.“

 
Das Urteil erntete Kritik von vielen Seiten, nicht nur von den beiden Kirchen Deutschlands. Die deutsche Bischofskonferenz zeigte sich bestürzt – das Aussortieren und die Tötung von Embryonen entspräche nicht ihrem Menschenbild. Der Theologe Schuster erläutert die Position der katholischen Kirche:

 
„Nach offizieller Lehre ist die Verschmelzung von Ei und Samenzelle zu einer Zygote der Beginn menschlichen Lebens, das deshalb dann auch voll zu schützen ist. Also nicht irgendeine Zelle! Der Mensch wird nicht zum Menschen, sondern er wird als Mensch, oder er wird nicht zur Person, sondern er wird als Person. Das ist die Position der katholischen Kirche. Von daher verbietet es sich, selektiv vorzugehen und zu testen, ob Embryonen denn nun auch tauglich sind, in die Gebärmutter der Frau eingepflanzt zu werden.“
Auch der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, zeigt sich bestürzt ob der Konsequenzen dieses Urteils:
„Wir kommen auf eine schiefe Ebene, wenn in irgendwelchen Lebensphasen unterschieden wird zwischen lebenswert und nicht lebenswert, wenn wir zu einer Selektion in dieser Phase kommen. Wenn das auf Dauer zugelassen ist, macht sich eine Gesinnung nach dem Wunschkind breit.“

 
Das Grundlegende und zugleich Erschreckende an diesem Urteil sei aber, dass es der „Anfang vom Ende“ ist. Das meint der Vorsitzende des ZdK:

 
„Jeder Mensch muss sich darüber im Klaren sein: Wenn zu Beginn des Lebens so diskutiert und entschieden wird, dann haben wir unweigerlich diese Debatte gegen Ende des Lebens – was sollen wir uns denn dann noch so kostspielige Patienten so lange leisten? Dann kommen wir in eine Debatte der Lebensverkürzung hinein, weil man es der Gesellschaft doch eigentlich gar nicht mehr zumuten kann, was das kostet. Das sind die Wege in eine inhumane Gesellschaft.“

 
(rv 09.07.2010 tb)
 







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