Libanon: Politische Ideologie ist Parasit von Religion
Das „Oasis“-Zentrum
hat sich dem Ziel verschrieben, Menschen der Kirche und der Wissenschaft zusammenzubringen.
Gemeinsam sollen sie Wege entwickeln, die den Dialog und das Zusammenleben von Christen
und Muslimen fördern. Einmal im Jahr trifft sich der wissenschaftliche Ausschuss der
Stiftung abwechselnd in Venedig und einem überwiegend muslimischen Land. In diesem
Jahr tagt der Ausschuss in Beirut, im Libanon, vom 21. bis 22. Juni.
Radio
Vatikan hat über das Treffen mit Kardinal Angelo Scola, dem Patriarchen von Venedig,
gesprochen. Er hatte die Gründung der „Oasis“-Stiftung 2004 angestoßen. Die Situation
im Nahen Osten bewertet er momentan als sehr kritisch. Wir stünden knapp vor einem
Punkt ohne Umkehr, kritisierte der Kardinal und erklärt, dass vor allem beim Nachwuchs
jetzt angesetzt werden müsse:
„Wir sind davon überzeugt, dass wir gerade
jetzt in dieser Situation Abhilfe schaffen müssen. Denn wir befinden uns knapp vor
einem Absturz. Bei unserem letzten Treffen haben wir über die Weitergabe von Traditionen
gesprochen und die Erziehung. Nehmen wir da zum Beispiel das libanesische Schulsystem,
da gibt es auch Probleme im Dialog, in der Integration und das nicht nur zwischen
Christen und Muslimen, sondern auch mit den Drusen und auch innerhalb der christlichen
Gemeinschaft – also das Erziehungswesen ist in diesem Jahr unser Ausgangspunkt, um
uns dem Problem des friedlichen Zusammenlebens zwischen Muslimen und Christen, zwischen
Okzident und Orient auch in diesem extrem delikaten Moment zu nähern.“ Das
Thema der diesjährigen Oasis-Tagung lautet „Erziehung wie paideia: Ein Vorschlag für
unsere Zeit.“ Der griechische Begriff paideia - Erziehung, Bildung - stand in der
antiken Kultur für eine intellektuelle und ethische Erziehung und Bildung und darüber
hinaus aber auch für das Ergebnis des Erziehungsprozesses: Der Mensch wendet sich
hin zum Denken des Maßgeblichen.
Kardinal Scola ist davon überzeugt, dass
die Wiege der Integration und des Dialoges in den Schulen steht:
„Aber es
gibt solche Schulen und solche. In dem gleichen Libanon, in dem viele Universitäten
stehen, in dem es bisweilen auch ein recht fortschrittliches Schulsystem gibt, sowohl
bei privaten als auch staatlichen Einrichtungen - in diesem Libanon gibt es aber eben
auch Schulen, die gewaltbereite Milizen hervorbringen, aber eben auch Männer des Friedens.“ Scola
warnt vor einer Indoktrination an Schulen:
„Die Ideologie darf nicht zum
Parasit der Religion werden. Die Religion fällt ab zum Fundamentalismus, wenn man
nicht mehr klar die Beziehung zwischen Wahrheit und Freiheit sieht. Genau das geschieht,
wenn eine politische Ideologie zum Parasit der Religion wird, wenn mit Religion ein
bestimmtes Ziel verfolgt wird. Und Erziehung, eine wirkliche Erziehung, ist das beste
Gegengift gegen dieses Risiko: Gegen eine parasitäre politische Ideologie der Religion.“ (rv
22.06.2010 kk)