2010-06-08 10:57:33

Katholischer Ökonom: „Sparkurs höhlt demokratischen Grundkonsens aus“


RealAudioMP3 Die Sparpläne der deutschen Regierung setzen den Zusammenhalt der Gesellschaft aufs Spiel. Im Zuge der angekündigten Sparmaßnahmen von CDU und FDP befürchten das nicht allein Gewerkschaften und die Opposition – auch die Kirche hat Bedenken in diese Richtung. Es ist das größte Sparpaket in der Geschichte der Bundesrepublik: Die Einsparungen von – wie angekündigt – 80 Milliarden Euro gefährden die deutsche Demokratie. Das meint Wolf Gero Reichert vom katholischen Oswald von Nell-Breuning Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik. Gegenüber dem Kölner domradio spricht der Theologe und Volkswirt außerdem von einer „verzerrten Diskussion“ um das Thema Haushaltssanierung.

 
„Wir tun so, als ob wir ein Sparprogramm durchführen müssten, das gleichsam wie eine Naturkatastrophe über uns hereingebrochen ist. Aber man muss daran erinnern: Die Finanzprobleme resultieren aus einer Finanzkrise, die vor allem von den Finanzeliten weltweit und in Deutschland verursacht wurde. Dabei wäre jetzt das richtige und angebrachte Signal, eher bei denjenigen zu sparen, die im Vorfeld dieser Krise extrem profitiert haben. Das sind vor allen Dingen die Vermögensbesitzer und diejenigen, die in der Finanzbranche arbeiten – diese Menschen wurden bislang nicht zur Verantwortung gezogen.“

 
Die Frage, warum sich die Bundesregierung massiv dagegen wehrt, auch die Besserverdienenden durch Steuererhöhungen mehr in die Pflicht zu nehmen, sei berechtigt, findet der Ökonom:

 
„Es gibt einzelne Stimmen, vor allem auf der christdemokratischen Seite, die doch durchaus aufgeschlossen sind, zum Beispiel gegenüber dem Vorschlag einer Finanztransaktionssteuer. Es gibt wohl massiven Druck innerhalb der Koalition, vor allem wahrscheinlich zurückzuführen auf Lobby-Verbände, die das verhindern sollen. Das ist das Demokratie gefährdende an dieser Debatte, dass anscheinend mächtige Interessengruppen ihre Positionen direkt in die Regierung hineintragen können und dass es dort keinen Ausgleich dieser Interessen gibt, sondern sie einfach ungefiltert durchgesetzt werden.“

 
Kürzungen bei den sozial Schwachen, etwa bei den Renten oder beim Elterngeld, sieht Reichert hingegen mit großer Sorge.

 
„Wenn diese Sparpläne durchgehen, wird wirklich bei denjenigen gekürzt, die sowieso die schwierigsten Voraussetzungen haben, sich in dieser Gesellschaft beteiligen und entfalten zu können. Aber darüber hinaus – jenseits der einzelnen Beträge – ist vor allem das Signal, das dabei ausgesandt wird, am gefährlichsten: Es ist ein hochgradig Demokratie gefährdendes Signal, was ausgesendet wird. Zum einen sendet die Regierung das Signal aus: Sie reagieren dann, wenn Lobby-Gruppen etwas fordern, wie zum Beispiel die Hoteliers, die jetzt steuerlich besser gestellt wurden, und auf der anderen Seite setzen sie dort den Rotstift an, wo eben diejenigen sitzen, die sich nicht wehren können, die keine Lobby haben.“

 
Deshalb mahnt Reichert angesichts der massiven Kürzungen:

 
„Diese Reformen werden eher dazu beitragen, dass die Chancen und Möglichkeiten in unserer Gesellschaft noch ungleicher verteilt werden. Und es zehrt vor allem den demokratischen Grundkonsens unserer Gesellschaft aus: dass jeder eigentlich gleiche Lebens- und Beteiligungschancen haben sollte.“

 
(domradio 08.06.2010 vp)
 







All the contents on this site are copyrighted ©.