„Wenn am Sonntag Bundestagswahl
wäre“, kann man alle paar Wochen brav in der Zeitung lesen und sich wieder in die
eine oder andere Richtung verschobene Prozentzahlen ansehen. Aber nicht nur die politische
Einstellung wird abgefragt, in den letzten Jahren gab es immer wieder spannende Ergebnisse
von Studien, die unter anderem die religiöse Meinung der Menschen in unseren Ländern
untersucht haben. Natürlich gilt der alte Grundsatz: „Glaube nie einer Studie, die
du nicht selbst gefälscht hast“, aber trotzdem: Mit Hilfe dieser Studien lassen sich
beeindruckend stringente Ergebnisse erzielen, die zu konkretem Handeln aufrufen! Hauptsache,
die Studie ist repräsentativ! In einer gewissen Art und Weise ist im heutigen
Evangelium auch von einer Gesellschaftsstudie die Rede, auch wenn es sich hier um
keine repräsentative Befragung der Menschen zur Zeit Jesu handelt… Schauen wir uns
doch die Studie Jesu und seiner Jünger mal an, denn aus dieser Studie lässt sich nicht
nur etwas über das Volk damals heraus lesen, sondern vor allem etwas für uns heute.
Die äußeren Umstände der Studie sind eigentlich seltsam: Jesus, so heißt es, „betete
einmal in der Einsamkeit“ – und im selben Atemzug liest man: „Seine Jünger waren bei
ihm“. Aber vielleicht liegt gerade hier eine Besonderheit der Beziehung Jesu zu seinen
Jüngern – und damit auch eine Besonderheit der Gesellschaftsstudie der Jünger: Jesus
nimmt sie mit in die enge Beziehung zwischen ihm und dem Vater. Die Jünger dürfen
erleben, wie er im einsamen Gebet sich in den Vater vertieft. Und das Verblüffende:
Genau hier in der direkten Begegnung des Sohnes mit dem Vater fragt Jesus: „Für wen
halten mich die Leute?“ Die Übersetzung „Leute“ ist gut gewählt; im griechischen Original
steht dort nämlich ein Wort, das soviel wie „Mengen“, „Gruppen“ bedeutet. Jesus geht
es also tatsächlich darum, was die breite Masse von ihm denkt. Die Jünger berichten
bereitwillig, was sie so aus den Gesprächen der Leute wissen: Die einen sagen, du
bist Johannes der Täufer, du bist Elija, du bist einer von den Propheten. Ganz genau
wissen es die Leute nicht, aber sie versuchen es sich halt damit zu erklären, dass
einer der großen der Geschichte Gottes mit seinem Volk wiedergekommen ist. Hier aber
sehe ich schon einen Punkt, der die Bedeutung der Studie Jesu und seiner Jünger für
uns heute ausmacht: Die Jünger haben tatsächlich das Ohr am Puls der Zeit! Das ist
eine Herausforderung auch für uns Christen und für unsere Kirche von heute: Wissen
wir eigentlich, für wen die Leute unserer Zeit Jesus halten? Was sie von der Welt
denken? Wie sie ihr Leben in dieser Zeit sehen? Ich denke, genau hier liegt eine große
Aufgabe für die Kirche und damit auch für uns: Habt das Ohr am Puls der Zeit, interessiert
euch dafür, was die Leute meinen. Schaut hinein in die Gesellschaft, in die Politik,
in die Kultur und kapselt euch nicht ab, weil ihr meint, als Kirche eine ganz eigene
Gemeinschaft zu sein, die den Blick für den Rest nicht braucht. Gerade heute braucht
die Kirche diesen Blick in die Welt, den das Zweite Vatikanische Konzil ihr ins Stammbuch
geschrieben hat! Aber zurück zur Studie am einsamen Ort: Jesus gibt sich mit der
Antwort, die aus „dem Volk“ stammt, nicht zufrieden: „Ihr aber, für wen haltet ihr
mich?“ Und Simon Petrus antwortet stellvertretend für alle: „Für den Messias Gottes.“
Eine einfache Antwort, die aber so viel in sich hat: Petrus und mit ihm die anderen
Jünger haben es für sich klar: Jesus ist der Messias, der Christus. Er ist eben nicht
einer der Propheten, der zurück gekommen ist, hier handelt es sich um etwas ganz anderes
und ganz neues. Wie Petrus genau zu dieser Erkenntnis kam, ist nicht gesagt, und wir
dürfen davon ausgehen, dass er es durch das ständige Bei-Jesus-Sein so erfahren hat.
Aber was viel wichtiger ist: Für ihn ist die Wahrheit über Jesus eben klar, auch wenn
das „die Leute“, von denen vorher die Rede war, anders sehen! Hier sind wir wieder
bei uns angekommen: Für wen aber, für wen halten Sie persönlich Jesus? Ganz unabhängig
davon, was die anderen denken und meinen? Wie sind Ihre Erfahrungen mit ihm, die sie
zu ihrem persönlichen Bekenntnis bringen? Ich glaube, der Schritt weg von der Meinung
der vielen hin zum Bekenntnis des Jüngers oder der Jüngerin ist die zweite Sache,
die die Studie der Jünger im Evangelium von heute von uns fordert. Aber noch einmal
zurück an den Ort des Gespräches Jesu mit seinen Jüngern: Auf einmal bekommt nämlich
der Dialog eine ganz andere Wendung. Jesus erfragt nichts mehr von den Jüngern, sondern
hat eine Erklärung für sie parat: Das, lieber Petrus, was du verstanden hast, ist
noch lange nicht alles! Deine Geschichte mit mir, mit dem Menschensohn, wird noch
viel schwieriger werden, weil der Weg des Messias wahrscheinlich nicht der ist, den
du dir vorgestellt hättest. Ja, mehr noch: Auch für dich bedeutet, dass du weißt,
wer ich bin, dass dein Leben anders wird: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne
sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Es ist wichtig,
dass du weißt, was die anderen über mich denken. Es ist wichtig, dass du für dich
klar hast, wer ich bin. Und: Es ist wichtig, dass du weißt, dass das für dein Leben
Konsequenzen hat. Auch hier finde ich uns heutige Christinnen und Christen gleich
wieder: Für uns gilt nämlich wie für die Jünger: Mit Jesus zu sein, bedeutet, das
im Leben auch zu spüren. Wer Jüngerin oder Jünger Jesu sein möchte, muss wissen, dass
sich das aufs Leben auswirkt, manchmal auch anders, als man es sich vorgestellt hätte…
Liebe Hörerin, lieber Hörer, das heutige Evangelium erzählt von einer Gesellschaftsstudie,
die die Jünger für Jesus parat haben, die auch für die Christinnen und Christen von
heute und für unsere Kirche als ganzes wichtig ist: Es geht darum, mit der Gesellschaft
von heute im Dialog zu sein. Es geht darum, für sich selbst klar zu bekommen, wer
Jesus ist. Und es geht darum, dieses Erkennen im Leben umzusetzen. Das gilt für mich,
für dich und dich – aber auch für unsere Kirche. Heute mehr denn je.
Der
Autor: Ludwig Waldmüller ist Präses des BDKJ im Bistum Augsburg. Er war mehrere Jahre
lang Redakteur bei Radio Vatikan.