Um nach dem Missbrauchsskandal Vertrauen zurückzugewinnen, braucht die katholische
Kirche eine neue, zündende Vision. Das schreibt der Erfurter Bischof Joachim Wanke
in einem Artikel für den ‚Rheinischen Merkur’ an diesem Donnerstag. Er vergleicht
die Situation der katholischen Kirche in Deutschland mit der eines depressiven Patienten,
der auch durch positiven Zuspruch immer tiefer in Schwermut versinke. Bei allen
wichtigen Fragen nach Balance zwischen Weltkirche und Ortskirche oder nach dem Miteinander
von Amtsträgern und Laien in der Kirche sei es vor allem diese zündende Vision von
Kirche, die fehle. Dies sei „eine Vision, die im Evangelium ihr Fundament hat, die
das Empfinden und die Erwartung der Menschen trifft und die nicht zuletzt auch praktisch
umsetzbar ist.“ Dazu müsse man die veränderte Gegenwart akzeptieren. Wankes Diagnose:
„Ich behaupte: Der „kalte Reif“, der sich derzeit über unser kirchliches Leben legt,
hat etwas mit Gegenwartsverweigerung zu tun. Wir schauen mehr zurück als nach vorn.“ Seine
Kritik gilt dem Festhalten an allem, was die alten Sicherheiten stützt und sich nicht
der geistige Horizonterweiterung der Moderne stellen will. Diese Option habe auf Dauer
gesehen keine Zukunft. „Was nicht in Freiheit gedeiht, gedeiht überhaupt nicht. Oder
es bleibt bestenfalls Dressur. Das ist eine wichtige Einsicht aus meinen DDR-Jahren,
und ich meine das nicht nur politisch, sondern auch kirchlich.“ (Rheinischer Merkur
17.6.2010 ord)