Eine Nobelpreisträgerin
am geschichtsträchtigen Ort: Hertha Müller auf dem Forum Romanum. In der Basilika
Massenzio las die Schriftstellerin am vergangenen Mittwoch aus ihrem Leben vor: „Der
Frisör, das Haar und der König“, so der Titel des Textes, den Müller im Rahmen des
internationalen Literaturfestivals vortrug. Es waren Passagen aus ihrem frühen, autobiographischen
Buch „Der König verneigt sich und tötet“. Anne Preckel hat zugehört.
Herta
Müller steht auf der Bühne in der halbverfallenen Basilika Massenzio auf dem Forum
Romanum. Um sie Ruinen, über ihr der Sternenhimmel, aus ihr diese Stimme, fragil und
stark zugleich. Sie spricht am Ort, wo sich Kaiser und Könige trafen. „Warum kommt
in Ihren Texten so oft der König und so selten der Diktator vor?“ Das werde sie häufig
gefragt, so die Schriftstellerin:
„Das Wort König klingt weich. Und
oft werde ich gefragt, warum in meinen Texten so oft der Frisör vorkommt. Der Frisör
misst die Haare, und die Haare messen das Leben. Der Frisör, das Haar und der König
fanden zusammen, lange bevor ich den Diktator kannte und bevor ich zu schreiben anfing.“
Herta Müller wuchs im Banat auf, einer deutschsprachigen Enklave Rumäniens.
Im harten und wortkargen Alltag des Dorflebens, in dem die Natur und der Tod fest
verwurzelt sind, setzt die Müller der monströsen Wirklichkeit schon ganz früh Sprachbilder
entgegen, sie kann gar nicht anders:
„Der König war von Kind an in
meinem Kopf. Er steckte in den Dingen. Auch wenn ich nie ein Wort geschrieben hätte,
wäre er da gewesen, um die neu hinzugekommenen Komplikationen der Tage in den Griff
zu bekommen durch eine, wenn auch böswillige, doch gut bekannte leitmotivische Gestalt.
Es war, wo sich der König präsentierte, keine Schonung zu erwarten, aber dennoch sortierte
er das Leben, kam dem Durcheinander, wenn es dem Sagbaren davonlief, ohne Worte bei.“
Die Figur des Königs wird zum Leitmotiv in Müllers Werk. Er personalisiert
„das Ausmaß der Dinge“, ist Widerstand gegen die Verdinglichung des Lebens und das
Ausgeliefertsein:
„Das Gewöhnliche der Dinge platzte, ihr Material wurde
zum Personal, zwischen gleichen Dingen entstanden Hierarchien und sie entstanden noch
mehr zwischen mir und ihnen. Ich musste mich den Vergleichen stellen, die ich aufgemacht
hatte und konnte nur den Kürzeren ziehen. Verglichen mit Holz, Blech oder einem Federkleid
des Huhns ist Haut der vergänglichste Stoff.“
Inmitten der rauhen Natur
und später der Diktatur, die Menschen zu Dingen degradiert, gibt die Schriftstellerin
dem Material ein Gesicht und neue Namen. Das ist ihre Art, den Dingen beizukommen,
bevor sie sich ihrer bemächtigen:
„Die Dinge hatten einzeln ihren König,
aber die einzelnen Könige blickten, wo sie auftraten, zu den anderen Königen. Die
Könige verließen ihre Gegenstände nicht, doch sie kannten einander, trafen sich in
meinem Kopf und gehörten dort zusammen. Sie waren ein verteilter König, der sich immer
neues Material aussuchte, in dem es sich leben ließ. Der Holzkönig im Schachspiel,
der Blechkönig im Wetterhahn, der Fleischkönig im Huhn.“
Der
Dorfkönig vom Schachbrett des Großvaters wird in der Stadt schnell zum Diktator. Und
im Leben der jungen Studentin und Arbeiterin fallen die „Figuren“ reihenweise. Das
Spiel ist undurchsichtig, die Repression kann jeden treffen. „Es gibt Unfälle“, so
der Vernehmer im Verhör, auch er ein kleiner König. Schachmatt ist gründlich und grundlos,
immer unerwartet, die Müller lernt: Dieser König verneigt sich, doch er verneigt sich
und tötet.
„Er ist ein Staatskönig, er schachert an der Schnittstelle
von Leben und Sterben, wirft die im lästig gewordenen heimlich aus dem Fenster, unter
Züge oder Autos, von Flussbrücken, hängt sie an den Strick, vergiftet sie, inszeniert
sein Töten als Selbstmord.“
Die diffuse Dorfangst wird in der Stadt
zur Tortur. Müller und ihre Freunde werden von der „Securitate“, dem rumänischen Geheimdienst,
beschattet, verhört und an den Rande des Wahnsinns getrieben:
„Das
Werkzeug des Stadtkönigs ist die Angst, nicht im Kopf gebaute Dorfangst, sondern geplante,
kalt verabreichte Angst, die die Nerven durchbeißt.“
Was ist mein
Leben wert? Im Verhör hängt sich diese Frage an jedem Haar auf:
„Er
hob die Hand, dann aber nahm er mir ein Haar von der Schulter, wollte es mit zwei
spitzen Fingern auf den Boden fallen lassen. Ich weiß nicht, warum ich plötzlich sagte:
Bitte, legen Sie das Haar zurück, es gehört mir. Er griff mir extra langsam, sein
Arm war wie durch eine Zeitlupe gelähmt, wieder auf die Schulter. Erst als er lachte,
sah ich aus dem Augenwinkel auf meine Schulter. Er hatte das Haar wirklich genau so,
wie es vorher dalag, zurückgelegt.“
Was ist mein Leben wert? Diese
Frage darf man nur von innen stellen. Wenn sie von außen gestellt wird, wird man widerspenstig.
Schon aus Trotz fängt man an, sein Leben zu lieben, erzählt die Müller:
„Jeder
Tag bekommt einen Wert, man lernt, gerne zu leben. Man sagt sich in den Kopf, dass
man lebendig ist, gerade jetzt will man leben und das reicht. Das ist mehr Lebenssinn
als man glaubt. Es ist geprüfter Lebenssinn, auch diese gegen alle äußeren Umstände
innen wachsende Lebensgier ist ein König, ein widerspenstiger König – ich kenne ihn
gut. … Der König war immer schon ein gelebtes Wort.“
Das gelebte Wort
- es pulsiert in Müllers ganzem Werk. Niemals wird sie nur über Leben und Unterdrückung
schreiben können: Ihre Tinte ist aus Blut, ihr Papier aus Haar, der Frisör vielleicht
sie selbst. Und der Verlorenheit, dem Grauen, der Schönheit und der Lebensgier setzt
Herta Müller eine Krone auf. Das ist ihr Trumpf.
„Ich träumte nur irr
durcheinander gebaute Sachen. Ich schneide das Huhn auf und der Bauch ist eine Schatulle
voller Schachfiguren, rote und blaue statt weiße und schwarze. Sie sind ganz trocken
und hart, man hätte sie rasseln hören müssen, als das Huhn noch durchs Gras lief.
Ich hebe die Schachfiguren aus dem Bauch und stelle sie der Farbe nach in zwei Reihen.
Es gibt nur einen König, er torkelt, verneigt sich, er ist grün und wird, während
er sich verneigt, rot. Ich halte ihn in der Hand und spüre, wie sein Herz klopft.
Er hat Angst und darum beiße ich hinein. Er ist innen gelb und weich, hat süßes Fleisch,
wie eine Aprikose. Ich esse ihn.“